Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände neuesten Verbesserungen der höchsten, modernsten Maschinentechnik sieht und Englische Zustände neuesten Verbesserungen der höchsten, modernsten Maschinentechnik sieht und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224093"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500" next="#ID_1502"> neuesten Verbesserungen der höchsten, modernsten Maschinentechnik sieht und<lb/> erkennt, wie deren Produktionsvermögen aufs äußerste angespannt ist, hört<lb/> man andrerseits von jedem Fabrikanten oder Fabrikdirektor, mit dem man<lb/> spricht, daß die Geschäftslage entsetzlich gedrückt ist, und die ganze In¬<lb/> dustrie sich in einer Krise befindet, die bezüglich Englands kaum zu etwas<lb/> anderm führen kann, als zu einem Herabsteigen von der jetzigen Weltstellung<lb/> dieses Landes als Hauptsitzes der Baumwollenveredlung. Dieser Gegensatz<lb/> zwischen dem betäubenden Produktionsleben und dem Verfall, woran man durch<lb/> Vorzeigung von Preislisten und Statistiker zu glauben ermahnt wird, kann<lb/> leicht auch den verblüffen, der sich schon daran gewöhnt hat, auch in den<lb/> dunkeln Labyrinthen der Nationalökonomie die Fassung nicht zu verlieren.<lb/> „Sehen Sie das Triebrad dort?" „Natürlich, es wäre ja unmöglich, vor diesem<lb/> Riesenwerke der Mechanik nicht in Verwunderung zu versinken. ^Es überträgt<lb/> die Kraft auf die Wellen der fünf Stockwerke zweier Gebciude.j Ja das ist<lb/> eine wunderbare Verbess—," „Lieber Herr, jede Umdrehung dieses Triebrades<lb/> bedeutet für unsre Aktiengesellschaft einen Verlust." Steffen führt die Krisis<lb/> auf unsolide Gründerei zurück; insbesondre überschwemmten diese Gründer die<lb/> Welt mit elendem Shoddy. Aber diese Überproduktion, die freilich über kurz<lb/> oder laug ein Ende nehmen muß, hat doch immerhin wenigstens die sich meh¬<lb/> renden Arbeitermassen, wenn auch bei stetig sinkenden Löhnen, mit Beschäftigung<lb/> versorgt; die Baumwollenfabrikation wirft jährlich sechshundert Millionen Mark<lb/> Arbeitslöhne ab. Und wie es überhaupt in der Zukunft mit der Beschäftigung<lb/> werden soll, wenn es mit den Verbesserungen der Technik so fort geht, das<lb/> weiß der Himmel. Schon sind die — übrigens schönen, hellen und reinlich<lb/> gehaltenen — Arbeitssäle so leer von Menschen, daß man, wie Steffens erzählt,<lb/> auf den ersten Blick überhaupt niemand sieht, und bestündig ist das Sinnen<lb/> und Trachten der Fabrikanten und der Ingenieure darauf gerichtet, immer<lb/> wehr Menschen zu ersparen; die Maschinen sollen immer mehr soll-ÄLting-<lb/> werden. Wenn man der Betrachtung dieses Entwicklungsganges nachhängt,<lb/> "dann kann es leicht geschehen, daß man sein vom Fabrikgetöse betäubtes<lb/> Gehirn bei ganz sonderbaren Phantasien über Maschinen ertappt, die nur<lb/> ^nimmt am Tage oder in der Woche mit Rohmaterial gefüttert zu werden<lb/> tauchen, um dann, so lange der Motor seine Schuldigkeit thut, Garn und<lb/> Webstoffe ganz auf eigne Hand zu erzengen. Wenn diese Zeit einmal<lb/> omne, werden die Volksmassen sich entweder sehr wohl befinden oder sehr<lb/> ^ud sej,^ ^ nach der Art der nationalökonomischen Führer, die das letzte<lb/> Wort behalten." Steffen zeigt, wie das kapitalistische System in England<lb/> 7^ aber das gilt eben nicht bloß sür England — an seiner eignen Zer¬<lb/> störung arbeitet. „Das Kapital ist grundsätzlich unpatriotisch, denn es kennt<lb/> uur den einen Grundsatz, jeden gegebnen Augenblick den größtmöglichen Vor-<lb/> teil einzuheimsen. Es hat seine industrielle Lehrprobe in England bestanden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
Englische Zustände
neuesten Verbesserungen der höchsten, modernsten Maschinentechnik sieht und
erkennt, wie deren Produktionsvermögen aufs äußerste angespannt ist, hört
man andrerseits von jedem Fabrikanten oder Fabrikdirektor, mit dem man
spricht, daß die Geschäftslage entsetzlich gedrückt ist, und die ganze In¬
dustrie sich in einer Krise befindet, die bezüglich Englands kaum zu etwas
anderm führen kann, als zu einem Herabsteigen von der jetzigen Weltstellung
dieses Landes als Hauptsitzes der Baumwollenveredlung. Dieser Gegensatz
zwischen dem betäubenden Produktionsleben und dem Verfall, woran man durch
Vorzeigung von Preislisten und Statistiker zu glauben ermahnt wird, kann
leicht auch den verblüffen, der sich schon daran gewöhnt hat, auch in den
dunkeln Labyrinthen der Nationalökonomie die Fassung nicht zu verlieren.
„Sehen Sie das Triebrad dort?" „Natürlich, es wäre ja unmöglich, vor diesem
Riesenwerke der Mechanik nicht in Verwunderung zu versinken. ^Es überträgt
die Kraft auf die Wellen der fünf Stockwerke zweier Gebciude.j Ja das ist
eine wunderbare Verbess—," „Lieber Herr, jede Umdrehung dieses Triebrades
bedeutet für unsre Aktiengesellschaft einen Verlust." Steffen führt die Krisis
auf unsolide Gründerei zurück; insbesondre überschwemmten diese Gründer die
Welt mit elendem Shoddy. Aber diese Überproduktion, die freilich über kurz
oder laug ein Ende nehmen muß, hat doch immerhin wenigstens die sich meh¬
renden Arbeitermassen, wenn auch bei stetig sinkenden Löhnen, mit Beschäftigung
versorgt; die Baumwollenfabrikation wirft jährlich sechshundert Millionen Mark
Arbeitslöhne ab. Und wie es überhaupt in der Zukunft mit der Beschäftigung
werden soll, wenn es mit den Verbesserungen der Technik so fort geht, das
weiß der Himmel. Schon sind die — übrigens schönen, hellen und reinlich
gehaltenen — Arbeitssäle so leer von Menschen, daß man, wie Steffens erzählt,
auf den ersten Blick überhaupt niemand sieht, und bestündig ist das Sinnen
und Trachten der Fabrikanten und der Ingenieure darauf gerichtet, immer
wehr Menschen zu ersparen; die Maschinen sollen immer mehr soll-ÄLting-
werden. Wenn man der Betrachtung dieses Entwicklungsganges nachhängt,
"dann kann es leicht geschehen, daß man sein vom Fabrikgetöse betäubtes
Gehirn bei ganz sonderbaren Phantasien über Maschinen ertappt, die nur
^nimmt am Tage oder in der Woche mit Rohmaterial gefüttert zu werden
tauchen, um dann, so lange der Motor seine Schuldigkeit thut, Garn und
Webstoffe ganz auf eigne Hand zu erzengen. Wenn diese Zeit einmal
omne, werden die Volksmassen sich entweder sehr wohl befinden oder sehr
^ud sej,^ ^ nach der Art der nationalökonomischen Führer, die das letzte
Wort behalten." Steffen zeigt, wie das kapitalistische System in England
7^ aber das gilt eben nicht bloß sür England — an seiner eignen Zer¬
störung arbeitet. „Das Kapital ist grundsätzlich unpatriotisch, denn es kennt
uur den einen Grundsatz, jeden gegebnen Augenblick den größtmöglichen Vor-
teil einzuheimsen. Es hat seine industrielle Lehrprobe in England bestanden
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