Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Großniederland Wäre nur ein Hemmnis für sie gewesen. Nun ernten sie die Früchte ihrer Man kann auch nicht sagen, daß die niederländische Sprache nur eine Das niederländische Volk ist eine eigne Nation geworden, die sich in zwei Grenzboten IV 18S6 7ki
Großniederland Wäre nur ein Hemmnis für sie gewesen. Nun ernten sie die Früchte ihrer Man kann auch nicht sagen, daß die niederländische Sprache nur eine Das niederländische Volk ist eine eigne Nation geworden, die sich in zwei Grenzboten IV 18S6 7ki
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224193"/> <fw type="header" place="top"> Großniederland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1806" prev="#ID_1805"> Wäre nur ein Hemmnis für sie gewesen. Nun ernten sie die Früchte ihrer<lb/> Thätigkeit, die auch dem Reiche zu gute kommen werden. Ohne die Entstehung<lb/> Hollands als selbständige Republik hätten die dortigen Niederdeutschen schwer¬<lb/> lich die Kolonien bekommen, von denen der französische Nationalökonom Leroy-<lb/> Beaulieu sagt, sie seien die am besten verwalteten der Welt. Ohne das<lb/> holländische Vorbild hätte das junge Preußen das nicht leisten können, was<lb/> es geleistet hat. Verzeihe man daher den Holländern ihren Nationalstolz!<lb/> Sie haben ein gewisses Recht darauf. Verzeihe man den Vlämingen ihr gänz¬<lb/> liches Vergessen ihrer Zugehörigkeit zum Reich! Sie haben nichts von ihm<lb/> gehabt. Die großen Künstler aber, die sie hervorgebracht haben, die Eyks,<lb/> Memling, Rubens, Van Dijk, Teniers, Breughel usw. haben sie ohne Deutsch¬<lb/> lands Zuthun hervorgebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1807"> Man kann auch nicht sagen, daß die niederländische Sprache nur eine<lb/> niederdeutsche Mundart sei. Sie ist eine Schriftsprache, deren Entwicklung<lb/> der der oberdeutschen vollständig parallel geht. Sie geht keineswegs auf die<lb/> holländische Mundart zurück, sondern ist wie alle Litteratursprachen gemischt<lb/> aus den Besonderheiten vieler Mundarten. Die Schriftsprache ist aber heut¬<lb/> zutage das Hauptbindeglied eines Volks. Denn mit der gebildeten Sprache<lb/> hängt die Litteratur zusammen, und es macht einen großen Unterschied,<lb/> ob ein junger Mann seine Bildung durch die Werke Schillers und Goethes<lb/> oder Vondels und Bilderdijks erhält, ob er die Romane von Gustav Freytag<lb/> oder von Hendrik Conseienee liest. Die politische Grenze mag vielleicht ganz<lb/> willkürlich gezogen sein; dennoch macht die Schule einen großen Riß. Wer<lb/> auf holländischem Boden lebt, kommt in einen andern Anschauungskreis, und<lb/> wenn zehnmal die Gelehrten versichern, es sei auf beiden Seiten des Grenz¬<lb/> pfahles dieselbe Nasse. Die Völker aber lassen sich von den Ideen leiten, die<lb/> sie in ihrer Jugend eingesogen haben. Nur durch Erlernung beider Schrift¬<lb/> sprachen und die Bekanntschaft mit beiden Litteraturen wird eine wirkliche<lb/> geistige Annäherung und damit eine Ausgleichung herbeigeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1808" next="#ID_1809"> Das niederländische Volk ist eine eigne Nation geworden, die sich in zwei<lb/> Völker gespalten hat. Beide Hälften suchen sich wieder zu vereinigen. Die<lb/> Nordniederländer vertreten dabei das aktive, das männliche Element, die<lb/> Vlcnnen das weibliche; die Holländer sind zäh, konservativ, nüchtern, erwerb¬<lb/> süchtig, die Südniederländer beweglich, fortschrittlich, künstlerisch begabt, bis¬<lb/> weilen zum Mystizismus geneigt. Verbunden werden sie eine wichtige Seite<lb/> in der Entwicklung des germanischen Gesamtvolkes zur Geltung bringen. Sie<lb/> werden der niederdeutschen Sprache, die im Reiche dem Untergange geweiht ist,<lb/> die Bedeutung geben, die sie verdient. Wenn aber dann ihre Sprache auch in<lb/> Norddeutschland bekannter werden wird, dann wird man sich wieder der ge--<lb/> weinsamen Abstammung erinnern und wird auf Mittel und Wege sinnen, eine<lb/> Vereinigung auf neuer Grundlage herzustellen. Das deutsche Reich hat die</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 18S6 7ki</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0609]
Großniederland
Wäre nur ein Hemmnis für sie gewesen. Nun ernten sie die Früchte ihrer
Thätigkeit, die auch dem Reiche zu gute kommen werden. Ohne die Entstehung
Hollands als selbständige Republik hätten die dortigen Niederdeutschen schwer¬
lich die Kolonien bekommen, von denen der französische Nationalökonom Leroy-
Beaulieu sagt, sie seien die am besten verwalteten der Welt. Ohne das
holländische Vorbild hätte das junge Preußen das nicht leisten können, was
es geleistet hat. Verzeihe man daher den Holländern ihren Nationalstolz!
Sie haben ein gewisses Recht darauf. Verzeihe man den Vlämingen ihr gänz¬
liches Vergessen ihrer Zugehörigkeit zum Reich! Sie haben nichts von ihm
gehabt. Die großen Künstler aber, die sie hervorgebracht haben, die Eyks,
Memling, Rubens, Van Dijk, Teniers, Breughel usw. haben sie ohne Deutsch¬
lands Zuthun hervorgebracht.
Man kann auch nicht sagen, daß die niederländische Sprache nur eine
niederdeutsche Mundart sei. Sie ist eine Schriftsprache, deren Entwicklung
der der oberdeutschen vollständig parallel geht. Sie geht keineswegs auf die
holländische Mundart zurück, sondern ist wie alle Litteratursprachen gemischt
aus den Besonderheiten vieler Mundarten. Die Schriftsprache ist aber heut¬
zutage das Hauptbindeglied eines Volks. Denn mit der gebildeten Sprache
hängt die Litteratur zusammen, und es macht einen großen Unterschied,
ob ein junger Mann seine Bildung durch die Werke Schillers und Goethes
oder Vondels und Bilderdijks erhält, ob er die Romane von Gustav Freytag
oder von Hendrik Conseienee liest. Die politische Grenze mag vielleicht ganz
willkürlich gezogen sein; dennoch macht die Schule einen großen Riß. Wer
auf holländischem Boden lebt, kommt in einen andern Anschauungskreis, und
wenn zehnmal die Gelehrten versichern, es sei auf beiden Seiten des Grenz¬
pfahles dieselbe Nasse. Die Völker aber lassen sich von den Ideen leiten, die
sie in ihrer Jugend eingesogen haben. Nur durch Erlernung beider Schrift¬
sprachen und die Bekanntschaft mit beiden Litteraturen wird eine wirkliche
geistige Annäherung und damit eine Ausgleichung herbeigeführt werden.
Das niederländische Volk ist eine eigne Nation geworden, die sich in zwei
Völker gespalten hat. Beide Hälften suchen sich wieder zu vereinigen. Die
Nordniederländer vertreten dabei das aktive, das männliche Element, die
Vlcnnen das weibliche; die Holländer sind zäh, konservativ, nüchtern, erwerb¬
süchtig, die Südniederländer beweglich, fortschrittlich, künstlerisch begabt, bis¬
weilen zum Mystizismus geneigt. Verbunden werden sie eine wichtige Seite
in der Entwicklung des germanischen Gesamtvolkes zur Geltung bringen. Sie
werden der niederdeutschen Sprache, die im Reiche dem Untergange geweiht ist,
die Bedeutung geben, die sie verdient. Wenn aber dann ihre Sprache auch in
Norddeutschland bekannter werden wird, dann wird man sich wieder der ge--
weinsamen Abstammung erinnern und wird auf Mittel und Wege sinnen, eine
Vereinigung auf neuer Grundlage herzustellen. Das deutsche Reich hat die
Grenzboten IV 18S6 7ki
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