Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Dunkler Vrang nach einem guten Rechtsweg ein Zusammenstoß mit Beschädigung von Betriebsmitteln und Gütern aber Ein Förster, der einem kranken Wild während dessen vvrgeschriebner Schon¬ In neuester Zeit haben wir aus Zeitungsnachrichten erfahren, daß nach Grenzboten I 18"? 17
Dunkler Vrang nach einem guten Rechtsweg ein Zusammenstoß mit Beschädigung von Betriebsmitteln und Gütern aber Ein Förster, der einem kranken Wild während dessen vvrgeschriebner Schon¬ In neuester Zeit haben wir aus Zeitungsnachrichten erfahren, daß nach Grenzboten I 18»? 17
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224383"/> <fw type="header" place="top"> Dunkler Vrang nach einem guten Rechtsweg</fw><lb/> <p xml:id="ID_378" prev="#ID_377"> ein Zusammenstoß mit Beschädigung von Betriebsmitteln und Gütern aber<lb/> ohne Verletzung eines Menschen erfolgte. Ist jedoch durch den Zusammenstoß<lb/> auch eine Körperverletzung eingetreten, so hat er sich durch eiuunddieselbe Nach¬<lb/> lässigkeit bei der Ausübung seiner Berufspflichten sowohl der Gefährdung eines<lb/> Eisenbahntransports, als auch der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht,<lb/> und es ist dann für Bemessung seiner Strafe nur der § 230 des Strafgesetz¬<lb/> buchs maßgebend, wonach die fahrlässige Körperverletzung bis zu drei Jahren<lb/> Gefängnis bestraft werden kann. Nun läßt aber dieser § 230 als mindeste<lb/> Strafe nicht wie der Z 316 einen Tag Gefängnis, sondern drei Mark Geld¬<lb/> buße zu. Es fragt sich nun, ob mau bei folgerichtigem Denken von der gesetz¬<lb/> lichen Befugnis, auf Geld- statt auf Freiheitsstrafe zu erkennen, Gebrauch machen<lb/> darf, oder ob dies wider die gesunde Vernunft streitet. Kein Laie wird es für<lb/> zulässig halten, bei dem vorgetragnen Vergehen auf drei Mark Geldbuße zu<lb/> erkennen, denn er sagt sich schlicht und einfach, daß die Fahrlässigkeit nicht<lb/> deshalb milder bestraft werden darf, weil sie ein größeres Unheil angerichtet<lb/> hat. Die Berufsjustiz kommt zu einem andern Ergebnis, sie hat wiederholt<lb/> in Fällen, deren Rechtslage dem geschilderten glich, auf eine geringfügige Geld¬<lb/> strafe erkannt, und auch das Reichsgericht hat die gesetzliche Zulässigkeit der¬<lb/> artiger Strafen nicht beanstandet. Möge der Leser urteilen, ob solche Recht¬<lb/> sprechung nicht ein schützenswerter Beweis dasür ist, daß sich die rechtsgelehrten<lb/> Folgerungen in scholastischen Bahnen bewegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_379"> Ein Förster, der einem kranken Wild während dessen vvrgeschriebner Schon¬<lb/> zeit aus Mitleid den Fangschuß gegeben hatte, war von den Vvrinstanzen frei¬<lb/> gesprochen worden, wurde aber vom Kammergericht endgiltig verurteilt. Er<lb/> hatte den Buchstaben des Gesetzes verletzt, denn er hatte während der Schon¬<lb/> zeit ein Wild getötet. Nach dem Buchstaben des Gesetzes begeht auch der<lb/> Scharfrichter Reindel bei jeder Hinrichtung einen Mord, er erfüllt den That¬<lb/> bestand des § 211 des Strafgesetzbuchs, deun er führt die Tötung eines<lb/> Menschen vorsätzlich und mit Überlegung aus. Ihm steht lediglich ein un¬<lb/> geschriebner Schuldausschließungsgrund zur Seite, daß nämlich seine Handlung<lb/> keine rechtswidrige ist. Sollte dem Förster, der nicht jagen, sondern eine arme<lb/> Kreatur vou Qualen befreien wollte, uicht auch jener ungeschriebne Schuld¬<lb/> ausschließungsgrund zur Seite stehen, daß er nicht rechtswidrig gehandelt habe?</p><lb/> <p xml:id="ID_380" next="#ID_381"> In neuester Zeit haben wir aus Zeitungsnachrichten erfahren, daß nach<lb/> einem Urteil des Reichsgerichts die Entwertung elektrischer Energie kein Dieb¬<lb/> stahl sei und nach den bestehenden Gesetzen straflos bleiben müsse. Diebstahl<lb/> begeht, wer eine fremde bewegliche Sache in der Absicht rechtswidriger Zu¬<lb/> eignung wegnimmt. Der elektrische Strom ist zwar beweglich, er soll aber<lb/> keine Sache sein und deshalb an ihm nach der Begriffsbestimmung des Straf¬<lb/> gesetzes auch kein Diebstahl begangen werden können. Der jedoch, dem die<lb/> rechtmäßige ausschließliche Herrschaft an irgend welcher elektrischen Energie zu-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 18»? 17</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
Dunkler Vrang nach einem guten Rechtsweg
ein Zusammenstoß mit Beschädigung von Betriebsmitteln und Gütern aber
ohne Verletzung eines Menschen erfolgte. Ist jedoch durch den Zusammenstoß
auch eine Körperverletzung eingetreten, so hat er sich durch eiuunddieselbe Nach¬
lässigkeit bei der Ausübung seiner Berufspflichten sowohl der Gefährdung eines
Eisenbahntransports, als auch der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht,
und es ist dann für Bemessung seiner Strafe nur der § 230 des Strafgesetz¬
buchs maßgebend, wonach die fahrlässige Körperverletzung bis zu drei Jahren
Gefängnis bestraft werden kann. Nun läßt aber dieser § 230 als mindeste
Strafe nicht wie der Z 316 einen Tag Gefängnis, sondern drei Mark Geld¬
buße zu. Es fragt sich nun, ob mau bei folgerichtigem Denken von der gesetz¬
lichen Befugnis, auf Geld- statt auf Freiheitsstrafe zu erkennen, Gebrauch machen
darf, oder ob dies wider die gesunde Vernunft streitet. Kein Laie wird es für
zulässig halten, bei dem vorgetragnen Vergehen auf drei Mark Geldbuße zu
erkennen, denn er sagt sich schlicht und einfach, daß die Fahrlässigkeit nicht
deshalb milder bestraft werden darf, weil sie ein größeres Unheil angerichtet
hat. Die Berufsjustiz kommt zu einem andern Ergebnis, sie hat wiederholt
in Fällen, deren Rechtslage dem geschilderten glich, auf eine geringfügige Geld¬
strafe erkannt, und auch das Reichsgericht hat die gesetzliche Zulässigkeit der¬
artiger Strafen nicht beanstandet. Möge der Leser urteilen, ob solche Recht¬
sprechung nicht ein schützenswerter Beweis dasür ist, daß sich die rechtsgelehrten
Folgerungen in scholastischen Bahnen bewegen.
Ein Förster, der einem kranken Wild während dessen vvrgeschriebner Schon¬
zeit aus Mitleid den Fangschuß gegeben hatte, war von den Vvrinstanzen frei¬
gesprochen worden, wurde aber vom Kammergericht endgiltig verurteilt. Er
hatte den Buchstaben des Gesetzes verletzt, denn er hatte während der Schon¬
zeit ein Wild getötet. Nach dem Buchstaben des Gesetzes begeht auch der
Scharfrichter Reindel bei jeder Hinrichtung einen Mord, er erfüllt den That¬
bestand des § 211 des Strafgesetzbuchs, deun er führt die Tötung eines
Menschen vorsätzlich und mit Überlegung aus. Ihm steht lediglich ein un¬
geschriebner Schuldausschließungsgrund zur Seite, daß nämlich seine Handlung
keine rechtswidrige ist. Sollte dem Förster, der nicht jagen, sondern eine arme
Kreatur vou Qualen befreien wollte, uicht auch jener ungeschriebne Schuld¬
ausschließungsgrund zur Seite stehen, daß er nicht rechtswidrig gehandelt habe?
In neuester Zeit haben wir aus Zeitungsnachrichten erfahren, daß nach
einem Urteil des Reichsgerichts die Entwertung elektrischer Energie kein Dieb¬
stahl sei und nach den bestehenden Gesetzen straflos bleiben müsse. Diebstahl
begeht, wer eine fremde bewegliche Sache in der Absicht rechtswidriger Zu¬
eignung wegnimmt. Der elektrische Strom ist zwar beweglich, er soll aber
keine Sache sein und deshalb an ihm nach der Begriffsbestimmung des Straf¬
gesetzes auch kein Diebstahl begangen werden können. Der jedoch, dem die
rechtmäßige ausschließliche Herrschaft an irgend welcher elektrischen Energie zu-
Grenzboten I 18»? 17
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