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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

der drei Staaten, der in die Lage kam, einen Vorschlag zu machen, traf mit
einem Nachbarstaate eine Vereinbarung, wodurch er das Vorschlagsrecht für
diesmal diesem übertrug. Dadurch wurde die Gefahr, eine ungeeignete Person
in das Reichsgericht zu bringen, befriedigend abgewandt. Weniger günstig war
der Ausgang, als auch die beiden andern Staaten an die Reihe kamen.

In einem Großstaat wie Preußen wird es nicht leicht an Kräften ersten
Ranges fehlen, aber hier hat das leidige, leicht zu breit angelegte Anciennitäts-
prinzip zur Folge, daß besonders hervorragende Kräfte dem Reichsgerichte,
wenn sie ihnen nicht inzwischen durch anderweitige Beförderung ganz entgehen,
erst zugeführt werden, nachdem die Jahre ihrer besten Kraft vorüber sind.

Außerdem machen sich gerade im Großstaat leicht auch andre Rücksichten
geltend, sei es daß ein Justizbeamter zu einer Stellung befördert worden ist,
für die er sich als wenig geeignet zeigt, oder aus der er selbst zu scheiden ge¬
neigt ist, und daß es deshalb wünschenswert erscheint, ihm im Reichsgericht
ein Amt anbieten zu können, sei es daß Sonderinteresfen andrer Art in Frage
kommen.

Vor einiger Zeit rief es eine gewisse Entrüstung hervor, als es hieß,
daß ein Landgerichtsrat von einem kleinern Staate zum Reichsgerichtsrat vor¬
geschlagen worden sei. Und doch ist es keineswegs ausgeschlossen, daß sich ein
Landrichter als besonders geeignet bewährt hat und nur deshalb nicht schon
längst zum Oberlandgerichtsrat befördert worden ist, weil es dafür in diesem
Staate, der nur ein Oberlandgericht hat, an Gelegenheit dazu gefehlt, sodaß
also jenes so scharf betonte Bedenken leicht dahin führen kann, daß das
Reichsgericht für eine in Aussicht genommene tüchtige Kraft eine weniger
tüchtige erhält.

Was hat man aber gesagt, als man erfuhr, daß zum Neichsgerichtsrat
ein preußischer Verwaltungsbeamter ernannt worden sei, der nur reichlich vier
Jahre als Amtsrichter in der Justiz angestellt gewesen war, als er am
1. September 1883 zur Verwaltung überging, wo er dann neun bis zehn
Jahre in Landeskultursachen Verwendung fand, zuletzt im Oberlandeskultur¬
gericht, dem er seit dem 1. Januar 1892 als Rat angehörte, bis er am
29. Juli 1893 zum Oberverwaltungsgerichtsrat ernannt wurde? Ich habe
bald nachher Gelegenheit gehabt, bei einem hervorragenden Mitgliede des Reichs¬
gerichts, der sich für dessen Emporsteigen ebenso lebhaft interessirte, wie ich
selbst, eine tiefgehende Verstimmung wahrzunehmen. In der That macht es
doch auch einen peinlichen Eindruck, sich gewissermaßen vor die Frage gestellt
zu sehen: will Preußen, das durch ein Landesgesetz die Urteile seines Ober¬
landeskulturgerichts der Revision des Reichsgerichts mit sehr beschränkter
Kompetenz unterstellt hat, für diese nur in verschwindend kleiner Zahl im
Reichsgericht zur Verhandlung kommenden Sachen, deren Entscheidung für die
Revisionsinstanz, wie ich aus Erfahrung weiß, keine nennenswerte Schwierigkeit


Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

der drei Staaten, der in die Lage kam, einen Vorschlag zu machen, traf mit
einem Nachbarstaate eine Vereinbarung, wodurch er das Vorschlagsrecht für
diesmal diesem übertrug. Dadurch wurde die Gefahr, eine ungeeignete Person
in das Reichsgericht zu bringen, befriedigend abgewandt. Weniger günstig war
der Ausgang, als auch die beiden andern Staaten an die Reihe kamen.

In einem Großstaat wie Preußen wird es nicht leicht an Kräften ersten
Ranges fehlen, aber hier hat das leidige, leicht zu breit angelegte Anciennitäts-
prinzip zur Folge, daß besonders hervorragende Kräfte dem Reichsgerichte,
wenn sie ihnen nicht inzwischen durch anderweitige Beförderung ganz entgehen,
erst zugeführt werden, nachdem die Jahre ihrer besten Kraft vorüber sind.

Außerdem machen sich gerade im Großstaat leicht auch andre Rücksichten
geltend, sei es daß ein Justizbeamter zu einer Stellung befördert worden ist,
für die er sich als wenig geeignet zeigt, oder aus der er selbst zu scheiden ge¬
neigt ist, und daß es deshalb wünschenswert erscheint, ihm im Reichsgericht
ein Amt anbieten zu können, sei es daß Sonderinteresfen andrer Art in Frage
kommen.

Vor einiger Zeit rief es eine gewisse Entrüstung hervor, als es hieß,
daß ein Landgerichtsrat von einem kleinern Staate zum Reichsgerichtsrat vor¬
geschlagen worden sei. Und doch ist es keineswegs ausgeschlossen, daß sich ein
Landrichter als besonders geeignet bewährt hat und nur deshalb nicht schon
längst zum Oberlandgerichtsrat befördert worden ist, weil es dafür in diesem
Staate, der nur ein Oberlandgericht hat, an Gelegenheit dazu gefehlt, sodaß
also jenes so scharf betonte Bedenken leicht dahin führen kann, daß das
Reichsgericht für eine in Aussicht genommene tüchtige Kraft eine weniger
tüchtige erhält.

Was hat man aber gesagt, als man erfuhr, daß zum Neichsgerichtsrat
ein preußischer Verwaltungsbeamter ernannt worden sei, der nur reichlich vier
Jahre als Amtsrichter in der Justiz angestellt gewesen war, als er am
1. September 1883 zur Verwaltung überging, wo er dann neun bis zehn
Jahre in Landeskultursachen Verwendung fand, zuletzt im Oberlandeskultur¬
gericht, dem er seit dem 1. Januar 1892 als Rat angehörte, bis er am
29. Juli 1893 zum Oberverwaltungsgerichtsrat ernannt wurde? Ich habe
bald nachher Gelegenheit gehabt, bei einem hervorragenden Mitgliede des Reichs¬
gerichts, der sich für dessen Emporsteigen ebenso lebhaft interessirte, wie ich
selbst, eine tiefgehende Verstimmung wahrzunehmen. In der That macht es
doch auch einen peinlichen Eindruck, sich gewissermaßen vor die Frage gestellt
zu sehen: will Preußen, das durch ein Landesgesetz die Urteile seines Ober¬
landeskulturgerichts der Revision des Reichsgerichts mit sehr beschränkter
Kompetenz unterstellt hat, für diese nur in verschwindend kleiner Zahl im
Reichsgericht zur Verhandlung kommenden Sachen, deren Entscheidung für die
Revisionsinstanz, wie ich aus Erfahrung weiß, keine nennenswerte Schwierigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/500>, abgerufen am 08.01.2025.