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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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für eine im Reichsgericht zu besetzende Stelle, sondern zur Erlangung einer Über¬
sicht über die zur Beförderung ins Reichsgericht empfehlungswerten Staatsbeamten
von der Reichsregiernng in Anspruch zu nehmen; 2. der Staatssekretär des Reichs¬
justizamtes muß für den dem Bundesrat zu unterbreitenden Antrag vollständig
die Verantwortung übernehmen.

Diese Betrachtungen haben, so viel mir bekannt geworden ist, keine Ent¬
gegnung gefunden, und nur einmal ist in einer Breslauer Zeitung und zwar
bald nach der Errichtung des sechsten Zivilsenats daran erinnert worden, daß
die von mir angeregte Frage noch unerledigt geblieben sei. Wie erklärt sich
diese Gleichgiltigkeit gegenüber einer doch so wichtigen Angelegenheit? Glaubt
man etwa, daß es bei der Größe des Reichsgerichts von geringer Bedeutung
sei, wenn hin und wieder einmal eine Kraft zweiten Ranges oder gar eine
noch schwächere ins Reichsgericht befördert werde? Nur wem es unbekannt
ist, daß das Reichsgericht seine Entscheidungen trifft in Senaten mit einer Be¬
setzung von sieben Mitgliedern, und daß dabei nicht selten eine einzige Stimme
ausschlaggebend ist, wird sich über die schwerwiegenden Folgen solcher Mi߬
griffe täuschen können. Vielleicht meint man aber, sie seien doch wohl auch
bei dem jetzigen Verfahren ausgeschlossen. Auch dies wäre eine falsche Voraus¬
setzung, üxemplg. sunt oäiosg,. Aber es bleibt doch wohl nur übrig, endlich
die Thatsachen 'reden zu lassen. l

Bei der Errichtung des Reichsgerichts kam aus einem Mittelstaat ein Rat
des bisherigen dortigen Oberappellationsgerichts, dessen Mangel an ausreichen¬
der Befähigung sehr bald zu Tage trat. Er machte in kurzer Zeit in drei Senaten
gewissermaßen Probestationen durch, und es hatte dann unvermeidlich das Un¬
fähigkeitsverfahren eingeleitet werden müssen, wenn er sich nicht durch den
Landesjustizminister zur Einreichung eines Abschiedsgesuches hätte bestimmen
lassen.") - , / ' ! ^

Sein Nachfolger nahm in dem Senate, dem er zugewiesen worden war,
nur an einer Sitzung teil und erklärte dann, daß er auf die Stelle eines
Reichsgerichtsrats verzichte.

Gegen den, der hierauf in Vorschlag gebracht wurde, erhoben sich gleich
von vornherein so gewichtige Bedenken, daß der Bundesrat nun selbständig
Erging und die Ernennung eines hamburgischen Oberlandsgerichtsrats be¬
antragte.

In der Zeit, wo ich dem Reichsgericht angehörte, hatte ich Gelegenheit,
Kollegen aus drei kleinern Staaten, die bis zur Errichtung des Reichsgerichts
eigne Oberappellationsgerichte gehabt hatten, zu befragen, ob wohl bei ein¬
tretenden Vakanzen von ihren Landesjustizverwaltungen geeignete Persönlich¬
keiten vorgeschlagen werden könnten. Sie verneinten diese Frage, und der erste



''-'") Der beklagenswerte Herr starb nach einiger Zeit in einer Irrenanstalt. >

für eine im Reichsgericht zu besetzende Stelle, sondern zur Erlangung einer Über¬
sicht über die zur Beförderung ins Reichsgericht empfehlungswerten Staatsbeamten
von der Reichsregiernng in Anspruch zu nehmen; 2. der Staatssekretär des Reichs¬
justizamtes muß für den dem Bundesrat zu unterbreitenden Antrag vollständig
die Verantwortung übernehmen.

Diese Betrachtungen haben, so viel mir bekannt geworden ist, keine Ent¬
gegnung gefunden, und nur einmal ist in einer Breslauer Zeitung und zwar
bald nach der Errichtung des sechsten Zivilsenats daran erinnert worden, daß
die von mir angeregte Frage noch unerledigt geblieben sei. Wie erklärt sich
diese Gleichgiltigkeit gegenüber einer doch so wichtigen Angelegenheit? Glaubt
man etwa, daß es bei der Größe des Reichsgerichts von geringer Bedeutung
sei, wenn hin und wieder einmal eine Kraft zweiten Ranges oder gar eine
noch schwächere ins Reichsgericht befördert werde? Nur wem es unbekannt
ist, daß das Reichsgericht seine Entscheidungen trifft in Senaten mit einer Be¬
setzung von sieben Mitgliedern, und daß dabei nicht selten eine einzige Stimme
ausschlaggebend ist, wird sich über die schwerwiegenden Folgen solcher Mi߬
griffe täuschen können. Vielleicht meint man aber, sie seien doch wohl auch
bei dem jetzigen Verfahren ausgeschlossen. Auch dies wäre eine falsche Voraus¬
setzung, üxemplg. sunt oäiosg,. Aber es bleibt doch wohl nur übrig, endlich
die Thatsachen 'reden zu lassen. l

Bei der Errichtung des Reichsgerichts kam aus einem Mittelstaat ein Rat
des bisherigen dortigen Oberappellationsgerichts, dessen Mangel an ausreichen¬
der Befähigung sehr bald zu Tage trat. Er machte in kurzer Zeit in drei Senaten
gewissermaßen Probestationen durch, und es hatte dann unvermeidlich das Un¬
fähigkeitsverfahren eingeleitet werden müssen, wenn er sich nicht durch den
Landesjustizminister zur Einreichung eines Abschiedsgesuches hätte bestimmen
lassen.») - , / ' ! ^

Sein Nachfolger nahm in dem Senate, dem er zugewiesen worden war,
nur an einer Sitzung teil und erklärte dann, daß er auf die Stelle eines
Reichsgerichtsrats verzichte.

Gegen den, der hierauf in Vorschlag gebracht wurde, erhoben sich gleich
von vornherein so gewichtige Bedenken, daß der Bundesrat nun selbständig
Erging und die Ernennung eines hamburgischen Oberlandsgerichtsrats be¬
antragte.

In der Zeit, wo ich dem Reichsgericht angehörte, hatte ich Gelegenheit,
Kollegen aus drei kleinern Staaten, die bis zur Errichtung des Reichsgerichts
eigne Oberappellationsgerichte gehabt hatten, zu befragen, ob wohl bei ein¬
tretenden Vakanzen von ihren Landesjustizverwaltungen geeignete Persönlich¬
keiten vorgeschlagen werden könnten. Sie verneinten diese Frage, und der erste



''-'") Der beklagenswerte Herr starb nach einiger Zeit in einer Irrenanstalt. >
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[0499] für eine im Reichsgericht zu besetzende Stelle, sondern zur Erlangung einer Über¬ sicht über die zur Beförderung ins Reichsgericht empfehlungswerten Staatsbeamten von der Reichsregiernng in Anspruch zu nehmen; 2. der Staatssekretär des Reichs¬ justizamtes muß für den dem Bundesrat zu unterbreitenden Antrag vollständig die Verantwortung übernehmen. Diese Betrachtungen haben, so viel mir bekannt geworden ist, keine Ent¬ gegnung gefunden, und nur einmal ist in einer Breslauer Zeitung und zwar bald nach der Errichtung des sechsten Zivilsenats daran erinnert worden, daß die von mir angeregte Frage noch unerledigt geblieben sei. Wie erklärt sich diese Gleichgiltigkeit gegenüber einer doch so wichtigen Angelegenheit? Glaubt man etwa, daß es bei der Größe des Reichsgerichts von geringer Bedeutung sei, wenn hin und wieder einmal eine Kraft zweiten Ranges oder gar eine noch schwächere ins Reichsgericht befördert werde? Nur wem es unbekannt ist, daß das Reichsgericht seine Entscheidungen trifft in Senaten mit einer Be¬ setzung von sieben Mitgliedern, und daß dabei nicht selten eine einzige Stimme ausschlaggebend ist, wird sich über die schwerwiegenden Folgen solcher Mi߬ griffe täuschen können. Vielleicht meint man aber, sie seien doch wohl auch bei dem jetzigen Verfahren ausgeschlossen. Auch dies wäre eine falsche Voraus¬ setzung, üxemplg. sunt oäiosg,. Aber es bleibt doch wohl nur übrig, endlich die Thatsachen 'reden zu lassen. l Bei der Errichtung des Reichsgerichts kam aus einem Mittelstaat ein Rat des bisherigen dortigen Oberappellationsgerichts, dessen Mangel an ausreichen¬ der Befähigung sehr bald zu Tage trat. Er machte in kurzer Zeit in drei Senaten gewissermaßen Probestationen durch, und es hatte dann unvermeidlich das Un¬ fähigkeitsverfahren eingeleitet werden müssen, wenn er sich nicht durch den Landesjustizminister zur Einreichung eines Abschiedsgesuches hätte bestimmen lassen.») - , / ' ! ^ Sein Nachfolger nahm in dem Senate, dem er zugewiesen worden war, nur an einer Sitzung teil und erklärte dann, daß er auf die Stelle eines Reichsgerichtsrats verzichte. Gegen den, der hierauf in Vorschlag gebracht wurde, erhoben sich gleich von vornherein so gewichtige Bedenken, daß der Bundesrat nun selbständig Erging und die Ernennung eines hamburgischen Oberlandsgerichtsrats be¬ antragte. In der Zeit, wo ich dem Reichsgericht angehörte, hatte ich Gelegenheit, Kollegen aus drei kleinern Staaten, die bis zur Errichtung des Reichsgerichts eigne Oberappellationsgerichte gehabt hatten, zu befragen, ob wohl bei ein¬ tretenden Vakanzen von ihren Landesjustizverwaltungen geeignete Persönlich¬ keiten vorgeschlagen werden könnten. Sie verneinten diese Frage, und der erste ''-'") Der beklagenswerte Herr starb nach einiger Zeit in einer Irrenanstalt. >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/499>, abgerufen am 08.01.2025.