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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Englische Zustände

solcher von hundert Hektaren in England. ... Die intensiverer Bewirt¬
schaftungsmethoden dieser reizenden Inseln beweisen, daß eine unerhörte Volks-
dichtigkeit mit der Erzeugung eines reichlichen Überschusses von Nahrungsmitteln
vereinbar ist, und das auch, ohne daß die Natur ihre Schönheit einbüßt oder
die Arbeit ungesund und entnervend wird, wie es der Fall ist, wenn sich eine
dichte Bevölkerung die Erzeugung eines Überschusses von Jndustriewaren zur
Spezialität macht. . . . Vielleicht werden die Menschen der Zukunft entdecken,
daß der Ackerbau unsre Mutternahrung auch in mehr geistigem Sinne als dein
einer Nahrungsmittelindustrie ist, und daß es sogar für die geistige Gesundheit
des Menschengeschlechts von Bedeutung sein kann, daß niemand von Ackerbau¬
gegenden und Ackerbauarbeiten bestündig isolirt lebt. Unter weitsichtigen Eng¬
ländern erörtert man bereits die Frage, "die Industriestädte aufs Land zu
versetzen," oder wissenschaftlicher ausgedrückt, Ackerbau und Industrie zu
integriren, sodaß beide in der großen Mehrheit der Gemeinden des Landes
nahezu gleichmäßig stark betrieben würden. Inäustrml villag'Sö nennt man in
England dieses Zukunftsideal für Ordnung der Produktion. . . . Jndnstrie-
und Landarbeiter sollen im ganzen Lande sozusagen Wand an Wand produziren
und uicht länger die sonderbare und ungesunde Erscheinung zweier geistig und
körperlich verschiednen Rassen aufweisen -- beide schief entwickelt durch ein¬
seitige Beschäftigungen und Umgebungen. . . . Ein gesundes Volk muß aus
gesunden Individuen bestehen, vorzüglich in den tiefen Schichten, denn ans
der Tiefe kommt stets die Kraft zu neuen Knlturfortschritten, die unverbrauchte
jugendliche Lebenskraft."

Wo alle mit der Hand arbeiten, da ist natürlich auch der soziale Abstand
zwischen Besitzer und Lohnarbeiter gering. Dagegen ist in England der Land¬
arbeiter eine von den gentlöiriön fg.rmvrs grundverschicdne Menschenklasse.
Koenig, der selbst mit den Augen eines solchen Farmers sieht, findet die Lage
der Landarbeiter im ganzen befriedigend und wird nicht müde, die Güte und
Menschenfreundlichkeit der Pächter und die Zufriedenheit und Anhänglichkeit
der Arbeiter zu preisen; uur daß die Maschinen und der Übergang vom Körner¬
bau zur Viehzucht Arbeiter überflüssig macheu, erkennt er als einen Übelstand
an, unter dem sie leiden. Steffen schildert die Entwürdigung der ländlichen
Arbeiterschaft, wie sie schon in der amtlichen Bezeichnung Urs ladouring' xoor
oder bloß t,d<z xoor liegt, ihre elenden Behausungen -- auch er bestätigt, daß
die schmücken eottgMZ, mit denen sich hie und da das Herrenhaus umgiebt,
bloß Schandörfer sind -- und ihre klägliche Abhängigkeit, die durch die be¬
leidigende und herabwürdigende Wohlthätigkeit der Damen, an deren Spitze
gewöhnlich die Töchter des Grundherrn und die Gattin des Geistlichen stehen,
nur verstärkt werde. Der Industriearbeiter habe wenigstens das freie Be¬
stimmungsrecht über seine eigne Seele. Und so zögen denn die strebsamern
unter' deu Landarbeitern in die Stadt. "Die Industrie und die Städte ab-


Englische Zustände

solcher von hundert Hektaren in England. ... Die intensiverer Bewirt¬
schaftungsmethoden dieser reizenden Inseln beweisen, daß eine unerhörte Volks-
dichtigkeit mit der Erzeugung eines reichlichen Überschusses von Nahrungsmitteln
vereinbar ist, und das auch, ohne daß die Natur ihre Schönheit einbüßt oder
die Arbeit ungesund und entnervend wird, wie es der Fall ist, wenn sich eine
dichte Bevölkerung die Erzeugung eines Überschusses von Jndustriewaren zur
Spezialität macht. . . . Vielleicht werden die Menschen der Zukunft entdecken,
daß der Ackerbau unsre Mutternahrung auch in mehr geistigem Sinne als dein
einer Nahrungsmittelindustrie ist, und daß es sogar für die geistige Gesundheit
des Menschengeschlechts von Bedeutung sein kann, daß niemand von Ackerbau¬
gegenden und Ackerbauarbeiten bestündig isolirt lebt. Unter weitsichtigen Eng¬
ländern erörtert man bereits die Frage, »die Industriestädte aufs Land zu
versetzen,« oder wissenschaftlicher ausgedrückt, Ackerbau und Industrie zu
integriren, sodaß beide in der großen Mehrheit der Gemeinden des Landes
nahezu gleichmäßig stark betrieben würden. Inäustrml villag'Sö nennt man in
England dieses Zukunftsideal für Ordnung der Produktion. . . . Jndnstrie-
und Landarbeiter sollen im ganzen Lande sozusagen Wand an Wand produziren
und uicht länger die sonderbare und ungesunde Erscheinung zweier geistig und
körperlich verschiednen Rassen aufweisen — beide schief entwickelt durch ein¬
seitige Beschäftigungen und Umgebungen. . . . Ein gesundes Volk muß aus
gesunden Individuen bestehen, vorzüglich in den tiefen Schichten, denn ans
der Tiefe kommt stets die Kraft zu neuen Knlturfortschritten, die unverbrauchte
jugendliche Lebenskraft."

Wo alle mit der Hand arbeiten, da ist natürlich auch der soziale Abstand
zwischen Besitzer und Lohnarbeiter gering. Dagegen ist in England der Land¬
arbeiter eine von den gentlöiriön fg.rmvrs grundverschicdne Menschenklasse.
Koenig, der selbst mit den Augen eines solchen Farmers sieht, findet die Lage
der Landarbeiter im ganzen befriedigend und wird nicht müde, die Güte und
Menschenfreundlichkeit der Pächter und die Zufriedenheit und Anhänglichkeit
der Arbeiter zu preisen; uur daß die Maschinen und der Übergang vom Körner¬
bau zur Viehzucht Arbeiter überflüssig macheu, erkennt er als einen Übelstand
an, unter dem sie leiden. Steffen schildert die Entwürdigung der ländlichen
Arbeiterschaft, wie sie schon in der amtlichen Bezeichnung Urs ladouring' xoor
oder bloß t,d<z xoor liegt, ihre elenden Behausungen — auch er bestätigt, daß
die schmücken eottgMZ, mit denen sich hie und da das Herrenhaus umgiebt,
bloß Schandörfer sind — und ihre klägliche Abhängigkeit, die durch die be¬
leidigende und herabwürdigende Wohlthätigkeit der Damen, an deren Spitze
gewöhnlich die Töchter des Grundherrn und die Gattin des Geistlichen stehen,
nur verstärkt werde. Der Industriearbeiter habe wenigstens das freie Be¬
stimmungsrecht über seine eigne Seele. Und so zögen denn die strebsamern
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[0568] Englische Zustände solcher von hundert Hektaren in England. ... Die intensiverer Bewirt¬ schaftungsmethoden dieser reizenden Inseln beweisen, daß eine unerhörte Volks- dichtigkeit mit der Erzeugung eines reichlichen Überschusses von Nahrungsmitteln vereinbar ist, und das auch, ohne daß die Natur ihre Schönheit einbüßt oder die Arbeit ungesund und entnervend wird, wie es der Fall ist, wenn sich eine dichte Bevölkerung die Erzeugung eines Überschusses von Jndustriewaren zur Spezialität macht. . . . Vielleicht werden die Menschen der Zukunft entdecken, daß der Ackerbau unsre Mutternahrung auch in mehr geistigem Sinne als dein einer Nahrungsmittelindustrie ist, und daß es sogar für die geistige Gesundheit des Menschengeschlechts von Bedeutung sein kann, daß niemand von Ackerbau¬ gegenden und Ackerbauarbeiten bestündig isolirt lebt. Unter weitsichtigen Eng¬ ländern erörtert man bereits die Frage, »die Industriestädte aufs Land zu versetzen,« oder wissenschaftlicher ausgedrückt, Ackerbau und Industrie zu integriren, sodaß beide in der großen Mehrheit der Gemeinden des Landes nahezu gleichmäßig stark betrieben würden. Inäustrml villag'Sö nennt man in England dieses Zukunftsideal für Ordnung der Produktion. . . . Jndnstrie- und Landarbeiter sollen im ganzen Lande sozusagen Wand an Wand produziren und uicht länger die sonderbare und ungesunde Erscheinung zweier geistig und körperlich verschiednen Rassen aufweisen — beide schief entwickelt durch ein¬ seitige Beschäftigungen und Umgebungen. . . . Ein gesundes Volk muß aus gesunden Individuen bestehen, vorzüglich in den tiefen Schichten, denn ans der Tiefe kommt stets die Kraft zu neuen Knlturfortschritten, die unverbrauchte jugendliche Lebenskraft." Wo alle mit der Hand arbeiten, da ist natürlich auch der soziale Abstand zwischen Besitzer und Lohnarbeiter gering. Dagegen ist in England der Land¬ arbeiter eine von den gentlöiriön fg.rmvrs grundverschicdne Menschenklasse. Koenig, der selbst mit den Augen eines solchen Farmers sieht, findet die Lage der Landarbeiter im ganzen befriedigend und wird nicht müde, die Güte und Menschenfreundlichkeit der Pächter und die Zufriedenheit und Anhänglichkeit der Arbeiter zu preisen; uur daß die Maschinen und der Übergang vom Körner¬ bau zur Viehzucht Arbeiter überflüssig macheu, erkennt er als einen Übelstand an, unter dem sie leiden. Steffen schildert die Entwürdigung der ländlichen Arbeiterschaft, wie sie schon in der amtlichen Bezeichnung Urs ladouring' xoor oder bloß t,d<z xoor liegt, ihre elenden Behausungen — auch er bestätigt, daß die schmücken eottgMZ, mit denen sich hie und da das Herrenhaus umgiebt, bloß Schandörfer sind — und ihre klägliche Abhängigkeit, die durch die be¬ leidigende und herabwürdigende Wohlthätigkeit der Damen, an deren Spitze gewöhnlich die Töchter des Grundherrn und die Gattin des Geistlichen stehen, nur verstärkt werde. Der Industriearbeiter habe wenigstens das freie Be¬ stimmungsrecht über seine eigne Seele. Und so zögen denn die strebsamern unter' deu Landarbeitern in die Stadt. „Die Industrie und die Städte ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/568>, abgerufen am 06.01.2025.