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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

in Antwerpen entstanden. Der auf den mittelalterlichen Handelsplätzen zwei-
bis viermal im Jahre wiederkehrende Markt, die Messe, ward schon früh zum
Mittelpunkte des Zahlungs- und Wechselverkehrs, indem die Kaufleute für ihre
größer" Zahlungsverpflichtungen die Messe als Zahlungstermin vereinbarten
und die Barzahlung soweit wie möglich durch Kompensation der Forderungen
ersetzten. Antwerpen erfreute sich nun, dank der Weisheit seiner vorspanischen
Landesherrn, unbeschränkter Handelsfreiheit; die dort verkehrenden genossen das
Marktrecht alle Tage im Jahre, sodaß dort täglich jede Art von Geschäft
abgeschlossen werden konnte, und Ludovico Guiccardini urteilte, Antwerpen sei
eine unaufhörliche Messe. Diese Freiheit war, wie Ehrenberg beweist, die
Hauptsache. Dazu gesellte sich die Gunst der Lage, die nach dem Untergange
des Levantehandels, allerdings uur vorübergehend, eine gewaltige Bedeutung
gewann. Die Gewürze, die früher über Venedig und die oberdeutschen Städte
eingeführt worden waren, gingen jetzt von Lissabon nach Antwerpen und ver¬
teilten sich von hier aus über Europa. So wurde Antwerpen der Mittelpunkt
des Gewürzhandels, außerdem des englischen Tuchhandels. An den Waren¬
handel schloß sich wie immer und überall der Geldhandel an, und da der
Gcwürzhcmdel, namentlich der Pfefferhandel, durch die Ungewißheit seines
Verlaufs immer mehr ein Gegenstand gewagter Spekulationen wurde, so
wandten sich gerade die solidern Häuser mit Vorliebe dem Geldhandel zu, für
den nun wieder Antwerpen der geeignetste Platz war, weil die großen spanischen
Anleihen vorzugsweise für die in deu Niederlanden stehenden Truppen gebraucht
und daher durch Wechsel auf Antwerpen verwirklicht wurden. Hier vor allem
wurden die Schuldurknnden in käufliche Anlagepapiere verwandelt, hier diese
Papiere "fungibilisirt," sodaß man, ohne bestimmte Stücke im Auge zu haben,
eine beliebige Anzahl davon bestellen konnte, hier wurden die Arbitrage und
das Disferenzspiel ausgebildet, hier die "Vörsenmeinung" gebildet und der
Kurs festgesetzt. Den Anstoß zu der ersten großen Baissespekulation gab eine
starke Erschütterung des französischen Kredits, die die französischen Anleihe-
Papiere entwertete und massenhafte Verkäufe von solchen zur Folge hatte.
Seite 134 ff. findet man eine hübsche Darstellung der volkswirtschaftlichen
Bedeutung der Bvrsenmeinung. die selbstverständlich nicht durch das Streben
nach Wahrheit gebildet wird, sondern dadurch zu stände kommt, daß jeder an
der Börse beteiligte Geld verdienen will und daher den Stand des Marktes
so genau wie möglich zu ermitteln sucht. Mau weiß, wie Antwerpen zu Grunde
gerichtet worden ist; den letzten Stoß gab der Stadt, die einige Jahrzehnte
hindurch der Weltmarkt gewesen war -- nicht bloß ein Weltmarkt wie heute
London oder Hamburg --, die furchtbare Plünderung von 1576, die vorzugs¬
weise dadurch verursacht ward, daß den spanischen Truppen infolge des Staats¬
bankrotts von 1575 kein Sold gezahlt werden konnte.

Gleichzeitig mit der Antwerpner Börse blühte die Lhoner, die von ge¬
ringerer Bedeutung und ausschließlich eine Schöpfung der französischen Könige


Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

in Antwerpen entstanden. Der auf den mittelalterlichen Handelsplätzen zwei-
bis viermal im Jahre wiederkehrende Markt, die Messe, ward schon früh zum
Mittelpunkte des Zahlungs- und Wechselverkehrs, indem die Kaufleute für ihre
größer» Zahlungsverpflichtungen die Messe als Zahlungstermin vereinbarten
und die Barzahlung soweit wie möglich durch Kompensation der Forderungen
ersetzten. Antwerpen erfreute sich nun, dank der Weisheit seiner vorspanischen
Landesherrn, unbeschränkter Handelsfreiheit; die dort verkehrenden genossen das
Marktrecht alle Tage im Jahre, sodaß dort täglich jede Art von Geschäft
abgeschlossen werden konnte, und Ludovico Guiccardini urteilte, Antwerpen sei
eine unaufhörliche Messe. Diese Freiheit war, wie Ehrenberg beweist, die
Hauptsache. Dazu gesellte sich die Gunst der Lage, die nach dem Untergange
des Levantehandels, allerdings uur vorübergehend, eine gewaltige Bedeutung
gewann. Die Gewürze, die früher über Venedig und die oberdeutschen Städte
eingeführt worden waren, gingen jetzt von Lissabon nach Antwerpen und ver¬
teilten sich von hier aus über Europa. So wurde Antwerpen der Mittelpunkt
des Gewürzhandels, außerdem des englischen Tuchhandels. An den Waren¬
handel schloß sich wie immer und überall der Geldhandel an, und da der
Gcwürzhcmdel, namentlich der Pfefferhandel, durch die Ungewißheit seines
Verlaufs immer mehr ein Gegenstand gewagter Spekulationen wurde, so
wandten sich gerade die solidern Häuser mit Vorliebe dem Geldhandel zu, für
den nun wieder Antwerpen der geeignetste Platz war, weil die großen spanischen
Anleihen vorzugsweise für die in deu Niederlanden stehenden Truppen gebraucht
und daher durch Wechsel auf Antwerpen verwirklicht wurden. Hier vor allem
wurden die Schuldurknnden in käufliche Anlagepapiere verwandelt, hier diese
Papiere „fungibilisirt," sodaß man, ohne bestimmte Stücke im Auge zu haben,
eine beliebige Anzahl davon bestellen konnte, hier wurden die Arbitrage und
das Disferenzspiel ausgebildet, hier die „Vörsenmeinung" gebildet und der
Kurs festgesetzt. Den Anstoß zu der ersten großen Baissespekulation gab eine
starke Erschütterung des französischen Kredits, die die französischen Anleihe-
Papiere entwertete und massenhafte Verkäufe von solchen zur Folge hatte.
Seite 134 ff. findet man eine hübsche Darstellung der volkswirtschaftlichen
Bedeutung der Bvrsenmeinung. die selbstverständlich nicht durch das Streben
nach Wahrheit gebildet wird, sondern dadurch zu stände kommt, daß jeder an
der Börse beteiligte Geld verdienen will und daher den Stand des Marktes
so genau wie möglich zu ermitteln sucht. Mau weiß, wie Antwerpen zu Grunde
gerichtet worden ist; den letzten Stoß gab der Stadt, die einige Jahrzehnte
hindurch der Weltmarkt gewesen war — nicht bloß ein Weltmarkt wie heute
London oder Hamburg —, die furchtbare Plünderung von 1576, die vorzugs¬
weise dadurch verursacht ward, daß den spanischen Truppen infolge des Staats¬
bankrotts von 1575 kein Sold gezahlt werden konnte.

Gleichzeitig mit der Antwerpner Börse blühte die Lhoner, die von ge¬
ringerer Bedeutung und ausschließlich eine Schöpfung der französischen Könige


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[0287] Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen in Antwerpen entstanden. Der auf den mittelalterlichen Handelsplätzen zwei- bis viermal im Jahre wiederkehrende Markt, die Messe, ward schon früh zum Mittelpunkte des Zahlungs- und Wechselverkehrs, indem die Kaufleute für ihre größer» Zahlungsverpflichtungen die Messe als Zahlungstermin vereinbarten und die Barzahlung soweit wie möglich durch Kompensation der Forderungen ersetzten. Antwerpen erfreute sich nun, dank der Weisheit seiner vorspanischen Landesherrn, unbeschränkter Handelsfreiheit; die dort verkehrenden genossen das Marktrecht alle Tage im Jahre, sodaß dort täglich jede Art von Geschäft abgeschlossen werden konnte, und Ludovico Guiccardini urteilte, Antwerpen sei eine unaufhörliche Messe. Diese Freiheit war, wie Ehrenberg beweist, die Hauptsache. Dazu gesellte sich die Gunst der Lage, die nach dem Untergange des Levantehandels, allerdings uur vorübergehend, eine gewaltige Bedeutung gewann. Die Gewürze, die früher über Venedig und die oberdeutschen Städte eingeführt worden waren, gingen jetzt von Lissabon nach Antwerpen und ver¬ teilten sich von hier aus über Europa. So wurde Antwerpen der Mittelpunkt des Gewürzhandels, außerdem des englischen Tuchhandels. An den Waren¬ handel schloß sich wie immer und überall der Geldhandel an, und da der Gcwürzhcmdel, namentlich der Pfefferhandel, durch die Ungewißheit seines Verlaufs immer mehr ein Gegenstand gewagter Spekulationen wurde, so wandten sich gerade die solidern Häuser mit Vorliebe dem Geldhandel zu, für den nun wieder Antwerpen der geeignetste Platz war, weil die großen spanischen Anleihen vorzugsweise für die in deu Niederlanden stehenden Truppen gebraucht und daher durch Wechsel auf Antwerpen verwirklicht wurden. Hier vor allem wurden die Schuldurknnden in käufliche Anlagepapiere verwandelt, hier diese Papiere „fungibilisirt," sodaß man, ohne bestimmte Stücke im Auge zu haben, eine beliebige Anzahl davon bestellen konnte, hier wurden die Arbitrage und das Disferenzspiel ausgebildet, hier die „Vörsenmeinung" gebildet und der Kurs festgesetzt. Den Anstoß zu der ersten großen Baissespekulation gab eine starke Erschütterung des französischen Kredits, die die französischen Anleihe- Papiere entwertete und massenhafte Verkäufe von solchen zur Folge hatte. Seite 134 ff. findet man eine hübsche Darstellung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bvrsenmeinung. die selbstverständlich nicht durch das Streben nach Wahrheit gebildet wird, sondern dadurch zu stände kommt, daß jeder an der Börse beteiligte Geld verdienen will und daher den Stand des Marktes so genau wie möglich zu ermitteln sucht. Mau weiß, wie Antwerpen zu Grunde gerichtet worden ist; den letzten Stoß gab der Stadt, die einige Jahrzehnte hindurch der Weltmarkt gewesen war — nicht bloß ein Weltmarkt wie heute London oder Hamburg —, die furchtbare Plünderung von 1576, die vorzugs¬ weise dadurch verursacht ward, daß den spanischen Truppen infolge des Staats¬ bankrotts von 1575 kein Sold gezahlt werden konnte. Gleichzeitig mit der Antwerpner Börse blühte die Lhoner, die von ge¬ ringerer Bedeutung und ausschließlich eine Schöpfung der französischen Könige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/287>, abgerufen am 18.06.2024.