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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Großniederland

trüber waren mornlisch gezwungen, sich mit Französisch zu befassen. Siege
aber die großniederländische Idee, dann ist es mit der Vorherrschaft des
Franzosentums für immer aus. Dann bilden die drei Millionen Vlamen mit
den Nordniederländern eine kompakte Masse, die voraussichtlich eine originelle
Litteratur hervorbringen wird. Bloß die unglaubliche Unwissenheit und
Lässigkeit in nationalen Fragen hält die Mehrzahl der Vlamen ab, sich durch
geistigen Anschluß an die Nordbrüder die Vorteile zu verschaffen, die ihnen
jetzt noch vorenthalten werden.

Auch bei den Holländern muß noch viel geschehen, um sie zu wirksamerer
Unterstützung der vlümischen Bewegung heranzuziehen. Ja sie geben sich nicht
einmal die nötige Mühe, ihre eignen Kolonien zu "verdietschen." Auf Cnrayao
z. B. herrscht das Englische geradezu allein. Die Hilfe, die man jetzt erst
anfängt den Südafrikanern zu bringen, hätte schon viel früher gebracht werden
müssen. Das Englische hat unterdessen große Fortschritte gemacht. Mit der
den Briten eigentümlichen Unverfrorenheit hat man auf alle Weise dem Nieder-
lündertum entgegenzuwirken gewußt.

Aber mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins gewinnt die Sache eine
andre Gestalt. Es ist in London nicht unbemerkt geblieben, wie sich ein junger
Bur, der in dem Jamcsonschen Prozeß als Zeuge vernommen wurde, be¬
harrlich seiner Muttersprache bediente, obwohl er des Englischen völlig mächtig
war. Ehre diesem Wnckeru! Er hat gezeigt, daß das niederdeutsche eine Welt¬
sprache werden kann, so gut wie das Englische, wenn es von mutigen Männern
gesprochen wird.

In Transvaal will man jetzt dem Präsidenten Krüger ein Denkmal er¬
richten, zu dem schon 260 Pfund Sterling eingegangen sind. Die "Neder-
lmidsche Znidafrikaansche Vereenigung" in Holland hat, um dem südafrikanischen
Volk einen Beweis ihrer Sympathie zu gebe", den Beitrag von 100 Pfund
gespendet. Das Denkmal wird also zugleich ein Zeichen werden des zähen
Widerstands des Nicderdeutschtums gegen das vordringende Angelsachsentum.
An den Buren haben die Engländer ihre Meister gefunden.

Man hat auch in Transvaal sehr gut erkannt, daß sich das Volkstum nur
halten kauu durch eine nationale Erziehung. Die Anfänge dazu siud vielver¬
sprechend. Die Staatsmodelschool zu Pretoria zählt schon drcihuudertsechs-
undfünfzig Schüler, das Staatsghmuasium einundsechzig, die Staatsmüdchen-
schnle einhnndertsiebeuundncnnzig (darunter dreiundfünfzig "Kostmcisjes" in
Pension). Auf diese Weise wird der englische Einfluß zurückgehalten, der sich
in den Schulen in der Kapkolonie bereits bemerkbar machte. Es ist also dort
ein ähnlicher Sprachen- und damit Interessenkampf entbrannt wie im Vlam-
lcmd. Wenn aber alle niederländisch Redenden und Fühlenden allmählich zu
der Erkenntnis ihrer Zusammengehörigkeit kommen, so werden sie auch eine
Macht bilden. Es ist gar nicht unmöglich, daß die Buren eines Tages


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trüber waren mornlisch gezwungen, sich mit Französisch zu befassen. Siege
aber die großniederländische Idee, dann ist es mit der Vorherrschaft des
Franzosentums für immer aus. Dann bilden die drei Millionen Vlamen mit
den Nordniederländern eine kompakte Masse, die voraussichtlich eine originelle
Litteratur hervorbringen wird. Bloß die unglaubliche Unwissenheit und
Lässigkeit in nationalen Fragen hält die Mehrzahl der Vlamen ab, sich durch
geistigen Anschluß an die Nordbrüder die Vorteile zu verschaffen, die ihnen
jetzt noch vorenthalten werden.

Auch bei den Holländern muß noch viel geschehen, um sie zu wirksamerer
Unterstützung der vlümischen Bewegung heranzuziehen. Ja sie geben sich nicht
einmal die nötige Mühe, ihre eignen Kolonien zu „verdietschen." Auf Cnrayao
z. B. herrscht das Englische geradezu allein. Die Hilfe, die man jetzt erst
anfängt den Südafrikanern zu bringen, hätte schon viel früher gebracht werden
müssen. Das Englische hat unterdessen große Fortschritte gemacht. Mit der
den Briten eigentümlichen Unverfrorenheit hat man auf alle Weise dem Nieder-
lündertum entgegenzuwirken gewußt.

Aber mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins gewinnt die Sache eine
andre Gestalt. Es ist in London nicht unbemerkt geblieben, wie sich ein junger
Bur, der in dem Jamcsonschen Prozeß als Zeuge vernommen wurde, be¬
harrlich seiner Muttersprache bediente, obwohl er des Englischen völlig mächtig
war. Ehre diesem Wnckeru! Er hat gezeigt, daß das niederdeutsche eine Welt¬
sprache werden kann, so gut wie das Englische, wenn es von mutigen Männern
gesprochen wird.

In Transvaal will man jetzt dem Präsidenten Krüger ein Denkmal er¬
richten, zu dem schon 260 Pfund Sterling eingegangen sind. Die „Neder-
lmidsche Znidafrikaansche Vereenigung" in Holland hat, um dem südafrikanischen
Volk einen Beweis ihrer Sympathie zu gebe», den Beitrag von 100 Pfund
gespendet. Das Denkmal wird also zugleich ein Zeichen werden des zähen
Widerstands des Nicderdeutschtums gegen das vordringende Angelsachsentum.
An den Buren haben die Engländer ihre Meister gefunden.

Man hat auch in Transvaal sehr gut erkannt, daß sich das Volkstum nur
halten kauu durch eine nationale Erziehung. Die Anfänge dazu siud vielver¬
sprechend. Die Staatsmodelschool zu Pretoria zählt schon drcihuudertsechs-
undfünfzig Schüler, das Staatsghmuasium einundsechzig, die Staatsmüdchen-
schnle einhnndertsiebeuundncnnzig (darunter dreiundfünfzig „Kostmcisjes" in
Pension). Auf diese Weise wird der englische Einfluß zurückgehalten, der sich
in den Schulen in der Kapkolonie bereits bemerkbar machte. Es ist also dort
ein ähnlicher Sprachen- und damit Interessenkampf entbrannt wie im Vlam-
lcmd. Wenn aber alle niederländisch Redenden und Fühlenden allmählich zu
der Erkenntnis ihrer Zusammengehörigkeit kommen, so werden sie auch eine
Macht bilden. Es ist gar nicht unmöglich, daß die Buren eines Tages


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[0607] Großniederland trüber waren mornlisch gezwungen, sich mit Französisch zu befassen. Siege aber die großniederländische Idee, dann ist es mit der Vorherrschaft des Franzosentums für immer aus. Dann bilden die drei Millionen Vlamen mit den Nordniederländern eine kompakte Masse, die voraussichtlich eine originelle Litteratur hervorbringen wird. Bloß die unglaubliche Unwissenheit und Lässigkeit in nationalen Fragen hält die Mehrzahl der Vlamen ab, sich durch geistigen Anschluß an die Nordbrüder die Vorteile zu verschaffen, die ihnen jetzt noch vorenthalten werden. Auch bei den Holländern muß noch viel geschehen, um sie zu wirksamerer Unterstützung der vlümischen Bewegung heranzuziehen. Ja sie geben sich nicht einmal die nötige Mühe, ihre eignen Kolonien zu „verdietschen." Auf Cnrayao z. B. herrscht das Englische geradezu allein. Die Hilfe, die man jetzt erst anfängt den Südafrikanern zu bringen, hätte schon viel früher gebracht werden müssen. Das Englische hat unterdessen große Fortschritte gemacht. Mit der den Briten eigentümlichen Unverfrorenheit hat man auf alle Weise dem Nieder- lündertum entgegenzuwirken gewußt. Aber mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins gewinnt die Sache eine andre Gestalt. Es ist in London nicht unbemerkt geblieben, wie sich ein junger Bur, der in dem Jamcsonschen Prozeß als Zeuge vernommen wurde, be¬ harrlich seiner Muttersprache bediente, obwohl er des Englischen völlig mächtig war. Ehre diesem Wnckeru! Er hat gezeigt, daß das niederdeutsche eine Welt¬ sprache werden kann, so gut wie das Englische, wenn es von mutigen Männern gesprochen wird. In Transvaal will man jetzt dem Präsidenten Krüger ein Denkmal er¬ richten, zu dem schon 260 Pfund Sterling eingegangen sind. Die „Neder- lmidsche Znidafrikaansche Vereenigung" in Holland hat, um dem südafrikanischen Volk einen Beweis ihrer Sympathie zu gebe», den Beitrag von 100 Pfund gespendet. Das Denkmal wird also zugleich ein Zeichen werden des zähen Widerstands des Nicderdeutschtums gegen das vordringende Angelsachsentum. An den Buren haben die Engländer ihre Meister gefunden. Man hat auch in Transvaal sehr gut erkannt, daß sich das Volkstum nur halten kauu durch eine nationale Erziehung. Die Anfänge dazu siud vielver¬ sprechend. Die Staatsmodelschool zu Pretoria zählt schon drcihuudertsechs- undfünfzig Schüler, das Staatsghmuasium einundsechzig, die Staatsmüdchen- schnle einhnndertsiebeuundncnnzig (darunter dreiundfünfzig „Kostmcisjes" in Pension). Auf diese Weise wird der englische Einfluß zurückgehalten, der sich in den Schulen in der Kapkolonie bereits bemerkbar machte. Es ist also dort ein ähnlicher Sprachen- und damit Interessenkampf entbrannt wie im Vlam- lcmd. Wenn aber alle niederländisch Redenden und Fühlenden allmählich zu der Erkenntnis ihrer Zusammengehörigkeit kommen, so werden sie auch eine Macht bilden. Es ist gar nicht unmöglich, daß die Buren eines Tages

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/607>, abgerufen am 08.01.2025.