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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

steht, wird diese Energie ganz richtig als einen Bestandteil seines Vermögens
auffassen. Juristisch wird mit dem Begriff Sache häufig ein weiterer Sinn
als der gewöhnliche verbunden. Im weitern Sinne wird jeder Vermögens¬
bestandteil zu den Sachen gerechnet, also sogar ein Forderuugsrecht, das in
der Verpflichtung des Schuldners an den Gläubiger besteht und kein sinnlich
greifbares, sondern ein rein geistiges Band der Verpflichtung zu seinem Inhalt
hat. Das preußische Allgemeine Landrecht sagt im Z 1 Titel 2 Teil I:
Sache überhaupt heißt im Sinne des Gesetzes alles, was der Gegenstand eines
Rechts oder einer Verbindlichkeit sein kann. Es ist Wohl möglich, daß bei
Abfassung des Strafgesetzbuchs an die elektrische Energie nicht gedacht worden
ist und der Gesetzgeber den Begriff der Sache ursprünglich enger zu fassen
beabsichtigte, sodaß sie ihm mit einem körperlichen Gegenstande gleichbedeutend
war. Er hat aber doch den Ausdruck Sache gewählt, sodaß man sich nicht
einmal mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch setzt, wenn die recht¬
mäßige Herrschaft über die elektrische Energie unter den unentbehrlichen Eigen¬
tumsschutz gestellt und deren Entwertung als Diebstahl bestraft wird. Man
mag es gegenüber der noch gänzlich unentschiednen Frage, was denn eigentlich
Elektrizität sei, für wohlbegründet und sogar für recht geistreich halten, daß das
Urteil des Reichsgerichts den elektrischen Strom, obwohl er sinnlich wahrnehm¬
bar ist, nicht unter die körperlichen Gegenstände rechnet. Aber darauf kommt
es doch juristisch weniger an, als auf die Vermeidung des überraschenden Er¬
gebnisses, daß die Entwertung einer meßbaren Menge wirksamster wirtschaft¬
licher Kraft straflos sei.

Die Meinung, daß es mit unsrer Strafrechtspflege so nicht weiter gehen
könne, hat sich selbst der Verbündeten Regierungen bemächtigt. Es wurde eine
Justiznovelle ausgearbeitet und dann zwei Jahre lang in der Reichstagskom¬
mission beraten. Schon bei der zweiten Lesung in dem schwach besetzten Hause
schnitt die Regierung, wie wohl noch jedermann im Gedächtnis sein wird, mit
ihren Vorschlägen recht schlecht ab. Die Juristen hatten es natürlich wieder
unter sich abgemacht, was und wie geändert werden sollte. Die Negierung
sprach nach ihrem ersten Mißerfolg in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung
den Juristen die Befähigung zu einer praktisch brauchbaren gesetzgeberischen
Arbeit ab. Sie hoffte in der dritten Lesung, wenn die Reichstagsboten zahl¬
reicher erschienen fein und die Stimmen der Laien den Ausschlag geben würden,
mehr Verständnis für ihre Vorlage zu finden. Diese gelegentliche Absage an
die Juristen stimmt aber doch wohl kaum mit dem in diesem und den beiden
vorhergehenden Aufsätzen vertretenen Grundsatz überein, sondern war eher
etwas Spiegelfechterei. Die Novelle selbst ist vou Berufsjuristen ausgearbeitet,
ist nichts weiter als ein grundsatzloses Flickwerk, in dessen Einzelheiten
sich überhaupt niemand anders als ein Berufsjnrist zurechtfinden konnte.
Die Novelle trügt kein Bedenken, die Urteilsfähigkeit der Schwurgerichte zu


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

steht, wird diese Energie ganz richtig als einen Bestandteil seines Vermögens
auffassen. Juristisch wird mit dem Begriff Sache häufig ein weiterer Sinn
als der gewöhnliche verbunden. Im weitern Sinne wird jeder Vermögens¬
bestandteil zu den Sachen gerechnet, also sogar ein Forderuugsrecht, das in
der Verpflichtung des Schuldners an den Gläubiger besteht und kein sinnlich
greifbares, sondern ein rein geistiges Band der Verpflichtung zu seinem Inhalt
hat. Das preußische Allgemeine Landrecht sagt im Z 1 Titel 2 Teil I:
Sache überhaupt heißt im Sinne des Gesetzes alles, was der Gegenstand eines
Rechts oder einer Verbindlichkeit sein kann. Es ist Wohl möglich, daß bei
Abfassung des Strafgesetzbuchs an die elektrische Energie nicht gedacht worden
ist und der Gesetzgeber den Begriff der Sache ursprünglich enger zu fassen
beabsichtigte, sodaß sie ihm mit einem körperlichen Gegenstande gleichbedeutend
war. Er hat aber doch den Ausdruck Sache gewählt, sodaß man sich nicht
einmal mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch setzt, wenn die recht¬
mäßige Herrschaft über die elektrische Energie unter den unentbehrlichen Eigen¬
tumsschutz gestellt und deren Entwertung als Diebstahl bestraft wird. Man
mag es gegenüber der noch gänzlich unentschiednen Frage, was denn eigentlich
Elektrizität sei, für wohlbegründet und sogar für recht geistreich halten, daß das
Urteil des Reichsgerichts den elektrischen Strom, obwohl er sinnlich wahrnehm¬
bar ist, nicht unter die körperlichen Gegenstände rechnet. Aber darauf kommt
es doch juristisch weniger an, als auf die Vermeidung des überraschenden Er¬
gebnisses, daß die Entwertung einer meßbaren Menge wirksamster wirtschaft¬
licher Kraft straflos sei.

Die Meinung, daß es mit unsrer Strafrechtspflege so nicht weiter gehen
könne, hat sich selbst der Verbündeten Regierungen bemächtigt. Es wurde eine
Justiznovelle ausgearbeitet und dann zwei Jahre lang in der Reichstagskom¬
mission beraten. Schon bei der zweiten Lesung in dem schwach besetzten Hause
schnitt die Regierung, wie wohl noch jedermann im Gedächtnis sein wird, mit
ihren Vorschlägen recht schlecht ab. Die Juristen hatten es natürlich wieder
unter sich abgemacht, was und wie geändert werden sollte. Die Negierung
sprach nach ihrem ersten Mißerfolg in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung
den Juristen die Befähigung zu einer praktisch brauchbaren gesetzgeberischen
Arbeit ab. Sie hoffte in der dritten Lesung, wenn die Reichstagsboten zahl¬
reicher erschienen fein und die Stimmen der Laien den Ausschlag geben würden,
mehr Verständnis für ihre Vorlage zu finden. Diese gelegentliche Absage an
die Juristen stimmt aber doch wohl kaum mit dem in diesem und den beiden
vorhergehenden Aufsätzen vertretenen Grundsatz überein, sondern war eher
etwas Spiegelfechterei. Die Novelle selbst ist vou Berufsjuristen ausgearbeitet,
ist nichts weiter als ein grundsatzloses Flickwerk, in dessen Einzelheiten
sich überhaupt niemand anders als ein Berufsjnrist zurechtfinden konnte.
Die Novelle trügt kein Bedenken, die Urteilsfähigkeit der Schwurgerichte zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/138>, abgerufen am 27.09.2024.