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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Schülern eine deutliche, zusammenhängende, begründete Anschauung von einem
ganzen Werke zu geben, denn darauf sind die bessern Schulaufgaben einge¬
richtet; wir sind in der Lage, alle die pädagogischen Vorteile, die aus
der Kenntnis und dem Studium eines abgerundeten Ganzen erwachsen, der
Schule zuzuführen, und dadurch erst ist die neusprachliche Lektüre in den
Stand gesetzt worden, ähnliche bildende Wirkungen zu erzielen, wie sie die
Lektüre der lateinischen und griechischen Klassiker lange übt. Das alles würde
aufhören, wenn die französischen Verlagsbuchhändler mit ihrem Begehren durch¬
drängen.

Es könnte nun jemand einwenden, ich Hütte bei dieser grellen Schilderung
eines möglichen Zustandes nicht berücksichtigt, daß man, wenn die deutschen
Schulaufgaben verboten sein werden, ja zu den Originalausgaben seine Zuflucht
nehmen könne. Ich führe diesen EinWurf bloß an, damit er nicht unerwähnt
bleibt. Er ist für jeden Kundigen hinfällig. Es mag sein, daß einzelne der in
den Schulen gelesenen Schriften auch in der Originalform zulässig siud, als die
Regel kann man es aber keineswegs ansehen. Eine ganze Reihe von Gründen
spricht dagegen. Schon der Preis, der meistens 3 Franken und 50 Centimes
beträgt, ist viel zu hoch; ferner ist die Ausdehnung zu groß, und man würde
entweder in jedem einzelnen Falle einen Auszug herstellen müssen, indem man
weite Partien überschlüge und dadurch eben das wieder mühsam und mit
Störungen herstellte, was eine gute Schulaufgabe bietet, oder aber, man müßte
das Buch von Anfang bis zu Ende lesen, und dann würde man meistens ein
ganzes Jahr und mehr zur Erledigung brauchen. Sodann ist doch auch der
Kommentar, die Einleitung und der übrige Zubehör einer Schulaufgabe gar
nicht zu entbehren, und ihr Fehlen würde einen Zeitverlust verursachen, den
die Schule um so mehr vermeiden muß, als dem französischen Unterricht die
Zeit an den meisten höhern Lehranstalten recht knapp zugemessen ist. Endlich
aber darf nicht vergessen werden, daß es sich oft einfach aus pädagogischen
Rücksichten verbietet, das französische Originalwerk ohne Streichungen zu lesen.
Diese Fälle sind gerade in der französischen Litteratur recht häufig, und man
mag darin noch so weitherzig denken, man mag selbst für die obersten Klassen
der Gymnasien solche Rücksichten grundsätzlich ablehnen, die Thatsache bleibt
doch, daß auch andre Schulen französische Schriftsteller lesen wollen und sollen.
Ich will nur ein Beispiel anführen, dem viele andre an die Seite gestellt
werden könnten. Es handelt sich um eine Schrift, die sehr gut geeignet ist
für die Lektüre und auch viel in Schulen gelesen wird, in der aber starke
Streichungen schlechterdings geboten waren. Ich habe zufällig gerade diese
begutachten müssen und teile einiges aus diesem Gutachten mit. Es ist:
Ludovic Halevy, I/Invasion.

Das Original enthält viele Stellen, die aus pädagogischen Gründen durchaus
gestrichen werden mußten, und deren Lektüre mit deutschen Schülern und Schülerinnen


Grenzboten IV 1896 80
Der deutsch-französische Litterarvertrcrg

Schülern eine deutliche, zusammenhängende, begründete Anschauung von einem
ganzen Werke zu geben, denn darauf sind die bessern Schulaufgaben einge¬
richtet; wir sind in der Lage, alle die pädagogischen Vorteile, die aus
der Kenntnis und dem Studium eines abgerundeten Ganzen erwachsen, der
Schule zuzuführen, und dadurch erst ist die neusprachliche Lektüre in den
Stand gesetzt worden, ähnliche bildende Wirkungen zu erzielen, wie sie die
Lektüre der lateinischen und griechischen Klassiker lange übt. Das alles würde
aufhören, wenn die französischen Verlagsbuchhändler mit ihrem Begehren durch¬
drängen.

Es könnte nun jemand einwenden, ich Hütte bei dieser grellen Schilderung
eines möglichen Zustandes nicht berücksichtigt, daß man, wenn die deutschen
Schulaufgaben verboten sein werden, ja zu den Originalausgaben seine Zuflucht
nehmen könne. Ich führe diesen EinWurf bloß an, damit er nicht unerwähnt
bleibt. Er ist für jeden Kundigen hinfällig. Es mag sein, daß einzelne der in
den Schulen gelesenen Schriften auch in der Originalform zulässig siud, als die
Regel kann man es aber keineswegs ansehen. Eine ganze Reihe von Gründen
spricht dagegen. Schon der Preis, der meistens 3 Franken und 50 Centimes
beträgt, ist viel zu hoch; ferner ist die Ausdehnung zu groß, und man würde
entweder in jedem einzelnen Falle einen Auszug herstellen müssen, indem man
weite Partien überschlüge und dadurch eben das wieder mühsam und mit
Störungen herstellte, was eine gute Schulaufgabe bietet, oder aber, man müßte
das Buch von Anfang bis zu Ende lesen, und dann würde man meistens ein
ganzes Jahr und mehr zur Erledigung brauchen. Sodann ist doch auch der
Kommentar, die Einleitung und der übrige Zubehör einer Schulaufgabe gar
nicht zu entbehren, und ihr Fehlen würde einen Zeitverlust verursachen, den
die Schule um so mehr vermeiden muß, als dem französischen Unterricht die
Zeit an den meisten höhern Lehranstalten recht knapp zugemessen ist. Endlich
aber darf nicht vergessen werden, daß es sich oft einfach aus pädagogischen
Rücksichten verbietet, das französische Originalwerk ohne Streichungen zu lesen.
Diese Fälle sind gerade in der französischen Litteratur recht häufig, und man
mag darin noch so weitherzig denken, man mag selbst für die obersten Klassen
der Gymnasien solche Rücksichten grundsätzlich ablehnen, die Thatsache bleibt
doch, daß auch andre Schulen französische Schriftsteller lesen wollen und sollen.
Ich will nur ein Beispiel anführen, dem viele andre an die Seite gestellt
werden könnten. Es handelt sich um eine Schrift, die sehr gut geeignet ist
für die Lektüre und auch viel in Schulen gelesen wird, in der aber starke
Streichungen schlechterdings geboten waren. Ich habe zufällig gerade diese
begutachten müssen und teile einiges aus diesem Gutachten mit. Es ist:
Ludovic Halevy, I/Invasion.

Das Original enthält viele Stellen, die aus pädagogischen Gründen durchaus
gestrichen werden mußten, und deren Lektüre mit deutschen Schülern und Schülerinnen


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[0641] Der deutsch-französische Litterarvertrcrg Schülern eine deutliche, zusammenhängende, begründete Anschauung von einem ganzen Werke zu geben, denn darauf sind die bessern Schulaufgaben einge¬ richtet; wir sind in der Lage, alle die pädagogischen Vorteile, die aus der Kenntnis und dem Studium eines abgerundeten Ganzen erwachsen, der Schule zuzuführen, und dadurch erst ist die neusprachliche Lektüre in den Stand gesetzt worden, ähnliche bildende Wirkungen zu erzielen, wie sie die Lektüre der lateinischen und griechischen Klassiker lange übt. Das alles würde aufhören, wenn die französischen Verlagsbuchhändler mit ihrem Begehren durch¬ drängen. Es könnte nun jemand einwenden, ich Hütte bei dieser grellen Schilderung eines möglichen Zustandes nicht berücksichtigt, daß man, wenn die deutschen Schulaufgaben verboten sein werden, ja zu den Originalausgaben seine Zuflucht nehmen könne. Ich führe diesen EinWurf bloß an, damit er nicht unerwähnt bleibt. Er ist für jeden Kundigen hinfällig. Es mag sein, daß einzelne der in den Schulen gelesenen Schriften auch in der Originalform zulässig siud, als die Regel kann man es aber keineswegs ansehen. Eine ganze Reihe von Gründen spricht dagegen. Schon der Preis, der meistens 3 Franken und 50 Centimes beträgt, ist viel zu hoch; ferner ist die Ausdehnung zu groß, und man würde entweder in jedem einzelnen Falle einen Auszug herstellen müssen, indem man weite Partien überschlüge und dadurch eben das wieder mühsam und mit Störungen herstellte, was eine gute Schulaufgabe bietet, oder aber, man müßte das Buch von Anfang bis zu Ende lesen, und dann würde man meistens ein ganzes Jahr und mehr zur Erledigung brauchen. Sodann ist doch auch der Kommentar, die Einleitung und der übrige Zubehör einer Schulaufgabe gar nicht zu entbehren, und ihr Fehlen würde einen Zeitverlust verursachen, den die Schule um so mehr vermeiden muß, als dem französischen Unterricht die Zeit an den meisten höhern Lehranstalten recht knapp zugemessen ist. Endlich aber darf nicht vergessen werden, daß es sich oft einfach aus pädagogischen Rücksichten verbietet, das französische Originalwerk ohne Streichungen zu lesen. Diese Fälle sind gerade in der französischen Litteratur recht häufig, und man mag darin noch so weitherzig denken, man mag selbst für die obersten Klassen der Gymnasien solche Rücksichten grundsätzlich ablehnen, die Thatsache bleibt doch, daß auch andre Schulen französische Schriftsteller lesen wollen und sollen. Ich will nur ein Beispiel anführen, dem viele andre an die Seite gestellt werden könnten. Es handelt sich um eine Schrift, die sehr gut geeignet ist für die Lektüre und auch viel in Schulen gelesen wird, in der aber starke Streichungen schlechterdings geboten waren. Ich habe zufällig gerade diese begutachten müssen und teile einiges aus diesem Gutachten mit. Es ist: Ludovic Halevy, I/Invasion. Das Original enthält viele Stellen, die aus pädagogischen Gründen durchaus gestrichen werden mußten, und deren Lektüre mit deutschen Schülern und Schülerinnen Grenzboten IV 1896 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/641>, abgerufen am 08.01.2025.