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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Rede zurecht. Dem Küster aber sagte ich: Daß Sie mich ja nicht früher heraus¬
führen als beim Anfange der letzten Strophe des Liedes! Er giebt mir das
Zeiche"; wir treten vor den Betschemel des Paares, dieses glaubt die heilige
Handlung solle beginnen und steht auf, und nun bilden wir eine Gruppe, die
dem im Beurteilen von Gruppen geübten Bräutigam entsetzlich gewesen sein
muß: ich vor der Braut, der Küster, der ganz hart an die Kniebank getreten
ist und sein dummes, neugieriges Gesicht der Braut so weit wie möglich
entgegenstreckt, vor dem Bräutigam, als Mittelpunkt aber der wie ein Vonqnet
gehaltne Borstenwisch des Küsters, der das Bouquet der Braut unmittelbar
berührt. Hätte ich nun nicht gedacht, daß das Lied zu Ende sei, so wäre ich
zurückgetreten und hätte den Küster mit zurückgezogen, aber das Lied ging
weiter, endlos weiter, und das lebende Bild mit dem Bvrstenwisch in der
Mitte stand der Festversammlung über eine Viertelstunde zur Schan. In mir
kochte es, und die Sätze meiner Rede purzelten im Kopf übereinander; ich
sprach dann, ich wußte nicht was.

Mitunter war mir ja das Festhalten am Alten ganz recht. Die Gebete
und Zeremonien der Karwoche hatten mir immer als der Höhepunkt des
Kircheujahrs gegolten, und da ich den aufgeklärten Offcnburgern damit nicht
kommen durfte, fühlte ich beim Herannahen der Osterzeit eine gewisse Leere;
es war mir daher angenehm, zu erfahren, daß ich diese Gottesdienste in K.
feiern dürfe. Als ich hinkam, fand ich den Professor Michelis dort, den ganz
derselbe Beweggrund aus seinem aufgeklärten Freiburg hingetrieben hatte. Er
verzichtete großmütig zu meinen Gunsten und fuhr nach Freiburg zurück, nach¬
dem wir uns ein paar Stunden angenehm unterhalten hatten. Michelis war
ein großer, starker Mann, ein echter kernhafter Westfale von unbeugsamen
Charakter und kindlichem, menschenfreundlichen Herzen, litt aber an einer Er¬
folglosigkeit seines Wirkens, die nur von der Unverwüstlichkeit seines Optimismus
übertroffen wurde. Er hatte sehr achtungswerte naturwissenschaftliche Kennt¬
nisse, die er zu apologetischen und religiös erbaulichen Zwecken verwandte.
Darin hatte er Glück und Geschick, und hätte er sich aus dieses Fach be¬
schränken können, so würde er als akademischer Lehrer wie als Schriftsteller
an seiner Wirksamkeit Freude erlebt haben. Leider gestatteten ihm das die
Zeitnmstünde nicht, und da führten ihn nun sein lebhaftes Temperament und
sein Thatendrang auf Gebiete, für die er nicht geschaffen war. Zuerst auf
das politische. Er "ahn ein Mandat fürs preußische Abgeordnetenhaus an,
aber weil er nur Heiterkeit erregte, was gerade dem edelsten Enthusiasten in
einer kritischen und voreingenommueu Versammlung von Nichtenthusiasten am
leichtesten begegnet, so packte er eines schönen Tags die Aktenstücke, mit denen
er das gute Recht seiner katholischen Wähler zu beweisen gedacht hatte, zu¬
sammen und lief zur Thür hinaus. Dann warf er sich auf die Reform der
Philosophie und verwendete die eine Hälfte seines kleinen Vermögens -- die


Jenseits der Mainlinie

Rede zurecht. Dem Küster aber sagte ich: Daß Sie mich ja nicht früher heraus¬
führen als beim Anfange der letzten Strophe des Liedes! Er giebt mir das
Zeiche»; wir treten vor den Betschemel des Paares, dieses glaubt die heilige
Handlung solle beginnen und steht auf, und nun bilden wir eine Gruppe, die
dem im Beurteilen von Gruppen geübten Bräutigam entsetzlich gewesen sein
muß: ich vor der Braut, der Küster, der ganz hart an die Kniebank getreten
ist und sein dummes, neugieriges Gesicht der Braut so weit wie möglich
entgegenstreckt, vor dem Bräutigam, als Mittelpunkt aber der wie ein Vonqnet
gehaltne Borstenwisch des Küsters, der das Bouquet der Braut unmittelbar
berührt. Hätte ich nun nicht gedacht, daß das Lied zu Ende sei, so wäre ich
zurückgetreten und hätte den Küster mit zurückgezogen, aber das Lied ging
weiter, endlos weiter, und das lebende Bild mit dem Bvrstenwisch in der
Mitte stand der Festversammlung über eine Viertelstunde zur Schan. In mir
kochte es, und die Sätze meiner Rede purzelten im Kopf übereinander; ich
sprach dann, ich wußte nicht was.

Mitunter war mir ja das Festhalten am Alten ganz recht. Die Gebete
und Zeremonien der Karwoche hatten mir immer als der Höhepunkt des
Kircheujahrs gegolten, und da ich den aufgeklärten Offcnburgern damit nicht
kommen durfte, fühlte ich beim Herannahen der Osterzeit eine gewisse Leere;
es war mir daher angenehm, zu erfahren, daß ich diese Gottesdienste in K.
feiern dürfe. Als ich hinkam, fand ich den Professor Michelis dort, den ganz
derselbe Beweggrund aus seinem aufgeklärten Freiburg hingetrieben hatte. Er
verzichtete großmütig zu meinen Gunsten und fuhr nach Freiburg zurück, nach¬
dem wir uns ein paar Stunden angenehm unterhalten hatten. Michelis war
ein großer, starker Mann, ein echter kernhafter Westfale von unbeugsamen
Charakter und kindlichem, menschenfreundlichen Herzen, litt aber an einer Er¬
folglosigkeit seines Wirkens, die nur von der Unverwüstlichkeit seines Optimismus
übertroffen wurde. Er hatte sehr achtungswerte naturwissenschaftliche Kennt¬
nisse, die er zu apologetischen und religiös erbaulichen Zwecken verwandte.
Darin hatte er Glück und Geschick, und hätte er sich aus dieses Fach be¬
schränken können, so würde er als akademischer Lehrer wie als Schriftsteller
an seiner Wirksamkeit Freude erlebt haben. Leider gestatteten ihm das die
Zeitnmstünde nicht, und da führten ihn nun sein lebhaftes Temperament und
sein Thatendrang auf Gebiete, für die er nicht geschaffen war. Zuerst auf
das politische. Er »ahn ein Mandat fürs preußische Abgeordnetenhaus an,
aber weil er nur Heiterkeit erregte, was gerade dem edelsten Enthusiasten in
einer kritischen und voreingenommueu Versammlung von Nichtenthusiasten am
leichtesten begegnet, so packte er eines schönen Tags die Aktenstücke, mit denen
er das gute Recht seiner katholischen Wähler zu beweisen gedacht hatte, zu¬
sammen und lief zur Thür hinaus. Dann warf er sich auf die Reform der
Philosophie und verwendete die eine Hälfte seines kleinen Vermögens — die


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[0251] Jenseits der Mainlinie Rede zurecht. Dem Küster aber sagte ich: Daß Sie mich ja nicht früher heraus¬ führen als beim Anfange der letzten Strophe des Liedes! Er giebt mir das Zeiche»; wir treten vor den Betschemel des Paares, dieses glaubt die heilige Handlung solle beginnen und steht auf, und nun bilden wir eine Gruppe, die dem im Beurteilen von Gruppen geübten Bräutigam entsetzlich gewesen sein muß: ich vor der Braut, der Küster, der ganz hart an die Kniebank getreten ist und sein dummes, neugieriges Gesicht der Braut so weit wie möglich entgegenstreckt, vor dem Bräutigam, als Mittelpunkt aber der wie ein Vonqnet gehaltne Borstenwisch des Küsters, der das Bouquet der Braut unmittelbar berührt. Hätte ich nun nicht gedacht, daß das Lied zu Ende sei, so wäre ich zurückgetreten und hätte den Küster mit zurückgezogen, aber das Lied ging weiter, endlos weiter, und das lebende Bild mit dem Bvrstenwisch in der Mitte stand der Festversammlung über eine Viertelstunde zur Schan. In mir kochte es, und die Sätze meiner Rede purzelten im Kopf übereinander; ich sprach dann, ich wußte nicht was. Mitunter war mir ja das Festhalten am Alten ganz recht. Die Gebete und Zeremonien der Karwoche hatten mir immer als der Höhepunkt des Kircheujahrs gegolten, und da ich den aufgeklärten Offcnburgern damit nicht kommen durfte, fühlte ich beim Herannahen der Osterzeit eine gewisse Leere; es war mir daher angenehm, zu erfahren, daß ich diese Gottesdienste in K. feiern dürfe. Als ich hinkam, fand ich den Professor Michelis dort, den ganz derselbe Beweggrund aus seinem aufgeklärten Freiburg hingetrieben hatte. Er verzichtete großmütig zu meinen Gunsten und fuhr nach Freiburg zurück, nach¬ dem wir uns ein paar Stunden angenehm unterhalten hatten. Michelis war ein großer, starker Mann, ein echter kernhafter Westfale von unbeugsamen Charakter und kindlichem, menschenfreundlichen Herzen, litt aber an einer Er¬ folglosigkeit seines Wirkens, die nur von der Unverwüstlichkeit seines Optimismus übertroffen wurde. Er hatte sehr achtungswerte naturwissenschaftliche Kennt¬ nisse, die er zu apologetischen und religiös erbaulichen Zwecken verwandte. Darin hatte er Glück und Geschick, und hätte er sich aus dieses Fach be¬ schränken können, so würde er als akademischer Lehrer wie als Schriftsteller an seiner Wirksamkeit Freude erlebt haben. Leider gestatteten ihm das die Zeitnmstünde nicht, und da führten ihn nun sein lebhaftes Temperament und sein Thatendrang auf Gebiete, für die er nicht geschaffen war. Zuerst auf das politische. Er »ahn ein Mandat fürs preußische Abgeordnetenhaus an, aber weil er nur Heiterkeit erregte, was gerade dem edelsten Enthusiasten in einer kritischen und voreingenommueu Versammlung von Nichtenthusiasten am leichtesten begegnet, so packte er eines schönen Tags die Aktenstücke, mit denen er das gute Recht seiner katholischen Wähler zu beweisen gedacht hatte, zu¬ sammen und lief zur Thür hinaus. Dann warf er sich auf die Reform der Philosophie und verwendete die eine Hälfte seines kleinen Vermögens — die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/251>, abgerufen am 18.06.2024.