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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Maiulinie

andre widmete er einer mittellosen Schwester und ihren Kindern -- darauf,
Bücher drucken zu lassen, die niemand kaufte. Vielleicht bin ich der einzige
Mensch, der seine Bücher von Anfang bis Ende durchstudirt hat. Ich that
es, um darüber zu referiren. Ich sann nach, was er wohl gemeint haben
könne, und was ich gefunden zu haben glaubte, das schrieb ich dann nieder.
Ob ich seine Meinung getroffen habe, weiß ich nicht; protestirt hat er nicht.
Gemerkt habe ich mir aus seiner Philosophie weiter nichts, als daß er die
richtige Definition des Satzes (der Satz besteht nach ihm nicht ans Subjekt
und Prädikat, sondern aus Nomen und Verbum) für den Angelpunkt der
wahren Philosophie hielt; es handelte sich dabei, wenn ich nicht irre, um die
Wichtigkeit der Unterscheidung der shuthetischeu Urteile von den analytischen.
Als er mir zum erstenmale seine Theorie mündlich auseinander gesetzt hatte
und nnn triumphirend fragte: Was sagen Sie dazu? da mußte ich bekennen:
Ich verstehe Sie nicht. So geht es mir nun mit allen Mensken! rief er ent¬
täuscht und verzweifelt, tröstete sich jedoch sofort mit dem Gedanken, daß ich
ihn mit der Zeit noch begreifen lernen würde. Zuletzt kam die große Krisis
von 1870, und von da ab nahmen der Kampf gegen den Ultrcimontanismus
und die Gründung altkatholischer Gemeinden seine ganze Seele ein. Er war
ein Reformator im Sinne der großen OrdenSgründer und eines Johannes
Gerson. Er dachte nicht daran, auch nur ein einziges von den vorvatikanischen
katholischen Dogmen preiszugeben; er wollte ein großes Neformkvnzil, das das
unvollendet gebliebne Werk der Konzilien von Konstanz und Basel vollenden
sollte. Mit den von weltlichen Interessen erfüllten liberalen Honoratioren und
Bnnernbürgermeistern Badens, deren Religion, soweit sie welche haben, ein
flacher Rationalismus ist, hatte er keine Faser gemein, aber das verbarg
ihm sein Optimismus. Wenn er seine Begeisterung vor den dummklugen
Bauern ausströmte, so glaubte er deren eigne Gesinnung auszusprechen;
ganz unbewegt konnten sie ja allerdings nicht bleiben, da die stürmische und
glühende Beredsamkeit einer begeisterten, starken Persönlichkeit stets auf die
Zuhörer Eindruck macht, selbst wenn sie das Gehörte nur sehr unvollkommen
verstehen. Die herzlichste Übereinstimmung mit den Stadtleuten aber, besonders
mit seinen Freiburger Gymnasiallehrern und Juristen, brachte er auf die ein¬
fachste Weise von der Welt zu stände. So oft sie ihm widersprachen, schnäuzte
er sie an und wurde sehr böse. Nun wollten sie um keinen Preis den von
allen, auch von seinen ultramontanen Gegnern hochgeachteten Mann verlieren
und sich der Gefahr aussetzen, einen der jämmerlichen Gesellen zum Pfarrer
zu bekommen, die damals aus österreichischen Klöstern entliefen, um ein alt¬
katholisches Pfarramt samt einem Weibe zu erlangen. So stellten sie denn
jeden Widerspruch ein, hüteten sich vor gefährlichen Diskussionen wie vorm
Feuer und sagten zu allem ja, was Michelis vorbrachte, mochte es ihnen auch
noch so sehr wider den Strich gehen. Und so ist er denn in dem fröhlichen


Jenseits der Maiulinie

andre widmete er einer mittellosen Schwester und ihren Kindern — darauf,
Bücher drucken zu lassen, die niemand kaufte. Vielleicht bin ich der einzige
Mensch, der seine Bücher von Anfang bis Ende durchstudirt hat. Ich that
es, um darüber zu referiren. Ich sann nach, was er wohl gemeint haben
könne, und was ich gefunden zu haben glaubte, das schrieb ich dann nieder.
Ob ich seine Meinung getroffen habe, weiß ich nicht; protestirt hat er nicht.
Gemerkt habe ich mir aus seiner Philosophie weiter nichts, als daß er die
richtige Definition des Satzes (der Satz besteht nach ihm nicht ans Subjekt
und Prädikat, sondern aus Nomen und Verbum) für den Angelpunkt der
wahren Philosophie hielt; es handelte sich dabei, wenn ich nicht irre, um die
Wichtigkeit der Unterscheidung der shuthetischeu Urteile von den analytischen.
Als er mir zum erstenmale seine Theorie mündlich auseinander gesetzt hatte
und nnn triumphirend fragte: Was sagen Sie dazu? da mußte ich bekennen:
Ich verstehe Sie nicht. So geht es mir nun mit allen Mensken! rief er ent¬
täuscht und verzweifelt, tröstete sich jedoch sofort mit dem Gedanken, daß ich
ihn mit der Zeit noch begreifen lernen würde. Zuletzt kam die große Krisis
von 1870, und von da ab nahmen der Kampf gegen den Ultrcimontanismus
und die Gründung altkatholischer Gemeinden seine ganze Seele ein. Er war
ein Reformator im Sinne der großen OrdenSgründer und eines Johannes
Gerson. Er dachte nicht daran, auch nur ein einziges von den vorvatikanischen
katholischen Dogmen preiszugeben; er wollte ein großes Neformkvnzil, das das
unvollendet gebliebne Werk der Konzilien von Konstanz und Basel vollenden
sollte. Mit den von weltlichen Interessen erfüllten liberalen Honoratioren und
Bnnernbürgermeistern Badens, deren Religion, soweit sie welche haben, ein
flacher Rationalismus ist, hatte er keine Faser gemein, aber das verbarg
ihm sein Optimismus. Wenn er seine Begeisterung vor den dummklugen
Bauern ausströmte, so glaubte er deren eigne Gesinnung auszusprechen;
ganz unbewegt konnten sie ja allerdings nicht bleiben, da die stürmische und
glühende Beredsamkeit einer begeisterten, starken Persönlichkeit stets auf die
Zuhörer Eindruck macht, selbst wenn sie das Gehörte nur sehr unvollkommen
verstehen. Die herzlichste Übereinstimmung mit den Stadtleuten aber, besonders
mit seinen Freiburger Gymnasiallehrern und Juristen, brachte er auf die ein¬
fachste Weise von der Welt zu stände. So oft sie ihm widersprachen, schnäuzte
er sie an und wurde sehr böse. Nun wollten sie um keinen Preis den von
allen, auch von seinen ultramontanen Gegnern hochgeachteten Mann verlieren
und sich der Gefahr aussetzen, einen der jämmerlichen Gesellen zum Pfarrer
zu bekommen, die damals aus österreichischen Klöstern entliefen, um ein alt¬
katholisches Pfarramt samt einem Weibe zu erlangen. So stellten sie denn
jeden Widerspruch ein, hüteten sich vor gefährlichen Diskussionen wie vorm
Feuer und sagten zu allem ja, was Michelis vorbrachte, mochte es ihnen auch
noch so sehr wider den Strich gehen. Und so ist er denn in dem fröhlichen


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[0252] Jenseits der Maiulinie andre widmete er einer mittellosen Schwester und ihren Kindern — darauf, Bücher drucken zu lassen, die niemand kaufte. Vielleicht bin ich der einzige Mensch, der seine Bücher von Anfang bis Ende durchstudirt hat. Ich that es, um darüber zu referiren. Ich sann nach, was er wohl gemeint haben könne, und was ich gefunden zu haben glaubte, das schrieb ich dann nieder. Ob ich seine Meinung getroffen habe, weiß ich nicht; protestirt hat er nicht. Gemerkt habe ich mir aus seiner Philosophie weiter nichts, als daß er die richtige Definition des Satzes (der Satz besteht nach ihm nicht ans Subjekt und Prädikat, sondern aus Nomen und Verbum) für den Angelpunkt der wahren Philosophie hielt; es handelte sich dabei, wenn ich nicht irre, um die Wichtigkeit der Unterscheidung der shuthetischeu Urteile von den analytischen. Als er mir zum erstenmale seine Theorie mündlich auseinander gesetzt hatte und nnn triumphirend fragte: Was sagen Sie dazu? da mußte ich bekennen: Ich verstehe Sie nicht. So geht es mir nun mit allen Mensken! rief er ent¬ täuscht und verzweifelt, tröstete sich jedoch sofort mit dem Gedanken, daß ich ihn mit der Zeit noch begreifen lernen würde. Zuletzt kam die große Krisis von 1870, und von da ab nahmen der Kampf gegen den Ultrcimontanismus und die Gründung altkatholischer Gemeinden seine ganze Seele ein. Er war ein Reformator im Sinne der großen OrdenSgründer und eines Johannes Gerson. Er dachte nicht daran, auch nur ein einziges von den vorvatikanischen katholischen Dogmen preiszugeben; er wollte ein großes Neformkvnzil, das das unvollendet gebliebne Werk der Konzilien von Konstanz und Basel vollenden sollte. Mit den von weltlichen Interessen erfüllten liberalen Honoratioren und Bnnernbürgermeistern Badens, deren Religion, soweit sie welche haben, ein flacher Rationalismus ist, hatte er keine Faser gemein, aber das verbarg ihm sein Optimismus. Wenn er seine Begeisterung vor den dummklugen Bauern ausströmte, so glaubte er deren eigne Gesinnung auszusprechen; ganz unbewegt konnten sie ja allerdings nicht bleiben, da die stürmische und glühende Beredsamkeit einer begeisterten, starken Persönlichkeit stets auf die Zuhörer Eindruck macht, selbst wenn sie das Gehörte nur sehr unvollkommen verstehen. Die herzlichste Übereinstimmung mit den Stadtleuten aber, besonders mit seinen Freiburger Gymnasiallehrern und Juristen, brachte er auf die ein¬ fachste Weise von der Welt zu stände. So oft sie ihm widersprachen, schnäuzte er sie an und wurde sehr böse. Nun wollten sie um keinen Preis den von allen, auch von seinen ultramontanen Gegnern hochgeachteten Mann verlieren und sich der Gefahr aussetzen, einen der jämmerlichen Gesellen zum Pfarrer zu bekommen, die damals aus österreichischen Klöstern entliefen, um ein alt¬ katholisches Pfarramt samt einem Weibe zu erlangen. So stellten sie denn jeden Widerspruch ein, hüteten sich vor gefährlichen Diskussionen wie vorm Feuer und sagten zu allem ja, was Michelis vorbrachte, mochte es ihnen auch noch so sehr wider den Strich gehen. Und so ist er denn in dem fröhlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/252>, abgerufen am 18.06.2024.