Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.lveihnachtsbücher das ihn lange umfangen gehalten hat, der Müllerstochter. Das ist sein böser Geist, lveihnachtsbücher das ihn lange umfangen gehalten hat, der Müllerstochter. Das ist sein böser Geist, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0584" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224168"/> <fw type="header" place="top"> lveihnachtsbücher</fw><lb/> <p xml:id="ID_1732" prev="#ID_1731" next="#ID_1733"> das ihn lange umfangen gehalten hat, der Müllerstochter. Das ist sein böser Geist,<lb/> der ihn zuerst abbringt von den friedlichen Wegen, auf denen sein Leben beginnt<lb/> in dem kleinen, dvrfahnlichen Städtchen. Aber ohne das Treiben dieses Geistes<lb/> wäre aus der Dorfgeschichte kein Roman großen Stils geworden. Es thut uns<lb/> in der Seele weh, wie im ersten Teil das Idyll in Stücke geht. Aber es ging<lb/> nicht anders. Unsre Kinderideale verwirklichen sich ja auch in der Negel nicht.<lb/> Der Steinmetzlehrling, der die schönsten Grabsteine im Orte meißelte, konnte schließlich<lb/> die Bürgermeisterstochter Luischen heiraten und selbst Bürgermeister werden. Aber<lb/> was war dann weiter — für den Leser — zu gewinnen? Die dämonische Gertraud<lb/> wirft diesem Parzival den Zweifel und die Unruhe in die Seele, und wem sie es<lb/> einmal angethan hat, für den ist Luischen mit dem profitlichen Zug im Gesichte<lb/> — die reine, ausgeschlüpfte Mutter, wenn sie einmal im Lädchen steht und Seife ver¬<lb/> kauft —, Wohl eine ganz vortreffliche Person, aber nicht mehr die richtige Frau. Zur<lb/> Sühne dafür muß sie später der umherirrende Kunstakademiker als glückliche Mutter<lb/> zufällig erblicken, wo er selbst dem Untergange nahe ist — ein feiner und Ver¬<lb/> söhnlicher Zug. Auch Gertraud konnte uicht seine Frau werden. Sie ist die per-<lb/> sonifizirte Sünde. Als er — uns dem Höhepunkte des Romans — an das aus<lb/> einem uicht einmal bezahlten Marmorblock gehauene Werk, seine letzte Hoffnung,<lb/> die vollendende Hand legen will, trifft er Gertraud. Wild und fast verwahrlost<lb/> ist sie zu einem Volksvergnügen in die Residenz gekommen. Sie folgt nnn dem<lb/> einstigen Geliebten ins Atelier und giebt ihm den lebendigen Atem zu seiner<lb/> „Braut von Korinth." Das ist die Schilderung, die ich erwähnte. Ich habe viel¬<lb/> leicht alles gelesen, was es an Knnstschilderung und Beschreibung künstlerischer<lb/> Vorgänge in der deutschen Litteratur giebt, bin insonderheit durch die entsprechenden<lb/> Bestandteile unsrer Künstlernovellen abgebrüht und anspruchsvoll geworden. Dieses<lb/> hier aber ist geradezu bedeutend. Man muß es lesen. Ich magh nicht durch Aus¬<lb/> ziehen verderben. Es ist wirklich sehr schön. Am wenigsten sympathisch wird manchem<lb/> die dritte Frauengestalt, die schließlich Erwählte, Marin, die Professorstochter, sein.<lb/> Woran das liegt, kann ein aufmerksamer Leser bald finden. Aber der Schriftsteller<lb/> brauchte eine Kraft, die das gestörte Gleichgewicht einrenken half, und um brauchbar<lb/> zu sein, durfte sie nicht zu viel Wärme an sich ziehen. Dieser zweite Teil des<lb/> Romans ist ernst und stellenweise sehr traurig. Der junge Künstler hat das Ge¬<lb/> schick seiner alten Mutter, einer armen Büglerin in einer kleinen Stadt, mit in<lb/> seines gezogen. All ihr Hab und Gut ist verpfändet, und der größte Teil schon<lb/> verkauft worden. Ihr steht das Armenhaus bevor, wenn nicht der Verkauf des<lb/> Kunstwerks jetzt auf der Ausstellung alles rettet. Das hofft der Sohn, aber es<lb/> sind nur Hoffnungen. Bis diese sich wirklich erfüllen, ist noch viel Bangigkeit durch¬<lb/> zumachen. Das Verhältnis der Mutter zu dem Sohne giebt dem Dichter Anlaß,<lb/> auch hier die zarten, lyrischen Töne anzuschlagen, die in dem ersten Teile vor¬<lb/> herrschen, und über die er Meister ist. Die Schilderung ist köstlich, gemütswarm<lb/> und verklärt durch den Schimmer der Poesie. So etwas liest man nicht oft. Es<lb/> lebt vor unsern Augen und wird doch nicht zudringlich durch allzu realistische Be¬<lb/> schreibung. Unsre Gedanken werden angeregt und spinnen dann weiter. Wie zart<lb/> und inhaltreich ist die innere Betrachtung des Heimkehrenden, in die sich Plötzlich<lb/> die Erzählung verwandelt, unter äußern Eindrücken, die er auf seinem Wege hat:<lb/> „Arme Mutter, dachte er daun. Was hast du von deinem Sohne? Was hat er<lb/> dir bisher gethan? Er hat dich in Schulden und Sorgen, um Hab und Haus<lb/> gebracht. Und was bringt er dir mit? Zwei Arme, die dich tragen und schieben?<lb/> O nein! Schulden bringt er mit. Er kommt nicht, dir zu helfen, Mutter. Er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0584]
lveihnachtsbücher
das ihn lange umfangen gehalten hat, der Müllerstochter. Das ist sein böser Geist,
der ihn zuerst abbringt von den friedlichen Wegen, auf denen sein Leben beginnt
in dem kleinen, dvrfahnlichen Städtchen. Aber ohne das Treiben dieses Geistes
wäre aus der Dorfgeschichte kein Roman großen Stils geworden. Es thut uns
in der Seele weh, wie im ersten Teil das Idyll in Stücke geht. Aber es ging
nicht anders. Unsre Kinderideale verwirklichen sich ja auch in der Negel nicht.
Der Steinmetzlehrling, der die schönsten Grabsteine im Orte meißelte, konnte schließlich
die Bürgermeisterstochter Luischen heiraten und selbst Bürgermeister werden. Aber
was war dann weiter — für den Leser — zu gewinnen? Die dämonische Gertraud
wirft diesem Parzival den Zweifel und die Unruhe in die Seele, und wem sie es
einmal angethan hat, für den ist Luischen mit dem profitlichen Zug im Gesichte
— die reine, ausgeschlüpfte Mutter, wenn sie einmal im Lädchen steht und Seife ver¬
kauft —, Wohl eine ganz vortreffliche Person, aber nicht mehr die richtige Frau. Zur
Sühne dafür muß sie später der umherirrende Kunstakademiker als glückliche Mutter
zufällig erblicken, wo er selbst dem Untergange nahe ist — ein feiner und Ver¬
söhnlicher Zug. Auch Gertraud konnte uicht seine Frau werden. Sie ist die per-
sonifizirte Sünde. Als er — uns dem Höhepunkte des Romans — an das aus
einem uicht einmal bezahlten Marmorblock gehauene Werk, seine letzte Hoffnung,
die vollendende Hand legen will, trifft er Gertraud. Wild und fast verwahrlost
ist sie zu einem Volksvergnügen in die Residenz gekommen. Sie folgt nnn dem
einstigen Geliebten ins Atelier und giebt ihm den lebendigen Atem zu seiner
„Braut von Korinth." Das ist die Schilderung, die ich erwähnte. Ich habe viel¬
leicht alles gelesen, was es an Knnstschilderung und Beschreibung künstlerischer
Vorgänge in der deutschen Litteratur giebt, bin insonderheit durch die entsprechenden
Bestandteile unsrer Künstlernovellen abgebrüht und anspruchsvoll geworden. Dieses
hier aber ist geradezu bedeutend. Man muß es lesen. Ich magh nicht durch Aus¬
ziehen verderben. Es ist wirklich sehr schön. Am wenigsten sympathisch wird manchem
die dritte Frauengestalt, die schließlich Erwählte, Marin, die Professorstochter, sein.
Woran das liegt, kann ein aufmerksamer Leser bald finden. Aber der Schriftsteller
brauchte eine Kraft, die das gestörte Gleichgewicht einrenken half, und um brauchbar
zu sein, durfte sie nicht zu viel Wärme an sich ziehen. Dieser zweite Teil des
Romans ist ernst und stellenweise sehr traurig. Der junge Künstler hat das Ge¬
schick seiner alten Mutter, einer armen Büglerin in einer kleinen Stadt, mit in
seines gezogen. All ihr Hab und Gut ist verpfändet, und der größte Teil schon
verkauft worden. Ihr steht das Armenhaus bevor, wenn nicht der Verkauf des
Kunstwerks jetzt auf der Ausstellung alles rettet. Das hofft der Sohn, aber es
sind nur Hoffnungen. Bis diese sich wirklich erfüllen, ist noch viel Bangigkeit durch¬
zumachen. Das Verhältnis der Mutter zu dem Sohne giebt dem Dichter Anlaß,
auch hier die zarten, lyrischen Töne anzuschlagen, die in dem ersten Teile vor¬
herrschen, und über die er Meister ist. Die Schilderung ist köstlich, gemütswarm
und verklärt durch den Schimmer der Poesie. So etwas liest man nicht oft. Es
lebt vor unsern Augen und wird doch nicht zudringlich durch allzu realistische Be¬
schreibung. Unsre Gedanken werden angeregt und spinnen dann weiter. Wie zart
und inhaltreich ist die innere Betrachtung des Heimkehrenden, in die sich Plötzlich
die Erzählung verwandelt, unter äußern Eindrücken, die er auf seinem Wege hat:
„Arme Mutter, dachte er daun. Was hast du von deinem Sohne? Was hat er
dir bisher gethan? Er hat dich in Schulden und Sorgen, um Hab und Haus
gebracht. Und was bringt er dir mit? Zwei Arme, die dich tragen und schieben?
O nein! Schulden bringt er mit. Er kommt nicht, dir zu helfen, Mutter. Er
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