Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände und unterstützt nun kontinentale Industrien mit allen seinen langen und teuer Nach der Untersuchung des Zustandes der einzelnen Industrien vernahm Englische Zustände und unterstützt nun kontinentale Industrien mit allen seinen langen und teuer Nach der Untersuchung des Zustandes der einzelnen Industrien vernahm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224094"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1502" prev="#ID_1501"> und unterstützt nun kontinentale Industrien mit allen seinen langen und teuer<lb/> erkauften englischen Erfahrungen. Englisches Geld, englische Maschinen, englische<lb/> Ingenieure, Vorarbeiter und Fabrikleiter wandern nun nach Skandinavien,<lb/> Nußland, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, den Balkanstaaten und<lb/> fördern die industrielle Unabhängigkeit dieser Länder von England mit einer<lb/> Energie, als ob gerade das die Absicht wäre, wofür sie sich teuer bezahlen<lb/> ließen. Nach der Berechnung kompetenter Statistiker beziehen englische Kapi¬<lb/> talisten ein Jahreseinkommen von 2430 Millionen Mark allein aus ihren<lb/> fremdländischen Kapitalanlagen." Natürlich müssen diese Einnahmen in dem<lb/> Maße versiegen, als die übrigen Länder industriell unabhängig und sogar<lb/> Englands Konkurrenten werden. Bekanntlich macht es das deutsche Kapital<lb/> schon längst ganz ebenso, und zwar nicht allein das industrielle, sondern auch<lb/> das landwirtschaftliche. Vor ein paar Jahren hat ein Landwirt in den Grenz-<lb/> boten daran erinnert, daß es deutsche Landwirte gewesen sind, die durch Aus¬<lb/> fuhr deutscher Zuchtbvcke nach Australien die australische Konkurrenz gro߬<lb/> gezogen und die deutsche Schafzucht unrentabel gemacht haben. Natürlich ist<lb/> der Jammer der Engländer über diese unbeabsichtigte Wirkung ihrer gemein¬<lb/> nützigen Thätigkeit groß, besonders über die indische Konkurrenz in Baum¬<lb/> wollenwaren. So rächt es sich, daß sie vor siebzig Jahren die einheimische<lb/> und uralte indische Weberei, die weit vorzüglicheres leistete als die heutige<lb/> Fabrikindustrie, vernichtet und viel tausend indische Weber zum Hungertode<lb/> verurteilt haben! Jetzt wächst ihnen die von ihnen selbst nach Indien im-<lb/> portirte Industrie zu Kopfe, und schon fordern die Fabrikanten von Lancn-<lb/> shire — Arbeiterschutz für die indischen Weber! Ist das nicht ein köstliches<lb/> Stück weltgeschichtlicher Ironie? Und was wird es nützen, wenn man die in¬<lb/> dische Arbeit noch so sehr verteuert! Wie lange wird es dauern, und von<lb/> den 400 Millionen Chinesen werden 40 Millionen in Spinn- und Webfabriken<lb/> Schuften und in unsinniger Hast Berge von Kattun schaffen, die hinreichen<lb/> werden, unsern ganzen Planeten einzuwickeln. Sehr ausführlich legt Steffen<lb/> den verderblichen Einfluß der Frauen- und Kinderarbeit auf die Haushaltung<lb/> und das Familienleben dar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503" next="#ID_1504"> Nach der Untersuchung des Zustandes der einzelnen Industrien vernahm<lb/> die Kommission die geladner Zeugen noch über die Arbeiterzustände im all¬<lb/> gemeinen. Die Zeugen wurden in die beiden Gruppen der Kollektivisten und<lb/> Individualisten geschieden. Von den Kollektivisten sagte Tom Mann, der<lb/> Organisator der Dockarbeiter und Sekretär der InclöxönÄöut I^pour l^re^ u. a.<lb/> folgendes aus. Etwa zehn Prozent der männlichen Arbeiter sind entweder<lb/> ganz arbeitslos — deren Zahl belüuft sich auf 400000 — oder nur mit<lb/> Unterbrechung beschäftigt. Weniger als die Hälfte des produzirten Reichtums<lb/> fließt den Geistes- und Handarbeitern zu, die ihn hervorbringen, obschon sie vier<lb/> Fünftel der Bevölkerung ausmachen. Von dem Jahreseinkommen der Nation,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Englische Zustände
und unterstützt nun kontinentale Industrien mit allen seinen langen und teuer
erkauften englischen Erfahrungen. Englisches Geld, englische Maschinen, englische
Ingenieure, Vorarbeiter und Fabrikleiter wandern nun nach Skandinavien,
Nußland, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, den Balkanstaaten und
fördern die industrielle Unabhängigkeit dieser Länder von England mit einer
Energie, als ob gerade das die Absicht wäre, wofür sie sich teuer bezahlen
ließen. Nach der Berechnung kompetenter Statistiker beziehen englische Kapi¬
talisten ein Jahreseinkommen von 2430 Millionen Mark allein aus ihren
fremdländischen Kapitalanlagen." Natürlich müssen diese Einnahmen in dem
Maße versiegen, als die übrigen Länder industriell unabhängig und sogar
Englands Konkurrenten werden. Bekanntlich macht es das deutsche Kapital
schon längst ganz ebenso, und zwar nicht allein das industrielle, sondern auch
das landwirtschaftliche. Vor ein paar Jahren hat ein Landwirt in den Grenz-
boten daran erinnert, daß es deutsche Landwirte gewesen sind, die durch Aus¬
fuhr deutscher Zuchtbvcke nach Australien die australische Konkurrenz gro߬
gezogen und die deutsche Schafzucht unrentabel gemacht haben. Natürlich ist
der Jammer der Engländer über diese unbeabsichtigte Wirkung ihrer gemein¬
nützigen Thätigkeit groß, besonders über die indische Konkurrenz in Baum¬
wollenwaren. So rächt es sich, daß sie vor siebzig Jahren die einheimische
und uralte indische Weberei, die weit vorzüglicheres leistete als die heutige
Fabrikindustrie, vernichtet und viel tausend indische Weber zum Hungertode
verurteilt haben! Jetzt wächst ihnen die von ihnen selbst nach Indien im-
portirte Industrie zu Kopfe, und schon fordern die Fabrikanten von Lancn-
shire — Arbeiterschutz für die indischen Weber! Ist das nicht ein köstliches
Stück weltgeschichtlicher Ironie? Und was wird es nützen, wenn man die in¬
dische Arbeit noch so sehr verteuert! Wie lange wird es dauern, und von
den 400 Millionen Chinesen werden 40 Millionen in Spinn- und Webfabriken
Schuften und in unsinniger Hast Berge von Kattun schaffen, die hinreichen
werden, unsern ganzen Planeten einzuwickeln. Sehr ausführlich legt Steffen
den verderblichen Einfluß der Frauen- und Kinderarbeit auf die Haushaltung
und das Familienleben dar.
Nach der Untersuchung des Zustandes der einzelnen Industrien vernahm
die Kommission die geladner Zeugen noch über die Arbeiterzustände im all¬
gemeinen. Die Zeugen wurden in die beiden Gruppen der Kollektivisten und
Individualisten geschieden. Von den Kollektivisten sagte Tom Mann, der
Organisator der Dockarbeiter und Sekretär der InclöxönÄöut I^pour l^re^ u. a.
folgendes aus. Etwa zehn Prozent der männlichen Arbeiter sind entweder
ganz arbeitslos — deren Zahl belüuft sich auf 400000 — oder nur mit
Unterbrechung beschäftigt. Weniger als die Hälfte des produzirten Reichtums
fließt den Geistes- und Handarbeitern zu, die ihn hervorbringen, obschon sie vier
Fünftel der Bevölkerung ausmachen. Von dem Jahreseinkommen der Nation,
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