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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Englische Zustände

Rasse verkaufen die Inseln alljährlich, Guernsey ist das am dichtesten be¬
völkerte Land Europas (33000 Einwohner auf 5000 Hektaren Bodenfläche),
und die Menschen -- drängen und bedrängen sich nicht. Eine Rundfahrt
hatte dem Besucher "die wichtige, durch spätere Erfahrung bestärkte volkswirt¬
schaftliche Beobachtung eingebracht, daß die in ihrer Art außerordentlich hohe
Zivilisation auf deu normannischen Inseln das Land nicht, ähnlich wie der
Industriebetrieb in gewissen Teilen Englands, zur Kulturhölle verwandelt hat,
der die Bewohner -- natürlich die wirtschaftlich besser gestellten -- während
einiger Monate des Jahres gern entfliehen. Die normannischen Inseln ge¬
hören im Gegenteil das ganze Jahr hindurch für die englischen Jndnstrie-
und Handelsmenschen zu den beliebtesten Sommerfrischen und Erholungs-
Plützen. . . . Beim gewöhnlichen Ackerbau -- auch in dessen höchster englischer
Gestalt -- ist die Verwendung von Menschenarbeit und Kapital für die Ein¬
heit der bewirtschafteten Fläche so gering, daß mau ihn im Vergleich mit dem,
was wir im vorhergehenden gesehen haben, extensiv nennen kann. Für den
Ertrag des extensiven Anbaus spielen klimatische Verhältnisse und natürliche
Vodenbeschaffenheit eine entscheidendere Rolle als das Eingreifen des Land¬
wirth. Wird dagegen der Ackerbau so intensiv betrieben wie auf Guernsey
und auf Jersey, so ist das gerade Gegenteil der Fall: Wut vaut, 1'boiums,
t-we v-int, 1a tsrrs, sagt der Franzose. . . . Das Klima ist zwar sehr mild,
doch nicht besser als in großen Strecken Europas, die -- offenbar infolge er¬
bärmlicher sozialer Verhältnisse -- in barbarischer Weise bewirtschaftet werden.
Die Landleute der normannischen Inseln gehören zu den sozial freiesten von
ganz Europa. Sie haben von Alters her politische Selbstverwaltung mit
zwei eignen Parlamenten, sowie freie kommunale Institutionen. Indirekte
Steuern giebt es nicht, und sie sind überhaupt in Europa am geringsten mit
Steuern belastet. . . . Wir haben es hier mit einem Gemeinwesen zu thun,
wo große Volksdichtigkeit, allgemeiner Wohlstand mit gesunden Arbeitsverhült-
nissen, politische Freiheit und soziale Gleichstellung Hand in Hand gehen. In
England finden wir große Volksdichtigkeit -- in den Industriegebieten; wir
finden auch Wohlstand -- doch nicht allgemein; wir finden, daß die Arbeits¬
verhältnisse unter den zahlreichen Industriearbeitern, der Hauptmasse der Be¬
völkerung, überwiegend ungesund sind; wir finden politische Freiheit, doch eine
ungesund große soziale Ungleichheit. Das kleine Agrargemeinwesen ist also in
vielen wichtigen sozialen Hinsichten vollkommner als der große Industriestaat.
Für den freilich, der auf englische Manier Geld verdienen will, eignen sich
die Kanalinseln nicht. Nicht ein einziger der vielen Engländer, die auf Jersey
Land gekauft oder gepachtet und das als ^füllsam tÄruiörs nach englischer
Methode zu bewirtschaften versucht haben, hat mit seiner Spekulation Glück
gehabt. Gleichwohl hören wir von kompetenten englischen Beobachtern, daß
ein Besitzer vou zehn Hektaren auf Jersey weit besser wohnt und lebt als ein


Englische Zustände

Rasse verkaufen die Inseln alljährlich, Guernsey ist das am dichtesten be¬
völkerte Land Europas (33000 Einwohner auf 5000 Hektaren Bodenfläche),
und die Menschen — drängen und bedrängen sich nicht. Eine Rundfahrt
hatte dem Besucher „die wichtige, durch spätere Erfahrung bestärkte volkswirt¬
schaftliche Beobachtung eingebracht, daß die in ihrer Art außerordentlich hohe
Zivilisation auf deu normannischen Inseln das Land nicht, ähnlich wie der
Industriebetrieb in gewissen Teilen Englands, zur Kulturhölle verwandelt hat,
der die Bewohner — natürlich die wirtschaftlich besser gestellten — während
einiger Monate des Jahres gern entfliehen. Die normannischen Inseln ge¬
hören im Gegenteil das ganze Jahr hindurch für die englischen Jndnstrie-
und Handelsmenschen zu den beliebtesten Sommerfrischen und Erholungs-
Plützen. . . . Beim gewöhnlichen Ackerbau — auch in dessen höchster englischer
Gestalt — ist die Verwendung von Menschenarbeit und Kapital für die Ein¬
heit der bewirtschafteten Fläche so gering, daß mau ihn im Vergleich mit dem,
was wir im vorhergehenden gesehen haben, extensiv nennen kann. Für den
Ertrag des extensiven Anbaus spielen klimatische Verhältnisse und natürliche
Vodenbeschaffenheit eine entscheidendere Rolle als das Eingreifen des Land¬
wirth. Wird dagegen der Ackerbau so intensiv betrieben wie auf Guernsey
und auf Jersey, so ist das gerade Gegenteil der Fall: Wut vaut, 1'boiums,
t-we v-int, 1a tsrrs, sagt der Franzose. . . . Das Klima ist zwar sehr mild,
doch nicht besser als in großen Strecken Europas, die — offenbar infolge er¬
bärmlicher sozialer Verhältnisse — in barbarischer Weise bewirtschaftet werden.
Die Landleute der normannischen Inseln gehören zu den sozial freiesten von
ganz Europa. Sie haben von Alters her politische Selbstverwaltung mit
zwei eignen Parlamenten, sowie freie kommunale Institutionen. Indirekte
Steuern giebt es nicht, und sie sind überhaupt in Europa am geringsten mit
Steuern belastet. . . . Wir haben es hier mit einem Gemeinwesen zu thun,
wo große Volksdichtigkeit, allgemeiner Wohlstand mit gesunden Arbeitsverhült-
nissen, politische Freiheit und soziale Gleichstellung Hand in Hand gehen. In
England finden wir große Volksdichtigkeit — in den Industriegebieten; wir
finden auch Wohlstand — doch nicht allgemein; wir finden, daß die Arbeits¬
verhältnisse unter den zahlreichen Industriearbeitern, der Hauptmasse der Be¬
völkerung, überwiegend ungesund sind; wir finden politische Freiheit, doch eine
ungesund große soziale Ungleichheit. Das kleine Agrargemeinwesen ist also in
vielen wichtigen sozialen Hinsichten vollkommner als der große Industriestaat.
Für den freilich, der auf englische Manier Geld verdienen will, eignen sich
die Kanalinseln nicht. Nicht ein einziger der vielen Engländer, die auf Jersey
Land gekauft oder gepachtet und das als ^füllsam tÄruiörs nach englischer
Methode zu bewirtschaften versucht haben, hat mit seiner Spekulation Glück
gehabt. Gleichwohl hören wir von kompetenten englischen Beobachtern, daß
ein Besitzer vou zehn Hektaren auf Jersey weit besser wohnt und lebt als ein


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[0567] Englische Zustände Rasse verkaufen die Inseln alljährlich, Guernsey ist das am dichtesten be¬ völkerte Land Europas (33000 Einwohner auf 5000 Hektaren Bodenfläche), und die Menschen — drängen und bedrängen sich nicht. Eine Rundfahrt hatte dem Besucher „die wichtige, durch spätere Erfahrung bestärkte volkswirt¬ schaftliche Beobachtung eingebracht, daß die in ihrer Art außerordentlich hohe Zivilisation auf deu normannischen Inseln das Land nicht, ähnlich wie der Industriebetrieb in gewissen Teilen Englands, zur Kulturhölle verwandelt hat, der die Bewohner — natürlich die wirtschaftlich besser gestellten — während einiger Monate des Jahres gern entfliehen. Die normannischen Inseln ge¬ hören im Gegenteil das ganze Jahr hindurch für die englischen Jndnstrie- und Handelsmenschen zu den beliebtesten Sommerfrischen und Erholungs- Plützen. . . . Beim gewöhnlichen Ackerbau — auch in dessen höchster englischer Gestalt — ist die Verwendung von Menschenarbeit und Kapital für die Ein¬ heit der bewirtschafteten Fläche so gering, daß mau ihn im Vergleich mit dem, was wir im vorhergehenden gesehen haben, extensiv nennen kann. Für den Ertrag des extensiven Anbaus spielen klimatische Verhältnisse und natürliche Vodenbeschaffenheit eine entscheidendere Rolle als das Eingreifen des Land¬ wirth. Wird dagegen der Ackerbau so intensiv betrieben wie auf Guernsey und auf Jersey, so ist das gerade Gegenteil der Fall: Wut vaut, 1'boiums, t-we v-int, 1a tsrrs, sagt der Franzose. . . . Das Klima ist zwar sehr mild, doch nicht besser als in großen Strecken Europas, die — offenbar infolge er¬ bärmlicher sozialer Verhältnisse — in barbarischer Weise bewirtschaftet werden. Die Landleute der normannischen Inseln gehören zu den sozial freiesten von ganz Europa. Sie haben von Alters her politische Selbstverwaltung mit zwei eignen Parlamenten, sowie freie kommunale Institutionen. Indirekte Steuern giebt es nicht, und sie sind überhaupt in Europa am geringsten mit Steuern belastet. . . . Wir haben es hier mit einem Gemeinwesen zu thun, wo große Volksdichtigkeit, allgemeiner Wohlstand mit gesunden Arbeitsverhült- nissen, politische Freiheit und soziale Gleichstellung Hand in Hand gehen. In England finden wir große Volksdichtigkeit — in den Industriegebieten; wir finden auch Wohlstand — doch nicht allgemein; wir finden, daß die Arbeits¬ verhältnisse unter den zahlreichen Industriearbeitern, der Hauptmasse der Be¬ völkerung, überwiegend ungesund sind; wir finden politische Freiheit, doch eine ungesund große soziale Ungleichheit. Das kleine Agrargemeinwesen ist also in vielen wichtigen sozialen Hinsichten vollkommner als der große Industriestaat. Für den freilich, der auf englische Manier Geld verdienen will, eignen sich die Kanalinseln nicht. Nicht ein einziger der vielen Engländer, die auf Jersey Land gekauft oder gepachtet und das als ^füllsam tÄruiörs nach englischer Methode zu bewirtschaften versucht haben, hat mit seiner Spekulation Glück gehabt. Gleichwohl hören wir von kompetenten englischen Beobachtern, daß ein Besitzer vou zehn Hektaren auf Jersey weit besser wohnt und lebt als ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/567>, abgerufen am 08.01.2025.