Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Juristische Randbemerkungen zinn Fall Aotze Den hebt mir auf, sprach Polyphem, Über die amtlichen Beziehungen des Herrn Drescher zu dem Kotzischen Will man denn wirklich glaube", daß sich diese ganze stattliche Reihe hoch¬ Juristische Randbemerkungen zinn Fall Aotze Den hebt mir auf, sprach Polyphem, Über die amtlichen Beziehungen des Herrn Drescher zu dem Kotzischen Will man denn wirklich glaube», daß sich diese ganze stattliche Reihe hoch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223661"/> <fw type="header" place="top"> Juristische Randbemerkungen zinn Fall Aotze</fw><lb/> <quote> Den hebt mir auf, sprach Polyphem,<lb/> Daß ich zuletzt ihn speise.</quote><lb/> <p xml:id="ID_214"> Über die amtlichen Beziehungen des Herrn Drescher zu dem Kotzischen<lb/> Prozesse teilt uns Friedmann folgendes mit. Herr v. Schrader hatte bei<lb/> ihm, als der zuständigen Instanz, eine Anzeige gegen den nicht mehr der<lb/> Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehenden Rittmeister a. D. Dietrich von Kotze,<lb/> einen Vetter des Zeremonienmeisters, erstattet, indem er ihn beschuldigte,<lb/> seinem Vetter bei dessen angeblichen Vergehen Hilfe geleistet zu haben. Hier¬<lb/> durch wurde Herr Drescher amtlich mit der ganzen Kvtzischen Angelegen¬<lb/> heit befaßt, und wir erfahren nun von Friedmann, daß Herr Drescher trotz<lb/> der durch das Kriegsgericht erfolgten Freisprechung nicht aufgehört habe, vou<lb/> der Schuld des Herrn Leberecht v. Kotze überzeugt zu sein; er habe wieder¬<lb/> holt erklärt, daß er die Ansicht des Auditeurs Heinrich teile. Auch Herr<lb/> Drescher muß sich dafür, daß er pflichtgemäß aus seiner Überzeugung kein<lb/> Hehl gemacht hat, mancherlei wohlfeilen Spott über die Überzeugungen preu¬<lb/> ßischer Staatsanwälte gefallen lassen, die es eben nicht nötig hätten, sich dar¬<lb/> über Skrupel zu machen. Nun, wer die Überzeugungen andrer nicht ehrt, und<lb/> überall nichts als Hohn und Spott für sie hat, wenn sie das Unglück haben,<lb/> von den seinigen abzuweichen, der mag sich hüte», daß es seiner Überzeugung<lb/> nicht ebenso ergeht. Denn wer überhaupt nicht mehr an Unabhängigkeit und<lb/> Gewissenhaftigkeit fremder Überzeugungen zu glauben vermag, muß den Ver¬<lb/> dacht erwecken, daß er bei sich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie leicht es<lb/> manche Leute mit dem nehmen, was sie ihre Überzeugung zu nennen belieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Will man denn wirklich glaube», daß sich diese ganze stattliche Reihe hoch¬<lb/> gestellter und unparteiischer, mit dem Leben und seinen Verhältnissen vertrauter,<lb/> im Prüfen wie im Urteilen geübter Männer, deren keinem Herr v. Kotze<lb/> jemals etwas zuleide gethan hatte, in einer so ernsten Sache einer eignen<lb/> gewissenhaften Prüfung entschlagen und sich blindlings vou dem Haffe des<lb/> Herrn v. Schrader ins schleppten hätten nehmen lassen? Würde einer<lb/> solchen lächerlichen Annahme gegenüber nicht das von Friedmann an einer<lb/> höchst ungeeigneten Stelle gebrauchte Wort Nonsens an seinem Platze sein?<lb/> Es ist sehr zu beklagen, daß sich Friedmann, nachdem er sich einmal von<lb/> der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden erachtet hatte, uicht der dank¬<lb/> baren Mühe unterzogen hat, uns das zu geben, was wirklich Wert gehabt<lb/> hätte: einen treuen, aktcnmäßigeu und vor allein vollständigen Bericht über<lb/> den gesamten wesentlichen Prozeßstoff. Erst hieraus würde mau ein Urteil<lb/> über die Gesamtheit der Nerdachtsgründe, die sür die Schuld des Herrn<lb/> v. Kotze zu sprechen schienen, und über die größere und geringere Bedeutung<lb/> gewinnen können, die jedem einzelnen von ihnen, vor allem aber ihrer Ge¬<lb/> samtheit beigemessen werden durste. Gegenwärtig haben wir nicht die geringste<lb/> Gewähr dafür, daß uns Friedmauu mit allen oder auch nur mit den wehend-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
Juristische Randbemerkungen zinn Fall Aotze
Den hebt mir auf, sprach Polyphem,
Daß ich zuletzt ihn speise.
Über die amtlichen Beziehungen des Herrn Drescher zu dem Kotzischen
Prozesse teilt uns Friedmann folgendes mit. Herr v. Schrader hatte bei
ihm, als der zuständigen Instanz, eine Anzeige gegen den nicht mehr der
Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehenden Rittmeister a. D. Dietrich von Kotze,
einen Vetter des Zeremonienmeisters, erstattet, indem er ihn beschuldigte,
seinem Vetter bei dessen angeblichen Vergehen Hilfe geleistet zu haben. Hier¬
durch wurde Herr Drescher amtlich mit der ganzen Kvtzischen Angelegen¬
heit befaßt, und wir erfahren nun von Friedmann, daß Herr Drescher trotz
der durch das Kriegsgericht erfolgten Freisprechung nicht aufgehört habe, vou
der Schuld des Herrn Leberecht v. Kotze überzeugt zu sein; er habe wieder¬
holt erklärt, daß er die Ansicht des Auditeurs Heinrich teile. Auch Herr
Drescher muß sich dafür, daß er pflichtgemäß aus seiner Überzeugung kein
Hehl gemacht hat, mancherlei wohlfeilen Spott über die Überzeugungen preu¬
ßischer Staatsanwälte gefallen lassen, die es eben nicht nötig hätten, sich dar¬
über Skrupel zu machen. Nun, wer die Überzeugungen andrer nicht ehrt, und
überall nichts als Hohn und Spott für sie hat, wenn sie das Unglück haben,
von den seinigen abzuweichen, der mag sich hüte», daß es seiner Überzeugung
nicht ebenso ergeht. Denn wer überhaupt nicht mehr an Unabhängigkeit und
Gewissenhaftigkeit fremder Überzeugungen zu glauben vermag, muß den Ver¬
dacht erwecken, daß er bei sich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie leicht es
manche Leute mit dem nehmen, was sie ihre Überzeugung zu nennen belieben.
Will man denn wirklich glaube», daß sich diese ganze stattliche Reihe hoch¬
gestellter und unparteiischer, mit dem Leben und seinen Verhältnissen vertrauter,
im Prüfen wie im Urteilen geübter Männer, deren keinem Herr v. Kotze
jemals etwas zuleide gethan hatte, in einer so ernsten Sache einer eignen
gewissenhaften Prüfung entschlagen und sich blindlings vou dem Haffe des
Herrn v. Schrader ins schleppten hätten nehmen lassen? Würde einer
solchen lächerlichen Annahme gegenüber nicht das von Friedmann an einer
höchst ungeeigneten Stelle gebrauchte Wort Nonsens an seinem Platze sein?
Es ist sehr zu beklagen, daß sich Friedmann, nachdem er sich einmal von
der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden erachtet hatte, uicht der dank¬
baren Mühe unterzogen hat, uns das zu geben, was wirklich Wert gehabt
hätte: einen treuen, aktcnmäßigeu und vor allein vollständigen Bericht über
den gesamten wesentlichen Prozeßstoff. Erst hieraus würde mau ein Urteil
über die Gesamtheit der Nerdachtsgründe, die sür die Schuld des Herrn
v. Kotze zu sprechen schienen, und über die größere und geringere Bedeutung
gewinnen können, die jedem einzelnen von ihnen, vor allem aber ihrer Ge¬
samtheit beigemessen werden durste. Gegenwärtig haben wir nicht die geringste
Gewähr dafür, daß uns Friedmauu mit allen oder auch nur mit den wehend-
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