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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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stände hervorgegangnen Lcmdlords erwiesen sich weniger nachsichtig und wohl¬
wollend, als die aus der Aristokratie. Jedenfalls lasse sich ein Bauernstand,
so erwünscht er auch ans sozialen und politischen Gründen sein möge, nicht von
heute zu morgen schaffen. Das letzte ist richtig, auf teueren Boden läßt er
sich überhaupt nicht schaffen; er kann nur auf Neuland entstehen, auf altem
Kulturboden höchstens dann, wenn dieser durch eine große Katastrophe ent¬
wertet wird. Über die Gesetze, die das Verhältnis zwischen Eigentümer und
Pächter regeln, namentlich über das hauptsächlichste, die ^grieulwi-al Loläing'
^ot, wird nach König wenig geklagt. Aber vernehmen wir noch die Ansicht
von Steffen.

"Die Pachtsumme ist ein durch offne Konkurrenz bestimmter Mietzins,
der Pächter hat aber nicht die gleiche Sicherheit für Ersatz aufgewendeten
Kapitals nach längeren geduldigen Ausharren, wie der gewöhnliche kapitalistische
Gewerbetreibende; ebenso wenig genießt er dieselbe Bewegungsfreiheit bezüglich
der Organisation und zeitgemäßen Umwandlung seines Betriebs, dank der
thörichten egoistischen Agrarpolitik der im Unterhaus" mächtigen und im Ober¬
hause übermächtigen Bodenbarone. Die Gesetzgebung müßte diese feudale
Machtvollkommenheit in ökonomischen Dingen stark beschneiden, damit der
Landmann freie Hand bekäme. Schon seit Aufhebung der Leibeigenschaft ver¬
stand es der englische Adel, mit Hilfe der Gesetzgebung seine Privilegien
künstlich zu bewahren und zu erweitern, Privilegien, denen die wirtschaftliche
Entwicklung ein natürliches Ende zu bereiten drohte. Von der 1688er aristo¬
kratischen Revolution bis zu den 1830er bürgerlichen Reformen des Parlaments
und der Lokalverwaltung besaß der grnndbesitzende hohe und niedre Adel eine
sozialpolitische Übermacht, die zu gewaltsamer Gesetzgebung und Verwaltung
im aristokratischen Sonderinteresse benutzt wurde. Dadurch, daß man großer
Bodencigentllmer war, gehörte man zu den Mächtigen im Lande; und es ge¬
staltete sich zu einer wichtigen Seite im englischen Agrarsystem, daß reiche
Personen darnach strebten, Großgrundbesitzer zu werden, nicht um sich noch
weiter zu bereichern, sondern um die soziale Macht ihres Geldes zu genießen,
um Mitglieder der mächtigsten, bevorzugtesten, sozial einflußreichsten und vor¬
nehmsten Klasse der Gesellschaft zu werden. Aus diesem Grunde ist und wird
man noch heutigen Tags in England Großgrundeigentümer. Man kauft Land,
um Macht, Privilegien und Adelstitel zu erwerben, und in dieses System paßt
es nicht im mindesten, die Landwirtschaft durch Einschränkung jener Privilegien
zu einem wirtschaftlich gesundem Erwerbszweige zu machen. Man kümmert sich
nicht darum, daß das System Geld kostet und den Ackerbau weniger einträglich
macht, als er sein könnte, man befriedigt stärkere Passionen als die Geldgier,
nämlich die Eitelkeit und die Machtbegierde Wichtiger wohl: nachdem die Geld¬
gier befriedigt und das Einkommen so hoch gestiegen ist, daß eine weitere
Steigerung nur die Last vermehrt, aber keinen Vorteil mehr bringt, denkt man


stände hervorgegangnen Lcmdlords erwiesen sich weniger nachsichtig und wohl¬
wollend, als die aus der Aristokratie. Jedenfalls lasse sich ein Bauernstand,
so erwünscht er auch ans sozialen und politischen Gründen sein möge, nicht von
heute zu morgen schaffen. Das letzte ist richtig, auf teueren Boden läßt er
sich überhaupt nicht schaffen; er kann nur auf Neuland entstehen, auf altem
Kulturboden höchstens dann, wenn dieser durch eine große Katastrophe ent¬
wertet wird. Über die Gesetze, die das Verhältnis zwischen Eigentümer und
Pächter regeln, namentlich über das hauptsächlichste, die ^grieulwi-al Loläing'
^ot, wird nach König wenig geklagt. Aber vernehmen wir noch die Ansicht
von Steffen.

„Die Pachtsumme ist ein durch offne Konkurrenz bestimmter Mietzins,
der Pächter hat aber nicht die gleiche Sicherheit für Ersatz aufgewendeten
Kapitals nach längeren geduldigen Ausharren, wie der gewöhnliche kapitalistische
Gewerbetreibende; ebenso wenig genießt er dieselbe Bewegungsfreiheit bezüglich
der Organisation und zeitgemäßen Umwandlung seines Betriebs, dank der
thörichten egoistischen Agrarpolitik der im Unterhaus« mächtigen und im Ober¬
hause übermächtigen Bodenbarone. Die Gesetzgebung müßte diese feudale
Machtvollkommenheit in ökonomischen Dingen stark beschneiden, damit der
Landmann freie Hand bekäme. Schon seit Aufhebung der Leibeigenschaft ver¬
stand es der englische Adel, mit Hilfe der Gesetzgebung seine Privilegien
künstlich zu bewahren und zu erweitern, Privilegien, denen die wirtschaftliche
Entwicklung ein natürliches Ende zu bereiten drohte. Von der 1688er aristo¬
kratischen Revolution bis zu den 1830er bürgerlichen Reformen des Parlaments
und der Lokalverwaltung besaß der grnndbesitzende hohe und niedre Adel eine
sozialpolitische Übermacht, die zu gewaltsamer Gesetzgebung und Verwaltung
im aristokratischen Sonderinteresse benutzt wurde. Dadurch, daß man großer
Bodencigentllmer war, gehörte man zu den Mächtigen im Lande; und es ge¬
staltete sich zu einer wichtigen Seite im englischen Agrarsystem, daß reiche
Personen darnach strebten, Großgrundbesitzer zu werden, nicht um sich noch
weiter zu bereichern, sondern um die soziale Macht ihres Geldes zu genießen,
um Mitglieder der mächtigsten, bevorzugtesten, sozial einflußreichsten und vor¬
nehmsten Klasse der Gesellschaft zu werden. Aus diesem Grunde ist und wird
man noch heutigen Tags in England Großgrundeigentümer. Man kauft Land,
um Macht, Privilegien und Adelstitel zu erwerben, und in dieses System paßt
es nicht im mindesten, die Landwirtschaft durch Einschränkung jener Privilegien
zu einem wirtschaftlich gesundem Erwerbszweige zu machen. Man kümmert sich
nicht darum, daß das System Geld kostet und den Ackerbau weniger einträglich
macht, als er sein könnte, man befriedigt stärkere Passionen als die Geldgier,
nämlich die Eitelkeit und die Machtbegierde Wichtiger wohl: nachdem die Geld¬
gier befriedigt und das Einkommen so hoch gestiegen ist, daß eine weitere
Steigerung nur die Last vermehrt, aber keinen Vorteil mehr bringt, denkt man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/562>, abgerufen am 08.01.2025.