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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Englische Zustände

das früher oft der Fall war." 1893 litt die Grafschaft derart an Dürre, daß
vielfach nur zwei Quarter auf dem Acre geerntet wurden, was seit 1845 nicht
mehr vorgekommen war. In Somerset war das Wetter die letzten Jahre über
sehr ungünstig. Ein Farmer berichtete dem Verfasser: 1890 habe ich 150 tons
Heu geerntet, 1892 50 tons, 1893 10 tons. Mögen die Farmer, wünscht der
Verfasser S. 98, "ihre Verluste vergessen und mit Zuversicht und Vertrauen
vorwärts blicken, und mögen sie von einer Reihe schlechter Jahrgänge") ver¬
schont bleiben, die ihnen mehr Schaden bringen würde als die niedrigen Ge¬
treidepreise von hente." Und S. 140 schreibt er: "Hütten die Farmer in
England jetzt eine Reihe guter Jahrgänge, so glaube ich sicher, daß die
Pachter wieder steigen würden." Den Zustand der Viehzüchtergrafschafteu be¬
schreibt er als einen geradezu blühenden, und er glaubt, daß diese Blüte Be¬
stand haben werde, weil die Zeit des billigen amerikanischen Fleisches ihrem
Ende zuneige. In den Getreidegegenden, wo der Übergang zur Viehzucht nicht
so leicht ist, macht die Besserung langsamere Fortschritte. Gute Einnahmen
erzielen besonders solche Landwirte, die sich auf Spezialitäten wie Zuchttiere
und Saatgut verlegen; das kann freilich nicht jeder, denn die Zucht vou Zucht¬
tiere:: z. V. lohnt nur dann, wenn der geschickte Züchter Tiere von der höchsten
Güte auf den Markt zu liefern vermag.

Aber diese Änderung des Wirtschaftsbetriebs ist nicht das einzige Mittel
gewesen, das Gleichgewicht von Ausgabe und Einnahme wieder herzustellen;
das hauptsächlichste Mittel war die Ermäßigung der Pachtzinseu um durch-
schnittlich 30 bis 50 Prozent. Den englischen Landlords spendet der Ver¬
fasser das höchste Lob und beklagt sie einmal über das andre wegen der Ver¬
luste, die sie erlitten, und der schweren Opfer, die sie in hochherzigen Patrio¬
tismus gebracht Hütten. Freilich, ganz uneingeschränkt vermag er nicht zu
loben, namentlich nicht in Schottland, wo die Pächter einander in unsinniger
Weise steigern -- wer an den von der dortigen Bevölkerung noch nicht ver-
wundnen Landraub denkt, wird das nicht wunderbar finden --, die Landlords
aber Angebote annehmen, von denen sie im voraus wissen, daß sie der Pächter
nicht wird zahlen können, um sich dann mit großartigen Nachlassen als Wohl¬
thäter aufspielen zu können. Welchen sittlichen Wert dort die "freiwillig" ge¬
brachten Opfer haben, ersieht man aus dem Satze: "Hätte" die Pächter keine
Nachlasse erhalten, so wären sie ruinirt, und die VerPächter hätten keine neuen
zum Ersatz erhalten; außerdem ist es wahrscheinlich, daß sich das ganze Land
in Empörung gegen die Laudaristvkratie erhoben hätte." Was den Wildschaden
anlangt, so haben die Pächter in England wenig darüber zu klagen, aus dem
einfachen Grunde, weil sie sich Verwüstung ihrer Äcker des Jagdvergnügens



") Unter schlechten Jahrgängen sind, wie der Zusammenhang ergiebt, stets Mißernten zu
verstehen.
Englische Zustände

das früher oft der Fall war." 1893 litt die Grafschaft derart an Dürre, daß
vielfach nur zwei Quarter auf dem Acre geerntet wurden, was seit 1845 nicht
mehr vorgekommen war. In Somerset war das Wetter die letzten Jahre über
sehr ungünstig. Ein Farmer berichtete dem Verfasser: 1890 habe ich 150 tons
Heu geerntet, 1892 50 tons, 1893 10 tons. Mögen die Farmer, wünscht der
Verfasser S. 98, „ihre Verluste vergessen und mit Zuversicht und Vertrauen
vorwärts blicken, und mögen sie von einer Reihe schlechter Jahrgänge") ver¬
schont bleiben, die ihnen mehr Schaden bringen würde als die niedrigen Ge¬
treidepreise von hente." Und S. 140 schreibt er: „Hütten die Farmer in
England jetzt eine Reihe guter Jahrgänge, so glaube ich sicher, daß die
Pachter wieder steigen würden." Den Zustand der Viehzüchtergrafschafteu be¬
schreibt er als einen geradezu blühenden, und er glaubt, daß diese Blüte Be¬
stand haben werde, weil die Zeit des billigen amerikanischen Fleisches ihrem
Ende zuneige. In den Getreidegegenden, wo der Übergang zur Viehzucht nicht
so leicht ist, macht die Besserung langsamere Fortschritte. Gute Einnahmen
erzielen besonders solche Landwirte, die sich auf Spezialitäten wie Zuchttiere
und Saatgut verlegen; das kann freilich nicht jeder, denn die Zucht vou Zucht¬
tiere:: z. V. lohnt nur dann, wenn der geschickte Züchter Tiere von der höchsten
Güte auf den Markt zu liefern vermag.

Aber diese Änderung des Wirtschaftsbetriebs ist nicht das einzige Mittel
gewesen, das Gleichgewicht von Ausgabe und Einnahme wieder herzustellen;
das hauptsächlichste Mittel war die Ermäßigung der Pachtzinseu um durch-
schnittlich 30 bis 50 Prozent. Den englischen Landlords spendet der Ver¬
fasser das höchste Lob und beklagt sie einmal über das andre wegen der Ver¬
luste, die sie erlitten, und der schweren Opfer, die sie in hochherzigen Patrio¬
tismus gebracht Hütten. Freilich, ganz uneingeschränkt vermag er nicht zu
loben, namentlich nicht in Schottland, wo die Pächter einander in unsinniger
Weise steigern — wer an den von der dortigen Bevölkerung noch nicht ver-
wundnen Landraub denkt, wird das nicht wunderbar finden —, die Landlords
aber Angebote annehmen, von denen sie im voraus wissen, daß sie der Pächter
nicht wird zahlen können, um sich dann mit großartigen Nachlassen als Wohl¬
thäter aufspielen zu können. Welchen sittlichen Wert dort die „freiwillig" ge¬
brachten Opfer haben, ersieht man aus dem Satze: „Hätte» die Pächter keine
Nachlasse erhalten, so wären sie ruinirt, und die VerPächter hätten keine neuen
zum Ersatz erhalten; außerdem ist es wahrscheinlich, daß sich das ganze Land
in Empörung gegen die Laudaristvkratie erhoben hätte." Was den Wildschaden
anlangt, so haben die Pächter in England wenig darüber zu klagen, aus dem
einfachen Grunde, weil sie sich Verwüstung ihrer Äcker des Jagdvergnügens



") Unter schlechten Jahrgängen sind, wie der Zusammenhang ergiebt, stets Mißernten zu
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/560>, abgerufen am 08.01.2025.