Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jenseits der Mainlinie

Glauben gestorben, daß seine Auffassung des Christen- und Kirchentums von
einer bedeutenden Zahl tüchtiger Männer aus allen Ständen geteilt werde, daß
die altkatholische Bewegung, die durch die Ungunst der Zeiten nur vorüber¬
gehend ins Stocken geraten sei, schon wieder ihren Fortgang nehmen, und daß
ein großes Reformkonzil die Christen aller Bekenntnisse vereinigen und die
Kirche verjüngen werde.

Die guten Bauern von K. wenigstens waren, wie gesagt, nicht der Stoff,
in dem sich erhabne Ideen Hütten verwirklichen können, und mir waren die
Gottesdienste, die ich dort abhielt, aus den angeführten und aus andern
Gründen unerfreulich. Bei einer ziemlich ledernen Unterhaltung, die sich ge¬
wöhnlich um die Missethaten der Ultramontanen und um die von Karlsruhe zu
erwartende Hilfe drehte, den Sonnabend Abend zubringen, dann am Sonntag
Morgen mit nüchternem Magen zwei Gottesdienste abhalten und dazwischen
eine Wagen- und eine Eisenbahnfahrt oder einen Marsch und eine Eisenbahn-
fahrt machen, das ist nicht sehr angenehm. Wenn ich, was an Festtagen
vorkam, nur in K. rentirte und erst nachmittags von dort wegfuhr, lief ich
stets nach der Bahnstation. Denn die dortigen Bauern haben keine Kutschen
wie unsre schlesischen, sondern nur Korbwägelchen für Marktfuhren ohne Vor¬
richtung zum Absteigen, und da ich sehr ungeschickt bin, begegnete es mir manch¬
mal, daß der Gaul fortrannte, ehe ich mit dem Herunterklettern fertig war.
Einmal nun, als ich meinen Entschluß zu laufen kund gab, sang der Kirchen-
Vorsteher .L. gar weinerlich: Rom, toise Se nie--it! -- Warum denn nicht? --
Joa, die Uldramoudoane socige, die Altkatholiege hoabens nit moal, daß se
der Pfarrer könne führe lasse, der muß toise. An Peter und Paul sollten
die Leutchen endlich ihren eignen Geistlichen bekommen. Recht behaglich ver¬
zehrte ich am Vorabend bei Geiger mein Abendbrot mit dem Gedanken: Gott
sei Dank, daß du das dumme K. los bist, kannst dich nun auch einmal ordent¬
lich auf die Predigt vorbereiten. Da steht der alte Bürgermeister vor mir
und singt: Sie müsse jetzt bald mit mir nach K., der neue Geischtlich ischt
nit komm"! Unterwegs sagte ich auch diesmal wieder: Passen Sie auf, er
wird da sein; vielleicht sitzt er in diesem Zuge. Auf der Endstation stieg
richtig ein Geistlicher ans, der offenbar fremd war und sich verlegen umschaute.
Nu da sehn sich, sagte ich, da steht er! Ach nein, sagte der Bürgermeister,
das wird er wohl nit sein. -- Da gehn Sie doch und fragen Sie ihn, er
wird Sie ja nicht beißen! Natürlich war ers. Der Geischtlich hielt nicht lange
aus, und ich hatte später noch öfter das Vergnügen. Die erstenmale wurde
ich beim Abschied gefragt: Was löscht der Jserbocchn? -- Bahn zwei Mark,
Omnibus vierzig Pfennig, worauf ich einen Thaler bekam, und wenn ich sechzig
Pfennig herausgeben wollte, sagte der Vorsteher herablassend: "Nein, behalte
Se nur, das schenke mer Ihnen." Im Herbste 1881 erhielt ich ein Schreiben
aus K. und eine Quittung über 108 Mark 80 Pfennig, die ich dringend ge-


Jenseits der Mainlinie

Glauben gestorben, daß seine Auffassung des Christen- und Kirchentums von
einer bedeutenden Zahl tüchtiger Männer aus allen Ständen geteilt werde, daß
die altkatholische Bewegung, die durch die Ungunst der Zeiten nur vorüber¬
gehend ins Stocken geraten sei, schon wieder ihren Fortgang nehmen, und daß
ein großes Reformkonzil die Christen aller Bekenntnisse vereinigen und die
Kirche verjüngen werde.

Die guten Bauern von K. wenigstens waren, wie gesagt, nicht der Stoff,
in dem sich erhabne Ideen Hütten verwirklichen können, und mir waren die
Gottesdienste, die ich dort abhielt, aus den angeführten und aus andern
Gründen unerfreulich. Bei einer ziemlich ledernen Unterhaltung, die sich ge¬
wöhnlich um die Missethaten der Ultramontanen und um die von Karlsruhe zu
erwartende Hilfe drehte, den Sonnabend Abend zubringen, dann am Sonntag
Morgen mit nüchternem Magen zwei Gottesdienste abhalten und dazwischen
eine Wagen- und eine Eisenbahnfahrt oder einen Marsch und eine Eisenbahn-
fahrt machen, das ist nicht sehr angenehm. Wenn ich, was an Festtagen
vorkam, nur in K. rentirte und erst nachmittags von dort wegfuhr, lief ich
stets nach der Bahnstation. Denn die dortigen Bauern haben keine Kutschen
wie unsre schlesischen, sondern nur Korbwägelchen für Marktfuhren ohne Vor¬
richtung zum Absteigen, und da ich sehr ungeschickt bin, begegnete es mir manch¬
mal, daß der Gaul fortrannte, ehe ich mit dem Herunterklettern fertig war.
Einmal nun, als ich meinen Entschluß zu laufen kund gab, sang der Kirchen-
Vorsteher .L. gar weinerlich: Rom, toise Se nie—it! — Warum denn nicht? —
Joa, die Uldramoudoane socige, die Altkatholiege hoabens nit moal, daß se
der Pfarrer könne führe lasse, der muß toise. An Peter und Paul sollten
die Leutchen endlich ihren eignen Geistlichen bekommen. Recht behaglich ver¬
zehrte ich am Vorabend bei Geiger mein Abendbrot mit dem Gedanken: Gott
sei Dank, daß du das dumme K. los bist, kannst dich nun auch einmal ordent¬
lich auf die Predigt vorbereiten. Da steht der alte Bürgermeister vor mir
und singt: Sie müsse jetzt bald mit mir nach K., der neue Geischtlich ischt
nit komm«! Unterwegs sagte ich auch diesmal wieder: Passen Sie auf, er
wird da sein; vielleicht sitzt er in diesem Zuge. Auf der Endstation stieg
richtig ein Geistlicher ans, der offenbar fremd war und sich verlegen umschaute.
Nu da sehn sich, sagte ich, da steht er! Ach nein, sagte der Bürgermeister,
das wird er wohl nit sein. — Da gehn Sie doch und fragen Sie ihn, er
wird Sie ja nicht beißen! Natürlich war ers. Der Geischtlich hielt nicht lange
aus, und ich hatte später noch öfter das Vergnügen. Die erstenmale wurde
ich beim Abschied gefragt: Was löscht der Jserbocchn? — Bahn zwei Mark,
Omnibus vierzig Pfennig, worauf ich einen Thaler bekam, und wenn ich sechzig
Pfennig herausgeben wollte, sagte der Vorsteher herablassend: „Nein, behalte
Se nur, das schenke mer Ihnen." Im Herbste 1881 erhielt ich ein Schreiben
aus K. und eine Quittung über 108 Mark 80 Pfennig, die ich dringend ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224499"/>
          <fw type="header" place="top"> Jenseits der Mainlinie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> Glauben gestorben, daß seine Auffassung des Christen- und Kirchentums von<lb/>
einer bedeutenden Zahl tüchtiger Männer aus allen Ständen geteilt werde, daß<lb/>
die altkatholische Bewegung, die durch die Ungunst der Zeiten nur vorüber¬<lb/>
gehend ins Stocken geraten sei, schon wieder ihren Fortgang nehmen, und daß<lb/>
ein großes Reformkonzil die Christen aller Bekenntnisse vereinigen und die<lb/>
Kirche verjüngen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659" next="#ID_660"> Die guten Bauern von K. wenigstens waren, wie gesagt, nicht der Stoff,<lb/>
in dem sich erhabne Ideen Hütten verwirklichen können, und mir waren die<lb/>
Gottesdienste, die ich dort abhielt, aus den angeführten und aus andern<lb/>
Gründen unerfreulich. Bei einer ziemlich ledernen Unterhaltung, die sich ge¬<lb/>
wöhnlich um die Missethaten der Ultramontanen und um die von Karlsruhe zu<lb/>
erwartende Hilfe drehte, den Sonnabend Abend zubringen, dann am Sonntag<lb/>
Morgen mit nüchternem Magen zwei Gottesdienste abhalten und dazwischen<lb/>
eine Wagen- und eine Eisenbahnfahrt oder einen Marsch und eine Eisenbahn-<lb/>
fahrt machen, das ist nicht sehr angenehm. Wenn ich, was an Festtagen<lb/>
vorkam, nur in K. rentirte und erst nachmittags von dort wegfuhr, lief ich<lb/>
stets nach der Bahnstation. Denn die dortigen Bauern haben keine Kutschen<lb/>
wie unsre schlesischen, sondern nur Korbwägelchen für Marktfuhren ohne Vor¬<lb/>
richtung zum Absteigen, und da ich sehr ungeschickt bin, begegnete es mir manch¬<lb/>
mal, daß der Gaul fortrannte, ehe ich mit dem Herunterklettern fertig war.<lb/>
Einmal nun, als ich meinen Entschluß zu laufen kund gab, sang der Kirchen-<lb/>
Vorsteher .L. gar weinerlich: Rom, toise Se nie&#x2014;it! &#x2014; Warum denn nicht? &#x2014;<lb/>
Joa, die Uldramoudoane socige, die Altkatholiege hoabens nit moal, daß se<lb/>
der Pfarrer könne führe lasse, der muß toise. An Peter und Paul sollten<lb/>
die Leutchen endlich ihren eignen Geistlichen bekommen. Recht behaglich ver¬<lb/>
zehrte ich am Vorabend bei Geiger mein Abendbrot mit dem Gedanken: Gott<lb/>
sei Dank, daß du das dumme K. los bist, kannst dich nun auch einmal ordent¬<lb/>
lich auf die Predigt vorbereiten. Da steht der alte Bürgermeister vor mir<lb/>
und singt: Sie müsse jetzt bald mit mir nach K., der neue Geischtlich ischt<lb/>
nit komm«! Unterwegs sagte ich auch diesmal wieder: Passen Sie auf, er<lb/>
wird da sein; vielleicht sitzt er in diesem Zuge. Auf der Endstation stieg<lb/>
richtig ein Geistlicher ans, der offenbar fremd war und sich verlegen umschaute.<lb/>
Nu da sehn sich, sagte ich, da steht er! Ach nein, sagte der Bürgermeister,<lb/>
das wird er wohl nit sein. &#x2014; Da gehn Sie doch und fragen Sie ihn, er<lb/>
wird Sie ja nicht beißen! Natürlich war ers. Der Geischtlich hielt nicht lange<lb/>
aus, und ich hatte später noch öfter das Vergnügen. Die erstenmale wurde<lb/>
ich beim Abschied gefragt: Was löscht der Jserbocchn? &#x2014; Bahn zwei Mark,<lb/>
Omnibus vierzig Pfennig, worauf ich einen Thaler bekam, und wenn ich sechzig<lb/>
Pfennig herausgeben wollte, sagte der Vorsteher herablassend: &#x201E;Nein, behalte<lb/>
Se nur, das schenke mer Ihnen." Im Herbste 1881 erhielt ich ein Schreiben<lb/>
aus K. und eine Quittung über 108 Mark 80 Pfennig, die ich dringend ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Jenseits der Mainlinie Glauben gestorben, daß seine Auffassung des Christen- und Kirchentums von einer bedeutenden Zahl tüchtiger Männer aus allen Ständen geteilt werde, daß die altkatholische Bewegung, die durch die Ungunst der Zeiten nur vorüber¬ gehend ins Stocken geraten sei, schon wieder ihren Fortgang nehmen, und daß ein großes Reformkonzil die Christen aller Bekenntnisse vereinigen und die Kirche verjüngen werde. Die guten Bauern von K. wenigstens waren, wie gesagt, nicht der Stoff, in dem sich erhabne Ideen Hütten verwirklichen können, und mir waren die Gottesdienste, die ich dort abhielt, aus den angeführten und aus andern Gründen unerfreulich. Bei einer ziemlich ledernen Unterhaltung, die sich ge¬ wöhnlich um die Missethaten der Ultramontanen und um die von Karlsruhe zu erwartende Hilfe drehte, den Sonnabend Abend zubringen, dann am Sonntag Morgen mit nüchternem Magen zwei Gottesdienste abhalten und dazwischen eine Wagen- und eine Eisenbahnfahrt oder einen Marsch und eine Eisenbahn- fahrt machen, das ist nicht sehr angenehm. Wenn ich, was an Festtagen vorkam, nur in K. rentirte und erst nachmittags von dort wegfuhr, lief ich stets nach der Bahnstation. Denn die dortigen Bauern haben keine Kutschen wie unsre schlesischen, sondern nur Korbwägelchen für Marktfuhren ohne Vor¬ richtung zum Absteigen, und da ich sehr ungeschickt bin, begegnete es mir manch¬ mal, daß der Gaul fortrannte, ehe ich mit dem Herunterklettern fertig war. Einmal nun, als ich meinen Entschluß zu laufen kund gab, sang der Kirchen- Vorsteher .L. gar weinerlich: Rom, toise Se nie—it! — Warum denn nicht? — Joa, die Uldramoudoane socige, die Altkatholiege hoabens nit moal, daß se der Pfarrer könne führe lasse, der muß toise. An Peter und Paul sollten die Leutchen endlich ihren eignen Geistlichen bekommen. Recht behaglich ver¬ zehrte ich am Vorabend bei Geiger mein Abendbrot mit dem Gedanken: Gott sei Dank, daß du das dumme K. los bist, kannst dich nun auch einmal ordent¬ lich auf die Predigt vorbereiten. Da steht der alte Bürgermeister vor mir und singt: Sie müsse jetzt bald mit mir nach K., der neue Geischtlich ischt nit komm«! Unterwegs sagte ich auch diesmal wieder: Passen Sie auf, er wird da sein; vielleicht sitzt er in diesem Zuge. Auf der Endstation stieg richtig ein Geistlicher ans, der offenbar fremd war und sich verlegen umschaute. Nu da sehn sich, sagte ich, da steht er! Ach nein, sagte der Bürgermeister, das wird er wohl nit sein. — Da gehn Sie doch und fragen Sie ihn, er wird Sie ja nicht beißen! Natürlich war ers. Der Geischtlich hielt nicht lange aus, und ich hatte später noch öfter das Vergnügen. Die erstenmale wurde ich beim Abschied gefragt: Was löscht der Jserbocchn? — Bahn zwei Mark, Omnibus vierzig Pfennig, worauf ich einen Thaler bekam, und wenn ich sechzig Pfennig herausgeben wollte, sagte der Vorsteher herablassend: „Nein, behalte Se nur, das schenke mer Ihnen." Im Herbste 1881 erhielt ich ein Schreiben aus K. und eine Quittung über 108 Mark 80 Pfennig, die ich dringend ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/253>, abgerufen am 18.06.2024.