Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände genusses beraubt, wird, wie wir gesehen haben, allgemein als unnatürlich er¬ *) Die Darstellung des Landraubs, die wir bei mehreren Gelegenheiten hauptsächlich nach
Marx, Rogers und HaSbnch gegeben haben, wird im zweiten Bande der englischen Wirtschafts¬ geschichte von Ashleu, deren erster Band in Ur. 31, S. 3ti besprochen morden ist, vollaus bestätigt, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als Ashleu die Quellen und die gewaltige Litteratur vollständig beherrscht. Nur in untergeordneten Punkten bemängelt er die Darstellung von Rogers. Bon der Wohlthätigkeit der Klöster urteilt er weniger günstig als Nagers, Döllinger und Natzinger; er schließt sich der bei den Protestanten allgemein herrschenden Ansicht an, das; die Klöster, auch in England, dazu beigetragen haben, ein Bettelproletarint groß zu ziehen; durch den Wegfall der Klosterspenden sei die Armut nicht vermehrt, sondern nur an den Tag gebracht worden. Dagegen führt er die ungeheure Zunahme der Vagabondnge im sechzehnten Jahrhundert ganz so wie die andern Autoritäten auf die Verwandlung des Ackers in Weide, die Einhegungen von Gemeindeland und die Ausdehnung dieser beiden Maßregeln auf die säkulnrisirten Klostergüter zurück; "Vertreibung der Werkleute" überschreibt er ein Kapitel; S. 326 findet man eine Karte der Einhegungen der ersten Periode. S. 378 schreibt er: "Neben den eben erwähnten landwirtschaftlichen Umgestaltungen sind die andern Ursachen der Verarmung kaum der Beachtung wert. Bemerkt sei nur, daß die aus allen diesen Verhältnissen hervorgehenden Schwierigkeiten noch dadurch vergrößert wurden, daß der Handel in dem Hnupt- stapelartikel Englands, dem Tuch, eine bedeutende Ausdehnung erreichte und die gewerblichen Verhältnisse sich infolge dessen gänzlich änderten." Also auch das industrielle und kommerzielle Großkapital begann damals schon seine zersetzende Wirkung zu äußern. Englische Zustände genusses beraubt, wird, wie wir gesehen haben, allgemein als unnatürlich er¬ *) Die Darstellung des Landraubs, die wir bei mehreren Gelegenheiten hauptsächlich nach
Marx, Rogers und HaSbnch gegeben haben, wird im zweiten Bande der englischen Wirtschafts¬ geschichte von Ashleu, deren erster Band in Ur. 31, S. 3ti besprochen morden ist, vollaus bestätigt, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als Ashleu die Quellen und die gewaltige Litteratur vollständig beherrscht. Nur in untergeordneten Punkten bemängelt er die Darstellung von Rogers. Bon der Wohlthätigkeit der Klöster urteilt er weniger günstig als Nagers, Döllinger und Natzinger; er schließt sich der bei den Protestanten allgemein herrschenden Ansicht an, das; die Klöster, auch in England, dazu beigetragen haben, ein Bettelproletarint groß zu ziehen; durch den Wegfall der Klosterspenden sei die Armut nicht vermehrt, sondern nur an den Tag gebracht worden. Dagegen führt er die ungeheure Zunahme der Vagabondnge im sechzehnten Jahrhundert ganz so wie die andern Autoritäten auf die Verwandlung des Ackers in Weide, die Einhegungen von Gemeindeland und die Ausdehnung dieser beiden Maßregeln auf die säkulnrisirten Klostergüter zurück; „Vertreibung der Werkleute" überschreibt er ein Kapitel; S. 326 findet man eine Karte der Einhegungen der ersten Periode. S. 378 schreibt er: „Neben den eben erwähnten landwirtschaftlichen Umgestaltungen sind die andern Ursachen der Verarmung kaum der Beachtung wert. Bemerkt sei nur, daß die aus allen diesen Verhältnissen hervorgehenden Schwierigkeiten noch dadurch vergrößert wurden, daß der Handel in dem Hnupt- stapelartikel Englands, dem Tuch, eine bedeutende Ausdehnung erreichte und die gewerblichen Verhältnisse sich infolge dessen gänzlich änderten." Also auch das industrielle und kommerzielle Großkapital begann damals schon seine zersetzende Wirkung zu äußern. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224200"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1820" prev="#ID_1819" next="#ID_1821"> genusses beraubt, wird, wie wir gesehen haben, allgemein als unnatürlich er¬<lb/> kannt und als unerträglich empfunden. Was aber unnatürlich ist und dem<lb/> Volke unerträglich scheint, kann keine sehr lange Dauer haben. Nun will<lb/> sich kein gangbarer friedlicher Weg zeigen, die Jndustriebevölkerung aufs Land<lb/> zurückführen, mau hat also eine schlimme Katastrophe zu fürchten. Ist es<lb/> doch die Frage, ob, das heutige Besitzrecht und alle sonstigen Schwierigkeiten<lb/> hinweggedacht, das Land zur Ausstattung aller mit Grundbesitz hinreichen<lb/> würde; man darf nicht vergesse», daß in der guten alten Zeit des fünfzehnten<lb/> Jahrhunderts, wo jeder Engländer ein Grundbesitzer, Pächter oder Pfründner<lb/> war, das Land 2'/z Millionen Einwohner zählte, heute aber über dreißig.<lb/> Freilich ist die Schwierigkeit viel früher eingetreten, als nötig war; zuerst<lb/> durch die Auflösung der ritterlichen Gefolgschaften am Ende des fünfzehnten<lb/> Jahrhunderts, dann durch den großen Landraub, der im Anfange des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts begann,") ist eine künstliche Übervölkerung schon in der Zeit<lb/> geschaffen worden, als das Land noch keine fünf Millionen Einwohner hatte,<lb/> und damals, wo es noch keine Industrie gab, wurde diese Übervölkerung von<lb/> dem seßhaften Teile der Einwohner lästiger empfunden als heute, weil der<lb/> ganze Überschuß vagcibundirte. Auch der Report entwirft in seinem geschichtlichen<lb/> Rückblick ein anschauliches Bild von den unerträglichen Zustünden, die sich<lb/> daraus entwickelten, und von den ebenso grausamen als erfolglosen Mitteln,<lb/> die man zu ihrer Bekämpfung anwendete. Wie es scheint, haben die hab¬<lb/> süchtigen, ungerechten und gewaltthätigen Landlords mit ihrem großen Raub<lb/> eine ihnen von der Vorsehung auferlegte wichtige Aufgabe erfüllt. Ein froh-</p><lb/> <note xml:id="FID_84" place="foot"> *) Die Darstellung des Landraubs, die wir bei mehreren Gelegenheiten hauptsächlich nach<lb/> Marx, Rogers und HaSbnch gegeben haben, wird im zweiten Bande der englischen Wirtschafts¬<lb/> geschichte von Ashleu, deren erster Band in Ur. 31, S. 3ti besprochen morden ist, vollaus<lb/> bestätigt, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als Ashleu die Quellen und die gewaltige<lb/> Litteratur vollständig beherrscht. Nur in untergeordneten Punkten bemängelt er die Darstellung<lb/> von Rogers. Bon der Wohlthätigkeit der Klöster urteilt er weniger günstig als Nagers,<lb/> Döllinger und Natzinger; er schließt sich der bei den Protestanten allgemein herrschenden Ansicht<lb/> an, das; die Klöster, auch in England, dazu beigetragen haben, ein Bettelproletarint groß zu<lb/> ziehen; durch den Wegfall der Klosterspenden sei die Armut nicht vermehrt, sondern nur an<lb/> den Tag gebracht worden. Dagegen führt er die ungeheure Zunahme der Vagabondnge im<lb/> sechzehnten Jahrhundert ganz so wie die andern Autoritäten auf die Verwandlung des Ackers<lb/> in Weide, die Einhegungen von Gemeindeland und die Ausdehnung dieser beiden Maßregeln<lb/> auf die säkulnrisirten Klostergüter zurück; „Vertreibung der Werkleute" überschreibt er ein Kapitel;<lb/> S. 326 findet man eine Karte der Einhegungen der ersten Periode. S. 378 schreibt er:<lb/> „Neben den eben erwähnten landwirtschaftlichen Umgestaltungen sind die andern Ursachen der<lb/> Verarmung kaum der Beachtung wert. Bemerkt sei nur, daß die aus allen diesen Verhältnissen<lb/> hervorgehenden Schwierigkeiten noch dadurch vergrößert wurden, daß der Handel in dem Hnupt-<lb/> stapelartikel Englands, dem Tuch, eine bedeutende Ausdehnung erreichte und die gewerblichen<lb/> Verhältnisse sich infolge dessen gänzlich änderten." Also auch das industrielle und kommerzielle<lb/> Großkapital begann damals schon seine zersetzende Wirkung zu äußern.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0616]
Englische Zustände
genusses beraubt, wird, wie wir gesehen haben, allgemein als unnatürlich er¬
kannt und als unerträglich empfunden. Was aber unnatürlich ist und dem
Volke unerträglich scheint, kann keine sehr lange Dauer haben. Nun will
sich kein gangbarer friedlicher Weg zeigen, die Jndustriebevölkerung aufs Land
zurückführen, mau hat also eine schlimme Katastrophe zu fürchten. Ist es
doch die Frage, ob, das heutige Besitzrecht und alle sonstigen Schwierigkeiten
hinweggedacht, das Land zur Ausstattung aller mit Grundbesitz hinreichen
würde; man darf nicht vergesse», daß in der guten alten Zeit des fünfzehnten
Jahrhunderts, wo jeder Engländer ein Grundbesitzer, Pächter oder Pfründner
war, das Land 2'/z Millionen Einwohner zählte, heute aber über dreißig.
Freilich ist die Schwierigkeit viel früher eingetreten, als nötig war; zuerst
durch die Auflösung der ritterlichen Gefolgschaften am Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts, dann durch den großen Landraub, der im Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts begann,") ist eine künstliche Übervölkerung schon in der Zeit
geschaffen worden, als das Land noch keine fünf Millionen Einwohner hatte,
und damals, wo es noch keine Industrie gab, wurde diese Übervölkerung von
dem seßhaften Teile der Einwohner lästiger empfunden als heute, weil der
ganze Überschuß vagcibundirte. Auch der Report entwirft in seinem geschichtlichen
Rückblick ein anschauliches Bild von den unerträglichen Zustünden, die sich
daraus entwickelten, und von den ebenso grausamen als erfolglosen Mitteln,
die man zu ihrer Bekämpfung anwendete. Wie es scheint, haben die hab¬
süchtigen, ungerechten und gewaltthätigen Landlords mit ihrem großen Raub
eine ihnen von der Vorsehung auferlegte wichtige Aufgabe erfüllt. Ein froh-
*) Die Darstellung des Landraubs, die wir bei mehreren Gelegenheiten hauptsächlich nach
Marx, Rogers und HaSbnch gegeben haben, wird im zweiten Bande der englischen Wirtschafts¬
geschichte von Ashleu, deren erster Band in Ur. 31, S. 3ti besprochen morden ist, vollaus
bestätigt, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als Ashleu die Quellen und die gewaltige
Litteratur vollständig beherrscht. Nur in untergeordneten Punkten bemängelt er die Darstellung
von Rogers. Bon der Wohlthätigkeit der Klöster urteilt er weniger günstig als Nagers,
Döllinger und Natzinger; er schließt sich der bei den Protestanten allgemein herrschenden Ansicht
an, das; die Klöster, auch in England, dazu beigetragen haben, ein Bettelproletarint groß zu
ziehen; durch den Wegfall der Klosterspenden sei die Armut nicht vermehrt, sondern nur an
den Tag gebracht worden. Dagegen führt er die ungeheure Zunahme der Vagabondnge im
sechzehnten Jahrhundert ganz so wie die andern Autoritäten auf die Verwandlung des Ackers
in Weide, die Einhegungen von Gemeindeland und die Ausdehnung dieser beiden Maßregeln
auf die säkulnrisirten Klostergüter zurück; „Vertreibung der Werkleute" überschreibt er ein Kapitel;
S. 326 findet man eine Karte der Einhegungen der ersten Periode. S. 378 schreibt er:
„Neben den eben erwähnten landwirtschaftlichen Umgestaltungen sind die andern Ursachen der
Verarmung kaum der Beachtung wert. Bemerkt sei nur, daß die aus allen diesen Verhältnissen
hervorgehenden Schwierigkeiten noch dadurch vergrößert wurden, daß der Handel in dem Hnupt-
stapelartikel Englands, dem Tuch, eine bedeutende Ausdehnung erreichte und die gewerblichen
Verhältnisse sich infolge dessen gänzlich änderten." Also auch das industrielle und kommerzielle
Großkapital begann damals schon seine zersetzende Wirkung zu äußern.
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