Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Meihnachtsbiicher kommt, dir zu sagen: Gieb mir alles, was du hast, bis auf den letzten Pfennig.-- Noseggers Art ist im allgemeinen bekannt. Sie ist innerlich ebenso gesund Grenzboten IV 1896 ??>
Meihnachtsbiicher kommt, dir zu sagen: Gieb mir alles, was du hast, bis auf den letzten Pfennig.— Noseggers Art ist im allgemeinen bekannt. Sie ist innerlich ebenso gesund Grenzboten IV 1896 ??>
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Meihnachtsbiicher
kommt, dir zu sagen: Gieb mir alles, was du hast, bis auf den letzten Pfennig.—
Wozu, Georg? — Ich muß einen Stein bezahlen. — Einen Stein, meinen Grab¬
stein? — Ach nein, Mutter! — Was hast dn denn zustande gebracht, all die lange
Zeit her? — Ein Bildwerk, Mutter. — Was stellt es dar? - Zwei Heiden.
Mutter, einen Jüngling und ein Mädchen. — Was schaffen die mit einander?
Doch nichts unrechtes, Georg? — Ach nein, Mutter, hab keine Sorgen! — Für
wen hast du das gemacht? — Für mich Mutter, für dich, für alle und für nie¬
mand. — Was soll ich denn damit machen? — Anschauen, Mutter! — Aber davon
wird man nicht satt, und davon bezahlt man keine Zinsen. — Ich weiß es wohl. —
Und der Stein ist noch nicht bezahlt? — Nein, Mutter! — Deu soll ich dir be¬
zahlen? — Wenn du so gut sein willst, Mutter!" — Das ist echte, edelste, beste
Volkssprache und eine wahre Erquickung nach dem gezierten und unsichern Schrift¬
deutsch unsrer modernen Erzähler. Schmitthenners Stärke liegt im Beobachten und
Verstehen der Natur, ebensowohl der landschaftlichen mit allen Stimmungen, zu
denen sie uns anregen kann/ wie der menschlichen, innerlichen, der Stätte des Gemüts.
Er ist als Dichter interessant genug, um ihn ans eine Hnupteigenschaft hin ganz
kurz zu analysiren. Unsre meisten Romanschriftsteller sind zeitgeschichtlich stark be¬
einflußt, diele kann man fast Teudenzschriftsteller nennen, und fast keiner kaun sich
mehr dem beherrschenden Einfluß der einzelnen sozialen Fragen entziehen. Wir
werden gleich ein hervorragendes Beispiel in Roscggers neuester Erzählung zu be¬
sprechen haben. Also die Dichtung greift in dieser Form mit ins Rad der Zeit
oder geht wenigstens hart hinter ihrem Wagen her. Schmitthenners Art ist ganz
anders. Seine Beobachtung ist in ihren Einzelheiten gerade so scharf und richtig,
wie die der Realisten, aber in der poetischen Zusammenfassung dieser Elemente zu
bilden führt ihn seine Neigung in das der Zeitrechnung nicht uuterworfne Reich
dessen, „was sich nie und nirgends hat begeben," und was darum ewig ist. Näher
mögen wir die Richtung idyllisch nennen, weil ihre Stimmung etwas ungemein
friedliches, wohlthuendes und versöhnliches hat. Solche Dichter als Begleiter
brauchen wir um so nötiger, je unruhiger unser Leben wird. Schmitthenner kann,
wenn er mit seiner bedeutenden Begabung auf dieser glücklichen Grundlage weiter
zu bauen versteht, eine große und wichtige Aufgabe erfüllen helfen.
Noseggers Art ist im allgemeinen bekannt. Sie ist innerlich ebenso gesund
und wurzelt ebenso im Volkstum, dessen Äußerlichkeiten sie noch mehr und oft ganz
unverarbeitet zeigt. Das Dialektische, auch wo es fehlerhaft ist, bestimmt den Aus¬
druck nicht nur der redenden Menschen, sondern auch der Erzählung. Das ist kein
Vorzug, sondern eine Eigenschaft, mit der sich der Leser abzufinden hat. Dem
Inhalte nach ist das Buch, das uns vorliegt, ein sozialer Roman, der Form nach
eine Erzählung allereinfachster Art: „Ans den Schriften eines Waldpfarrers" lautet
der Nebentitel. Der Stadtknplan ist von seinem Bischof verwarnt worden, weil
er Sozialpolitik treibt, und wird, als ers dennoch nicht läßt, zur Strafe in ein
ganz hochgelegnes steirisches Gebirgsdorf versetzt, wo es keine Bücher giebt Und
keine Leute, die sie lesen konnten. Seine Gedanken hat er nun in einem Tagebuch
niedergelegt, das von 1875 bis 1889 datirt ist. Der Haupttitel heißt: Das
ewige Licht (Leipzig, Staackmann). Gemeine ist damit außer dem übertragnen
Sinne, von dem das Buch erfüllt ist, die Ampel in der Kirche und ein glitzender
Schein an einer hohen Gebirgsspitze kurz vor Abend, und diese verschiednen Be¬
deutungen des Worts werden sehr hübsch zu allerlei Betrachtung verwendet. Ent¬
wicklung im Sinne eines gewöhnlichen Romans kann das Buch uicht haben, deun
der Pfarrer ist ja nicht verheiratet und bleibt bis an sein Lebensende oben im
Grenzboten IV 1896 ??>
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