Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Großniederland Litteratur ist durchaus volkstümlich, die holländische ist mehr künstlich gemacht, Man denkt auch daran, eine gemeinsame Rechtssprache zu schaffe", sodaß Großniederland Litteratur ist durchaus volkstümlich, die holländische ist mehr künstlich gemacht, Man denkt auch daran, eine gemeinsame Rechtssprache zu schaffe», sodaß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224188"/> <fw type="header" place="top"> Großniederland</fw><lb/> <p xml:id="ID_1789" prev="#ID_1788"> Litteratur ist durchaus volkstümlich, die holländische ist mehr künstlich gemacht,<lb/> ähnlich wie die französische. Schon die Aussprache ist sehr verschieden. Die<lb/> Holländer sprechen richtiger, aber weniger schön. Namentlich die Vorliebe für<lb/> die harten Gaumenlaute (wie sie auch am Niederrhein und in der Schweiz ge¬<lb/> sprochen werden) schadet der Schönheit des Klanges. Die Vlamen sprechen<lb/> in jeder Provinz, ja in jedem Dorfe anders, aber im ganzen ist ihre Aus¬<lb/> sprache weicher und daher angenehmer. Es ist hier ein ähnlicher Gegensatz<lb/> wie zwischen der Bnchspmche der Norddeutschen und den Volksdialekten der<lb/> Süddeutschen. Natürlich spotten die Holländer über die Vlamen und ihre<lb/> Litteratur, sie wollen sie nicht als vollwertig ansehen. Wenn holländische<lb/> Schauspieler in Belgien auftraten, wurden sie oft gar nicht einmal recht ver¬<lb/> standen. Ans dem letzten Sprachkongreß wurde denn auch der Wunsch aus¬<lb/> gesprochen, man möge nach einer größern Annäherung zwischen dem nord- und<lb/> dem süduiederlüudischen Schauspiel streben: 1. durch Auswechslung von Spiel¬<lb/> kräften, 2. durch Aufführung vou uorduiederläudischeu Stücken im Süden und<lb/> südniederländischer im Norden. Es ist klar, daß damit ein großer Schritt<lb/> vorwärts gethan sein würde. Hoffentlich führt er dann zur Gründung einer<lb/> niederländischen Nationalbühne. Man kann sich die Verhältnisse etwa so vor¬<lb/> stellen, wie sie in Deutschland zur Zeit der Gründung des hamburgischen<lb/> Nationaltheaters und der Thätigkeit Lessings waren. Leider fehlt bis jetzt noch<lb/> der niederländische Lessing. Doch kann es kaum ausbleiben, daß die groß-<lb/> niederländische Idee dem Theater eiuen patriotischen Antrieb geben wird.<lb/> Reich genng ist ja die niederländische Geschichte an schönen Stoffen: man denke<lb/> nur an den Freiheitskampf gegen die Spanier, der ein Thema zu einer Trilogie<lb/> abgeben könnte. Auch die Kämpfe der alten Vlanderer gegen die Franzosen<lb/> (uuter Vreydel und de Komme und den Artevelden), der Zünfte gegen Unter¬<lb/> drückung von oben (Anneesfens), der Bauern gegen die Sanskülotten 1798<lb/> ließen sich dichterisch verwerten. Eine nationale Schaubühne, die dem Volle<lb/> seine Vergangenheit vor Augen führte, würde den günstigsten Einfluß haben<lb/> auf die nationale Erziehung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1790" next="#ID_1791"> Man denkt auch daran, eine gemeinsame Rechtssprache zu schaffe», sodaß<lb/> die holländischen und die vlämischen Gerichte dieselben technischen Ausdrücke<lb/> anwenden könnten. Auf wissenschaftlichem Gebiet arbeiten die Gelehrten beider<lb/> Länder schon seit langem gemeinsam. Namentlich das große Wörterbuch wird<lb/> nicht bloß von Holland und Belgien, sondern neuerdings auch von Transvaal<lb/> unterstützt, das schon zum zweitenmcile ein Hilfsgeld von 250 Pfund geschickt<lb/> hat. Die große Anzahl der Abonnenten ist sehr ermutigend, zumal wenn man<lb/> bedenkt, daß in Deutschland das Grimmsche Wörterbuch nur tausend Abnehmer<lb/> hat. Man ist auch jetzt dabei, eine genaue Festsetzung der Schreibung der<lb/> Ortsnamen vorzunehmen, die dann bestehen bleiben soll. Denn bis jetzt herrscht<lb/> noch infolge der unglaublichen Unwissenheit der wallonischen Behörden große</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Großniederland
Litteratur ist durchaus volkstümlich, die holländische ist mehr künstlich gemacht,
ähnlich wie die französische. Schon die Aussprache ist sehr verschieden. Die
Holländer sprechen richtiger, aber weniger schön. Namentlich die Vorliebe für
die harten Gaumenlaute (wie sie auch am Niederrhein und in der Schweiz ge¬
sprochen werden) schadet der Schönheit des Klanges. Die Vlamen sprechen
in jeder Provinz, ja in jedem Dorfe anders, aber im ganzen ist ihre Aus¬
sprache weicher und daher angenehmer. Es ist hier ein ähnlicher Gegensatz
wie zwischen der Bnchspmche der Norddeutschen und den Volksdialekten der
Süddeutschen. Natürlich spotten die Holländer über die Vlamen und ihre
Litteratur, sie wollen sie nicht als vollwertig ansehen. Wenn holländische
Schauspieler in Belgien auftraten, wurden sie oft gar nicht einmal recht ver¬
standen. Ans dem letzten Sprachkongreß wurde denn auch der Wunsch aus¬
gesprochen, man möge nach einer größern Annäherung zwischen dem nord- und
dem süduiederlüudischen Schauspiel streben: 1. durch Auswechslung von Spiel¬
kräften, 2. durch Aufführung vou uorduiederläudischeu Stücken im Süden und
südniederländischer im Norden. Es ist klar, daß damit ein großer Schritt
vorwärts gethan sein würde. Hoffentlich führt er dann zur Gründung einer
niederländischen Nationalbühne. Man kann sich die Verhältnisse etwa so vor¬
stellen, wie sie in Deutschland zur Zeit der Gründung des hamburgischen
Nationaltheaters und der Thätigkeit Lessings waren. Leider fehlt bis jetzt noch
der niederländische Lessing. Doch kann es kaum ausbleiben, daß die groß-
niederländische Idee dem Theater eiuen patriotischen Antrieb geben wird.
Reich genng ist ja die niederländische Geschichte an schönen Stoffen: man denke
nur an den Freiheitskampf gegen die Spanier, der ein Thema zu einer Trilogie
abgeben könnte. Auch die Kämpfe der alten Vlanderer gegen die Franzosen
(uuter Vreydel und de Komme und den Artevelden), der Zünfte gegen Unter¬
drückung von oben (Anneesfens), der Bauern gegen die Sanskülotten 1798
ließen sich dichterisch verwerten. Eine nationale Schaubühne, die dem Volle
seine Vergangenheit vor Augen führte, würde den günstigsten Einfluß haben
auf die nationale Erziehung.
Man denkt auch daran, eine gemeinsame Rechtssprache zu schaffe», sodaß
die holländischen und die vlämischen Gerichte dieselben technischen Ausdrücke
anwenden könnten. Auf wissenschaftlichem Gebiet arbeiten die Gelehrten beider
Länder schon seit langem gemeinsam. Namentlich das große Wörterbuch wird
nicht bloß von Holland und Belgien, sondern neuerdings auch von Transvaal
unterstützt, das schon zum zweitenmcile ein Hilfsgeld von 250 Pfund geschickt
hat. Die große Anzahl der Abonnenten ist sehr ermutigend, zumal wenn man
bedenkt, daß in Deutschland das Grimmsche Wörterbuch nur tausend Abnehmer
hat. Man ist auch jetzt dabei, eine genaue Festsetzung der Schreibung der
Ortsnamen vorzunehmen, die dann bestehen bleiben soll. Denn bis jetzt herrscht
noch infolge der unglaublichen Unwissenheit der wallonischen Behörden große
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