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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Englische Zustände

Nachlaß von fünfzig Prozent bedeutet eine ebenso große Wertverminderung des
Gutes. Wenn demnach in England durch Pachtnachlnsse die Krisis überwunden
und die Landwirtschaft scmirt worden ist, so bedeutet das, daß die zeitgemäße
Herabsetzung des Gutswerts Rettung gebracht hat. Und das ist uun über¬
haupt die einzige Rettung, die es in fälschlich so genannten landwirtschaftlichen
Krisen giebt -- abschreiben! sagt Caprivi --, nur daß sie dort, wo die Land¬
wirtschaft von Besitzern statt von Pächtern betrieben wird, schwerer durch¬
zuführen ist und größere Leiden verursacht. Sie kann auf zweierlei Art durch¬
geführt werdeu. Entweder der Staat vollführt einen Gewaltstreich und ver¬
mindert die Hypothekenfordernngen um fünfzig Prozent oder mehr. Diesen
Gewaltstreich wird eine moderne Regierung uicht leicht wagen, weil die Hhpo-
thekengläubigcr keineswegs bloß Juden sind; deshalb wollten es die Herren
Kardorff und Genossen von hinten herum mit einer "Währungsreform" ver¬
suchen, aber die Hypothekengläubiger haben auch so den Braten gerochen, und
die Silbermänner haben sich vor der Hand in das Gebiet des Akademischen
zurückziehen müssen. Oder man überläßt die verschuldeten Grundbesitzer ihrem
Schicksal und führt so einen Bodenkrach herbei, der den Kaufpreis der Güter
vermindert; auf dem billig gekauften Boden kommen dann die neuen Besitzer
wieder ganz gut fort. Die Landwirtschaft an sich, die naturalwirtschaftlich
betriebne Landwirtschaft, kann niemals in Gefahr geraten, oder höchstens durch
drei Feinde, die innerhalb der heutigen Kulturwelt nirgends mehr vorhanden
sind: durch die Faulheit der Besitzer, durch Naturgewalten (z. B. Fort¬
schwemmen ungeschützter Uferstrecken) und durch barbarische Zustände (einen
Pascha, der den Bauern regelmäßig die Frucht ihrer Arbeit unter dem Vor-
wande der Steuer wegnimmt, was in dem nicht zur Kulturwelt gehörigen
Nußland noch vorkommt, und räuberische Nachbarn, die die Ernte oder das
Vieh wegschleppen). Außer diesen drei feindlichen Gewalten ist nichts denkbar,
was einen Mann -- vorhandnen Boden vorausgesetzt -- verhindern könnte,
diesen Boden zu bebauen und Vieh darauf zu züchten, um damit sich und die
Seinigen zu nähren, wobei, die Jahre des Mißwnchses ausgenommen, stets
mehr wächst, als er selbst braucht; es ist auch nichts denkbar, was bei Sklaven¬
wirtschaft den Besitzer eines Grvßgutes hindern sollte, auf seinem Boden von
seinen Sklaven alles erzeugen zu lassen, was er und seine Leute brauchen.
Erst innerhalb der kapitalistischen Produktionsordnung*) wird das anders.



Man kann nicht vorsichtig genug sein, und, darum bemerken wir ausdrücklich, daß mir
unter kapitalistischer Produktionsiveisc nicht etwa die Produktion mit Kapital, d, h, mit einem
Vorrat verbesserter Arbeitsmittel verstehen, sondern die Produktion von Marktware statt für den
Bedarf, wobei es dem Produzenten ganz gleichgiltig ist, ob sein Roggen z. B. von Menschen
oder von Schweinen verzehrt, oder in Fusel verwandelt, over ins Wasser geworfen wird, wenn
er nur Geld dafür kriegt. Kapitalismus, in diesem Sinne fällt großenteils mit Geld- und Tausch¬
wirtschaft zusammen. .....
Englische Zustände

Nachlaß von fünfzig Prozent bedeutet eine ebenso große Wertverminderung des
Gutes. Wenn demnach in England durch Pachtnachlnsse die Krisis überwunden
und die Landwirtschaft scmirt worden ist, so bedeutet das, daß die zeitgemäße
Herabsetzung des Gutswerts Rettung gebracht hat. Und das ist uun über¬
haupt die einzige Rettung, die es in fälschlich so genannten landwirtschaftlichen
Krisen giebt — abschreiben! sagt Caprivi —, nur daß sie dort, wo die Land¬
wirtschaft von Besitzern statt von Pächtern betrieben wird, schwerer durch¬
zuführen ist und größere Leiden verursacht. Sie kann auf zweierlei Art durch¬
geführt werdeu. Entweder der Staat vollführt einen Gewaltstreich und ver¬
mindert die Hypothekenfordernngen um fünfzig Prozent oder mehr. Diesen
Gewaltstreich wird eine moderne Regierung uicht leicht wagen, weil die Hhpo-
thekengläubigcr keineswegs bloß Juden sind; deshalb wollten es die Herren
Kardorff und Genossen von hinten herum mit einer „Währungsreform" ver¬
suchen, aber die Hypothekengläubiger haben auch so den Braten gerochen, und
die Silbermänner haben sich vor der Hand in das Gebiet des Akademischen
zurückziehen müssen. Oder man überläßt die verschuldeten Grundbesitzer ihrem
Schicksal und führt so einen Bodenkrach herbei, der den Kaufpreis der Güter
vermindert; auf dem billig gekauften Boden kommen dann die neuen Besitzer
wieder ganz gut fort. Die Landwirtschaft an sich, die naturalwirtschaftlich
betriebne Landwirtschaft, kann niemals in Gefahr geraten, oder höchstens durch
drei Feinde, die innerhalb der heutigen Kulturwelt nirgends mehr vorhanden
sind: durch die Faulheit der Besitzer, durch Naturgewalten (z. B. Fort¬
schwemmen ungeschützter Uferstrecken) und durch barbarische Zustände (einen
Pascha, der den Bauern regelmäßig die Frucht ihrer Arbeit unter dem Vor-
wande der Steuer wegnimmt, was in dem nicht zur Kulturwelt gehörigen
Nußland noch vorkommt, und räuberische Nachbarn, die die Ernte oder das
Vieh wegschleppen). Außer diesen drei feindlichen Gewalten ist nichts denkbar,
was einen Mann — vorhandnen Boden vorausgesetzt — verhindern könnte,
diesen Boden zu bebauen und Vieh darauf zu züchten, um damit sich und die
Seinigen zu nähren, wobei, die Jahre des Mißwnchses ausgenommen, stets
mehr wächst, als er selbst braucht; es ist auch nichts denkbar, was bei Sklaven¬
wirtschaft den Besitzer eines Grvßgutes hindern sollte, auf seinem Boden von
seinen Sklaven alles erzeugen zu lassen, was er und seine Leute brauchen.
Erst innerhalb der kapitalistischen Produktionsordnung*) wird das anders.



Man kann nicht vorsichtig genug sein, und, darum bemerken wir ausdrücklich, daß mir
unter kapitalistischer Produktionsiveisc nicht etwa die Produktion mit Kapital, d, h, mit einem
Vorrat verbesserter Arbeitsmittel verstehen, sondern die Produktion von Marktware statt für den
Bedarf, wobei es dem Produzenten ganz gleichgiltig ist, ob sein Roggen z. B. von Menschen
oder von Schweinen verzehrt, oder in Fusel verwandelt, over ins Wasser geworfen wird, wenn
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[0564] Englische Zustände Nachlaß von fünfzig Prozent bedeutet eine ebenso große Wertverminderung des Gutes. Wenn demnach in England durch Pachtnachlnsse die Krisis überwunden und die Landwirtschaft scmirt worden ist, so bedeutet das, daß die zeitgemäße Herabsetzung des Gutswerts Rettung gebracht hat. Und das ist uun über¬ haupt die einzige Rettung, die es in fälschlich so genannten landwirtschaftlichen Krisen giebt — abschreiben! sagt Caprivi —, nur daß sie dort, wo die Land¬ wirtschaft von Besitzern statt von Pächtern betrieben wird, schwerer durch¬ zuführen ist und größere Leiden verursacht. Sie kann auf zweierlei Art durch¬ geführt werdeu. Entweder der Staat vollführt einen Gewaltstreich und ver¬ mindert die Hypothekenfordernngen um fünfzig Prozent oder mehr. Diesen Gewaltstreich wird eine moderne Regierung uicht leicht wagen, weil die Hhpo- thekengläubigcr keineswegs bloß Juden sind; deshalb wollten es die Herren Kardorff und Genossen von hinten herum mit einer „Währungsreform" ver¬ suchen, aber die Hypothekengläubiger haben auch so den Braten gerochen, und die Silbermänner haben sich vor der Hand in das Gebiet des Akademischen zurückziehen müssen. Oder man überläßt die verschuldeten Grundbesitzer ihrem Schicksal und führt so einen Bodenkrach herbei, der den Kaufpreis der Güter vermindert; auf dem billig gekauften Boden kommen dann die neuen Besitzer wieder ganz gut fort. Die Landwirtschaft an sich, die naturalwirtschaftlich betriebne Landwirtschaft, kann niemals in Gefahr geraten, oder höchstens durch drei Feinde, die innerhalb der heutigen Kulturwelt nirgends mehr vorhanden sind: durch die Faulheit der Besitzer, durch Naturgewalten (z. B. Fort¬ schwemmen ungeschützter Uferstrecken) und durch barbarische Zustände (einen Pascha, der den Bauern regelmäßig die Frucht ihrer Arbeit unter dem Vor- wande der Steuer wegnimmt, was in dem nicht zur Kulturwelt gehörigen Nußland noch vorkommt, und räuberische Nachbarn, die die Ernte oder das Vieh wegschleppen). Außer diesen drei feindlichen Gewalten ist nichts denkbar, was einen Mann — vorhandnen Boden vorausgesetzt — verhindern könnte, diesen Boden zu bebauen und Vieh darauf zu züchten, um damit sich und die Seinigen zu nähren, wobei, die Jahre des Mißwnchses ausgenommen, stets mehr wächst, als er selbst braucht; es ist auch nichts denkbar, was bei Sklaven¬ wirtschaft den Besitzer eines Grvßgutes hindern sollte, auf seinem Boden von seinen Sklaven alles erzeugen zu lassen, was er und seine Leute brauchen. Erst innerhalb der kapitalistischen Produktionsordnung*) wird das anders. Man kann nicht vorsichtig genug sein, und, darum bemerken wir ausdrücklich, daß mir unter kapitalistischer Produktionsiveisc nicht etwa die Produktion mit Kapital, d, h, mit einem Vorrat verbesserter Arbeitsmittel verstehen, sondern die Produktion von Marktware statt für den Bedarf, wobei es dem Produzenten ganz gleichgiltig ist, ob sein Roggen z. B. von Menschen oder von Schweinen verzehrt, oder in Fusel verwandelt, over ins Wasser geworfen wird, wenn er nur Geld dafür kriegt. Kapitalismus, in diesem Sinne fällt großenteils mit Geld- und Tausch¬ wirtschaft zusammen. .....

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/564>, abgerufen am 08.01.2025.