Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Großniederland die britische Macht über den Haufen werfen und einen Bund der südafrika¬ Wie wird sich aber das deutsche Reich dazu stellen? Sind die Nieder¬ Die Deutschen im Reich haben sich zur Zeit des niederländischen Freiheits¬ Großniederland die britische Macht über den Haufen werfen und einen Bund der südafrika¬ Wie wird sich aber das deutsche Reich dazu stellen? Sind die Nieder¬ Die Deutschen im Reich haben sich zur Zeit des niederländischen Freiheits¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0608" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224192"/> <fw type="header" place="top"> Großniederland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1803" prev="#ID_1802"> die britische Macht über den Haufen werfen und einen Bund der südafrika¬<lb/> nischen Vereinigten Staaten ins Leben rufen. Die Delagoabcn wird ihnen<lb/> dann leicht zufallen. Denn die Portugiesen sind völlig entartet und finanziell<lb/> heruntergekommen. Wenn ihnen die Buren das Nötige zahlen, werden sie wahr¬<lb/> scheinlich alles abtreten, was man haben will. Dann wird auch die öffentliche<lb/> Meinung im Mutterland und in dem von den Engländern fo oft beleidigten<lb/> Deutschland so laut zu Gunsten der Gerechtigkeit sprechen, daß es den Eng¬<lb/> ländern schwer werden wird, den Sturm zu beschwören. Und dann wird<lb/> vielleicht auch der Tag gekommen sein für ein politisches Großniederland.</p><lb/> <p xml:id="ID_1804"> Wie wird sich aber das deutsche Reich dazu stellen? Sind die Nieder¬<lb/> länder eine Nation, dann haben sie unzweifelhaft das Recht der Selbstbestim¬<lb/> mung, wenn sie nicht die Interessen der Deutschen im Reiche verletzen. Hier<lb/> ist nun vor allem ein Irrtum zu berichtigen, in den die Deutschen leicht fallen,<lb/> nämlich der Glaube, die Niederländer seien nichts weiter als ein Teil des<lb/> deutschen Volkes. Die das behaupten, verwechseln Rasse und Volk, einen ethno¬<lb/> graphischen Begriff und einen politischen. Wenn mau bloß nach der Abstam¬<lb/> mung urteilen wollte, würde allerdings kein Unterschied bestehen zwischen einem<lb/> Niederländer und einem Westfalen oder Holsteiner. Aber die Abstammung<lb/> allein beweist nicht viel, sondern die Entwicklung hinsichtlich der Politik und<lb/> der Kultur und die dadurch bewirkte Stimmung. Der Holländer fühlt sich<lb/> nicht mehr als Deutscher, so wenig wie sich der Deutsche, der lange Zeit in<lb/> Amerika gelebt hat, noch als Deutscher, der Nachkomme der Refugiös sich als<lb/> Franzose fühlt. Der Amerikaner spricht englisch und doch ist er kein Eng¬<lb/> länder mehr. Das Volk hat ein schwaches Gedächtnis. Was länger als<lb/> hundert Jahre her ist, besteht nicht mehr. Man kann den Kindern in der<lb/> Schule erzählen, die Niederländer hätten früher zum deutschen Reiche gehört,<lb/> in den Herzen der Bevölkerung wird das keinen Wiederhall wecken. Das Volk<lb/> kennt nur seine wirklichen Bedürfnisse, und alle theoretischen Erörterungen<lb/> können die Fragen darnach nicht verdrängen. Die Gelehrten aber haben nie<lb/> unmittelbaren Einfluß auf das Volk gehabt und werden ihn auch in Zukunft<lb/> nicht haben. Man kann Annäherungsversuche machen zwischen allen Völkern<lb/> von gemeinsamer Abkunft, aber man soll sich nicht der Täuschung hingeben,<lb/> als ob man ohne weiteres an frühere Zustände wieder anknüpfen könnte. Auch<lb/> der Schweizer fühlt sich nicht mehr als Deutscher, seitdem er aufgehört hat,<lb/> an den Schicksalen des Reichs unmittelbar Anteil zu nehmen. Am Ende<lb/> müßte man auch die Engländer Deutsche nennen. Denn sie sind auch nur aus<lb/> Deutschland gekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1805" next="#ID_1806"> Die Deutschen im Reich haben sich zur Zeit des niederländischen Freiheits¬<lb/> kampfes ihrer Brüder nicht so angenommen, wie sie es hätten thun müssen-<lb/> Sie haben sich dadurch deren Liebe verscherzt. Die Holländer haben anch klug<lb/> daran gethan, sich von dem altersschwachen Reich beizeiten zu trennen. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0608]
Großniederland
die britische Macht über den Haufen werfen und einen Bund der südafrika¬
nischen Vereinigten Staaten ins Leben rufen. Die Delagoabcn wird ihnen
dann leicht zufallen. Denn die Portugiesen sind völlig entartet und finanziell
heruntergekommen. Wenn ihnen die Buren das Nötige zahlen, werden sie wahr¬
scheinlich alles abtreten, was man haben will. Dann wird auch die öffentliche
Meinung im Mutterland und in dem von den Engländern fo oft beleidigten
Deutschland so laut zu Gunsten der Gerechtigkeit sprechen, daß es den Eng¬
ländern schwer werden wird, den Sturm zu beschwören. Und dann wird
vielleicht auch der Tag gekommen sein für ein politisches Großniederland.
Wie wird sich aber das deutsche Reich dazu stellen? Sind die Nieder¬
länder eine Nation, dann haben sie unzweifelhaft das Recht der Selbstbestim¬
mung, wenn sie nicht die Interessen der Deutschen im Reiche verletzen. Hier
ist nun vor allem ein Irrtum zu berichtigen, in den die Deutschen leicht fallen,
nämlich der Glaube, die Niederländer seien nichts weiter als ein Teil des
deutschen Volkes. Die das behaupten, verwechseln Rasse und Volk, einen ethno¬
graphischen Begriff und einen politischen. Wenn mau bloß nach der Abstam¬
mung urteilen wollte, würde allerdings kein Unterschied bestehen zwischen einem
Niederländer und einem Westfalen oder Holsteiner. Aber die Abstammung
allein beweist nicht viel, sondern die Entwicklung hinsichtlich der Politik und
der Kultur und die dadurch bewirkte Stimmung. Der Holländer fühlt sich
nicht mehr als Deutscher, so wenig wie sich der Deutsche, der lange Zeit in
Amerika gelebt hat, noch als Deutscher, der Nachkomme der Refugiös sich als
Franzose fühlt. Der Amerikaner spricht englisch und doch ist er kein Eng¬
länder mehr. Das Volk hat ein schwaches Gedächtnis. Was länger als
hundert Jahre her ist, besteht nicht mehr. Man kann den Kindern in der
Schule erzählen, die Niederländer hätten früher zum deutschen Reiche gehört,
in den Herzen der Bevölkerung wird das keinen Wiederhall wecken. Das Volk
kennt nur seine wirklichen Bedürfnisse, und alle theoretischen Erörterungen
können die Fragen darnach nicht verdrängen. Die Gelehrten aber haben nie
unmittelbaren Einfluß auf das Volk gehabt und werden ihn auch in Zukunft
nicht haben. Man kann Annäherungsversuche machen zwischen allen Völkern
von gemeinsamer Abkunft, aber man soll sich nicht der Täuschung hingeben,
als ob man ohne weiteres an frühere Zustände wieder anknüpfen könnte. Auch
der Schweizer fühlt sich nicht mehr als Deutscher, seitdem er aufgehört hat,
an den Schicksalen des Reichs unmittelbar Anteil zu nehmen. Am Ende
müßte man auch die Engländer Deutsche nennen. Denn sie sind auch nur aus
Deutschland gekommen.
Die Deutschen im Reich haben sich zur Zeit des niederländischen Freiheits¬
kampfes ihrer Brüder nicht so angenommen, wie sie es hätten thun müssen-
Sie haben sich dadurch deren Liebe verscherzt. Die Holländer haben anch klug
daran gethan, sich von dem altersschwachen Reich beizeiten zu trennen. Es
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