Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Juristische Rnndbemerkungon zum Fall Aotze liebsten dieser Gründe überhaupt bekannt gemacht und sich nicht vielmehr darauf Wir sind also genötigt, da er uns zuverlässige und vollständige Unter¬ Sehr bald nach der Verhaftung des Angeschuldigten hatte der sofort zur Wenn man dieses Gutachten gelten ließ -- und es fiel ungeachtet der Die Strafprozeßordnung unterscheidet wie der Sprachgebrauch des täg¬ Juristische Rnndbemerkungon zum Fall Aotze liebsten dieser Gründe überhaupt bekannt gemacht und sich nicht vielmehr darauf Wir sind also genötigt, da er uns zuverlässige und vollständige Unter¬ Sehr bald nach der Verhaftung des Angeschuldigten hatte der sofort zur Wenn man dieses Gutachten gelten ließ — und es fiel ungeachtet der Die Strafprozeßordnung unterscheidet wie der Sprachgebrauch des täg¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223662"/> <fw type="header" place="top"> Juristische Rnndbemerkungon zum Fall Aotze</fw><lb/> <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> liebsten dieser Gründe überhaupt bekannt gemacht und sich nicht vielmehr darauf<lb/> beschränkt habe, die herauszugreifen, die ihm am nächsten lagen, und deren<lb/> Widerlegung ihm die geringsten Schwierigkeiten zu bieten schien. Seine im<lb/> ungünstigsten Sinne fcuilletonistische Behandlung eines so ernsten Falles und<lb/> die erschreckende Unzuverlässigkeit, die den juristischen Teil seiner Ausführungen<lb/> kennzeichnet, mahnt auch auf thatsächlichem Gebiete zum äußersten Mißtrauen<lb/> gegen eine Darstellung, die sich nirgends bemüht, objektiv zu sein und von der<lb/> ersten bis zur letzten Zeile den Stempel der Tendenz trägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_217"> Wir sind also genötigt, da er uns zuverlässige und vollständige Unter¬<lb/> lagen für eine eigne Nachprüfung nicht bietet, uus an die feststehende That¬<lb/> sache zu halten, daß eine Anzahl unparteiischer Männer, die mit dem Inhalte<lb/> der Akten genau vertraut waren, und deren Urteilsfähigkeit unbestritten ist, über<lb/> das Gewicht der gegen den Angeschuldigten sprechenden Verdachtsgründe durch¬<lb/> aus andrer Meinung gewesen sind als der Verteidiger — eine Erscheinung,<lb/> die, wie ich glaube, nicht gerade selten ist. Wir aber können, da uns zur<lb/> Bildung eines selbständigen Urteils so gut wie alle Voraussetzungen fehlen, in<lb/> der That nichts andres thun, als dieses indirekte Ergebnis gebührend zu wür¬<lb/> digen und es bei der Beantwortung der Frage, ob die Militärjustiz in der<lb/> That der Vorwurf der Voreiligkeit und der Leichtfertigkeit trifft, seinem ganzen<lb/> Gewichte nach zu berücksichtigen. Hieran würde auch dann nichts wesentliches<lb/> geändert werden, wenn der erste Gerichtsherr, General v. Pape, in der That,<lb/> wie Friedenau«? anzunehmen scheint, die allgemeine Überzeugung nicht geteilt<lb/> haben sollte. Aber dies folgt auch keineswegs aus den von Friedmann mit¬<lb/> geteilten Thatsachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_218"> Sehr bald nach der Verhaftung des Angeschuldigten hatte der sofort zur<lb/> Prüfung der Handschriften berufne Sachverständige Langenbnch sein Gutachten<lb/> dahin erstattet: daß die vor der Verhaftung des Herrn v. Kotze verbreiteten<lb/> anonymen Briefe nicht von seiner Hand herrührten, und daß die nach seiner Ver¬<lb/> haftung verbreiteten Briefe von derselben Hand wie die frühern geschrieben seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_219"> Wenn man dieses Gutachten gelten ließ — und es fiel ungeachtet der<lb/> allgemein anerkannten Unzuverlässigkeit des Beweismittels der Schriftver¬<lb/> gleichung immerhin ins Gewicht — so folgte daraus unmittelbar, daß auch<lb/> der Abdruck der anonymen Schriften auf den Löschblättern nicht von dem<lb/> Angeschuldigten herrühren, also auch nichts gegen ihn beweisen konnte, und<lb/> damit mußte der durch die Löschblätter begründete dringende Verdacht, daß<lb/> er der Thäter sei, allerdings als beseitigt erscheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_220" next="#ID_221"> Die Strafprozeßordnung unterscheidet wie der Sprachgebrauch des täg¬<lb/> lichen Lebens verschiedne Stärkegrade des Verdachts; sie spricht an der einen<lb/> Stelle von hinreichenden, an andrer Stelle dagegen von dringenden Ver¬<lb/> dachtsgründen und knüpft an diese Unterscheidung die wichtigsten praktischen<lb/> Folgen. Denn während die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 201 der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0078]
Juristische Rnndbemerkungon zum Fall Aotze
liebsten dieser Gründe überhaupt bekannt gemacht und sich nicht vielmehr darauf
beschränkt habe, die herauszugreifen, die ihm am nächsten lagen, und deren
Widerlegung ihm die geringsten Schwierigkeiten zu bieten schien. Seine im
ungünstigsten Sinne fcuilletonistische Behandlung eines so ernsten Falles und
die erschreckende Unzuverlässigkeit, die den juristischen Teil seiner Ausführungen
kennzeichnet, mahnt auch auf thatsächlichem Gebiete zum äußersten Mißtrauen
gegen eine Darstellung, die sich nirgends bemüht, objektiv zu sein und von der
ersten bis zur letzten Zeile den Stempel der Tendenz trägt.
Wir sind also genötigt, da er uns zuverlässige und vollständige Unter¬
lagen für eine eigne Nachprüfung nicht bietet, uus an die feststehende That¬
sache zu halten, daß eine Anzahl unparteiischer Männer, die mit dem Inhalte
der Akten genau vertraut waren, und deren Urteilsfähigkeit unbestritten ist, über
das Gewicht der gegen den Angeschuldigten sprechenden Verdachtsgründe durch¬
aus andrer Meinung gewesen sind als der Verteidiger — eine Erscheinung,
die, wie ich glaube, nicht gerade selten ist. Wir aber können, da uns zur
Bildung eines selbständigen Urteils so gut wie alle Voraussetzungen fehlen, in
der That nichts andres thun, als dieses indirekte Ergebnis gebührend zu wür¬
digen und es bei der Beantwortung der Frage, ob die Militärjustiz in der
That der Vorwurf der Voreiligkeit und der Leichtfertigkeit trifft, seinem ganzen
Gewichte nach zu berücksichtigen. Hieran würde auch dann nichts wesentliches
geändert werden, wenn der erste Gerichtsherr, General v. Pape, in der That,
wie Friedenau«? anzunehmen scheint, die allgemeine Überzeugung nicht geteilt
haben sollte. Aber dies folgt auch keineswegs aus den von Friedmann mit¬
geteilten Thatsachen.
Sehr bald nach der Verhaftung des Angeschuldigten hatte der sofort zur
Prüfung der Handschriften berufne Sachverständige Langenbnch sein Gutachten
dahin erstattet: daß die vor der Verhaftung des Herrn v. Kotze verbreiteten
anonymen Briefe nicht von seiner Hand herrührten, und daß die nach seiner Ver¬
haftung verbreiteten Briefe von derselben Hand wie die frühern geschrieben seien.
Wenn man dieses Gutachten gelten ließ — und es fiel ungeachtet der
allgemein anerkannten Unzuverlässigkeit des Beweismittels der Schriftver¬
gleichung immerhin ins Gewicht — so folgte daraus unmittelbar, daß auch
der Abdruck der anonymen Schriften auf den Löschblättern nicht von dem
Angeschuldigten herrühren, also auch nichts gegen ihn beweisen konnte, und
damit mußte der durch die Löschblätter begründete dringende Verdacht, daß
er der Thäter sei, allerdings als beseitigt erscheinen.
Die Strafprozeßordnung unterscheidet wie der Sprachgebrauch des täg¬
lichen Lebens verschiedne Stärkegrade des Verdachts; sie spricht an der einen
Stelle von hinreichenden, an andrer Stelle dagegen von dringenden Ver¬
dachtsgründen und knüpft an diese Unterscheidung die wichtigsten praktischen
Folgen. Denn während die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 201 der
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