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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mcmilinie

beten wurde unterschrieben zurückzuschicken, da "Großhcrzoglichcr Verwaltungs-
hof" die Kirchenrechnnng eingefordert habe. Ich bat mir eine genaue Rechnung
aus, da ich mich uicht erinnerte, jemals eine solche Summe empfangen zu
haben. Darauf kam ein Nachweis über die Kosten, die ich im Sommer 1878
verursacht haben sollte. Es handelte sich um dreizehn Fälle, meistens Festtage,
an denen der Gottesdienst in Offenburg ausgefallen mar, sodciß ich in K.
nicht zu übernachten brauchte und dort nur ein Mittagsmahl genossen hatte;
ein paar mal war ich übernachtet und hatte also Abendessen und Nachtquartier
bekommen. Und für jede dieser Leistungen hatte sich der Löwenwirt vier Mark
zahlen lassen! Und dieser Löwenwirt war der Sohn und Mitapostel des
apostolischen Bürgermeisters, der sich als opferwilligen und heldenmütigen
Gemeindegrüuder preisen ließ! Verschiedne andre Geistliche, die gutmütiger
waren als ich, hatten die ihnen vorgelegten Quittungen ungeprüft unterschrieben.
"Großherzoglicher Verwaltungshof" scheint die dortige "Gebahrung" nicht ganz
in der Ordnung befunden und Schwierigkeiten gemacht zu haben; einige Zeit
darauf las ich, daß die Gemeinde K. reumütig in den vielgeschmähten römischen
Schafstall zurückgekehrt sei. Ich möchte diese Gemeinde nicht gerade als den
Typus der altkatholischeu Landgemeinden Badens hinstellen. Viele von den
ältern Bauern haben oder hatten damals -- mittlerweile sind die ja wohl
ausgestorben -- einen rationalistischen Religionsunterricht genossen, und die
jüngern waren unter politischen Kämpfen erwachsen, in denen das katholische
Kirchentum als eine vaterlandsfeindliche Macht erschien. Zudem scheinen die
damaligen katholischen Geistlichen Badens nicht das Maß von Achtung genossen
und verdient zu haben, dessen sich die schlesischen und die in Rheinland-West¬
falen erfreuten. So schien es mir nach dem, was ich hörte und las; die
Stadtpfarrer von Offenburg und Konstanz, die ich persönlich kennen lernte,
waren sehr würdige Männer. Unter diesen Umständen mußten, besonders
nach den Ereignissen von 1870, auch viele Bauern in der katholischen Kirche
einen Gewisfensdruck empfinden, den sie dnrch ihren Veitritt zur Altkatholiken¬
gemeinschaft abzuschütteln sich verpflichtet fühlen konnten. Der religiöse Drang
freilich, der sich diesem negativen Beweggründe als positive Ergänzung hätte
hinzugesellen müssen, wenn es zu eiuer kraftvollen und lebensfähigen Neu¬
bildung kommen sollte, der fehlte, und selbst zwölf solche Feuerseeleu, wie
Michelis eine war, hätten ihn nicht zu schaffen vermocht.

(Schluß folgt)




Jenseits der Mcmilinie

beten wurde unterschrieben zurückzuschicken, da „Großhcrzoglichcr Verwaltungs-
hof" die Kirchenrechnnng eingefordert habe. Ich bat mir eine genaue Rechnung
aus, da ich mich uicht erinnerte, jemals eine solche Summe empfangen zu
haben. Darauf kam ein Nachweis über die Kosten, die ich im Sommer 1878
verursacht haben sollte. Es handelte sich um dreizehn Fälle, meistens Festtage,
an denen der Gottesdienst in Offenburg ausgefallen mar, sodciß ich in K.
nicht zu übernachten brauchte und dort nur ein Mittagsmahl genossen hatte;
ein paar mal war ich übernachtet und hatte also Abendessen und Nachtquartier
bekommen. Und für jede dieser Leistungen hatte sich der Löwenwirt vier Mark
zahlen lassen! Und dieser Löwenwirt war der Sohn und Mitapostel des
apostolischen Bürgermeisters, der sich als opferwilligen und heldenmütigen
Gemeindegrüuder preisen ließ! Verschiedne andre Geistliche, die gutmütiger
waren als ich, hatten die ihnen vorgelegten Quittungen ungeprüft unterschrieben.
„Großherzoglicher Verwaltungshof" scheint die dortige „Gebahrung" nicht ganz
in der Ordnung befunden und Schwierigkeiten gemacht zu haben; einige Zeit
darauf las ich, daß die Gemeinde K. reumütig in den vielgeschmähten römischen
Schafstall zurückgekehrt sei. Ich möchte diese Gemeinde nicht gerade als den
Typus der altkatholischeu Landgemeinden Badens hinstellen. Viele von den
ältern Bauern haben oder hatten damals — mittlerweile sind die ja wohl
ausgestorben — einen rationalistischen Religionsunterricht genossen, und die
jüngern waren unter politischen Kämpfen erwachsen, in denen das katholische
Kirchentum als eine vaterlandsfeindliche Macht erschien. Zudem scheinen die
damaligen katholischen Geistlichen Badens nicht das Maß von Achtung genossen
und verdient zu haben, dessen sich die schlesischen und die in Rheinland-West¬
falen erfreuten. So schien es mir nach dem, was ich hörte und las; die
Stadtpfarrer von Offenburg und Konstanz, die ich persönlich kennen lernte,
waren sehr würdige Männer. Unter diesen Umständen mußten, besonders
nach den Ereignissen von 1870, auch viele Bauern in der katholischen Kirche
einen Gewisfensdruck empfinden, den sie dnrch ihren Veitritt zur Altkatholiken¬
gemeinschaft abzuschütteln sich verpflichtet fühlen konnten. Der religiöse Drang
freilich, der sich diesem negativen Beweggründe als positive Ergänzung hätte
hinzugesellen müssen, wenn es zu eiuer kraftvollen und lebensfähigen Neu¬
bildung kommen sollte, der fehlte, und selbst zwölf solche Feuerseeleu, wie
Michelis eine war, hätten ihn nicht zu schaffen vermocht.

(Schluß folgt)




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[0254] Jenseits der Mcmilinie beten wurde unterschrieben zurückzuschicken, da „Großhcrzoglichcr Verwaltungs- hof" die Kirchenrechnnng eingefordert habe. Ich bat mir eine genaue Rechnung aus, da ich mich uicht erinnerte, jemals eine solche Summe empfangen zu haben. Darauf kam ein Nachweis über die Kosten, die ich im Sommer 1878 verursacht haben sollte. Es handelte sich um dreizehn Fälle, meistens Festtage, an denen der Gottesdienst in Offenburg ausgefallen mar, sodciß ich in K. nicht zu übernachten brauchte und dort nur ein Mittagsmahl genossen hatte; ein paar mal war ich übernachtet und hatte also Abendessen und Nachtquartier bekommen. Und für jede dieser Leistungen hatte sich der Löwenwirt vier Mark zahlen lassen! Und dieser Löwenwirt war der Sohn und Mitapostel des apostolischen Bürgermeisters, der sich als opferwilligen und heldenmütigen Gemeindegrüuder preisen ließ! Verschiedne andre Geistliche, die gutmütiger waren als ich, hatten die ihnen vorgelegten Quittungen ungeprüft unterschrieben. „Großherzoglicher Verwaltungshof" scheint die dortige „Gebahrung" nicht ganz in der Ordnung befunden und Schwierigkeiten gemacht zu haben; einige Zeit darauf las ich, daß die Gemeinde K. reumütig in den vielgeschmähten römischen Schafstall zurückgekehrt sei. Ich möchte diese Gemeinde nicht gerade als den Typus der altkatholischeu Landgemeinden Badens hinstellen. Viele von den ältern Bauern haben oder hatten damals — mittlerweile sind die ja wohl ausgestorben — einen rationalistischen Religionsunterricht genossen, und die jüngern waren unter politischen Kämpfen erwachsen, in denen das katholische Kirchentum als eine vaterlandsfeindliche Macht erschien. Zudem scheinen die damaligen katholischen Geistlichen Badens nicht das Maß von Achtung genossen und verdient zu haben, dessen sich die schlesischen und die in Rheinland-West¬ falen erfreuten. So schien es mir nach dem, was ich hörte und las; die Stadtpfarrer von Offenburg und Konstanz, die ich persönlich kennen lernte, waren sehr würdige Männer. Unter diesen Umständen mußten, besonders nach den Ereignissen von 1870, auch viele Bauern in der katholischen Kirche einen Gewisfensdruck empfinden, den sie dnrch ihren Veitritt zur Altkatholiken¬ gemeinschaft abzuschütteln sich verpflichtet fühlen konnten. Der religiöse Drang freilich, der sich diesem negativen Beweggründe als positive Ergänzung hätte hinzugesellen müssen, wenn es zu eiuer kraftvollen und lebensfähigen Neu¬ bildung kommen sollte, der fehlte, und selbst zwölf solche Feuerseeleu, wie Michelis eine war, hätten ihn nicht zu schaffen vermocht. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/254>, abgerufen am 18.06.2024.