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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien

selbst Berlioz in dieser ersten Sinfonie nur Haydn-Mozartsche Musik gesehen hat,
kann man angesichts dieser Stelle nur mit der Eile, in der er schrieb, ent¬
schuldigen.

Wenn in der Musik die Noten auch immer die Hauptsache bleiben werden, so
schließt das doch nicht aus, daß auch die EinPackung, in der sie seinerzeit der
Welt vorgelegt worden sind, einige Beachtung findet. Aber Grove geht darm
Wohl zu weit: von der ersten bis zur neunten Sinfonie giebt uns an der
Spitze der Kapitel eine volle kleingedruckte Seite diplomatisch genaue Auskunft
über die Tonart der Sinfonie, über ihre Opuszahl, über die Person, der sie
gewidmet ist. Dann kommen die Titel der Einzclsätze,*) Mülzelangaben, Über¬
schriften und Tempobezeichnungcn, die letzten höchst verwirrend auch da als
selbständig behandelt, wo sie nur kurze Episoden betreffen, z. B. die bekannten
drevs-Stellen im Scherzo der Droi^. Nun folgt eine genaue und
feierliche Angabe über die Instrumente, die in der Sinfonie verwendet sind,
jedes auf einer Zeile für sich angeführt, genau in der Reihenfolge von oben
nach unten, wie sie die Partitur zeigt. Das giebt also neunmal ziemlich dieselbe
Tabelle und kostet über neunzig Zeilen, vou denen mindestens achtzig über¬
flüssig sind. Warum denn dann nicht auch eine Beschreibung des Papiers
der ersten Drucke, der Wasserzeichen und sonstiger Allotria? Sind denn die
Werke so selten, sind diese Äußerlichkeiten so wichtig und schwer verstüudlich
oder die Leser des Sir George Grove so ungeschickt und beschränkt, daß
darüber so viel Suns und Aufhebens gemacht werden muß? Wir lächeln
über dieses Zugeständnis an die heute so beliebte "Akribie" und freuen uus,
daß er seine Genauigkeit bald darauf einem wichtigern Gegenstande zuwendet:
nämlich der Bestimmung der Entstehungszeit und der ersten Aufführung der
Veethovenschen Sinfonien.

Die Frage: wann sind die einzelnen Sinfonien Beethovens entstanden?
wird niemand als müßig betrachten. Sie läßt sich aber nicht so glatt be¬
antworten. Wir erfahren heute durch einen großen Chor von Zeitungen,
wenn sich Herr Johann Strauß, den wir als Walzerkomponisten nach aller
Schuldigkeit verehren, wieder einmal entschlossen hat. der dramatischen Muse zu
opfern. In wohlbemcssenen Zeitabständen wird dann berichtet, wie das Opus
heißen wird, wie weit es ist, was es behandelt, unter welchem Breitengrade,
an welchem besondern Ort das große Kunstereignis gefördert wird. Wir
hören vou Störungen, wir fangen wieder an zu hoffen, und endlich wird
unsre Spannung ausgelöst durch die womöglich telegraphirte Nachricht: der
hohe, der herrliche Meister ist mit seinem neuen Operettchcn fertig. Sonn¬
abend den xten, nachts um 11 Uhr 3 Minuten 21 Sekunden hat er den
letzten Strich daran gethan. Nächstens trifft er in Wien ein, und das und



Bei d^' M",'M0et Sinfmnc ninnnt Gröo>.> fünf an!
Grenzboten IV 18966
Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien

selbst Berlioz in dieser ersten Sinfonie nur Haydn-Mozartsche Musik gesehen hat,
kann man angesichts dieser Stelle nur mit der Eile, in der er schrieb, ent¬
schuldigen.

Wenn in der Musik die Noten auch immer die Hauptsache bleiben werden, so
schließt das doch nicht aus, daß auch die EinPackung, in der sie seinerzeit der
Welt vorgelegt worden sind, einige Beachtung findet. Aber Grove geht darm
Wohl zu weit: von der ersten bis zur neunten Sinfonie giebt uns an der
Spitze der Kapitel eine volle kleingedruckte Seite diplomatisch genaue Auskunft
über die Tonart der Sinfonie, über ihre Opuszahl, über die Person, der sie
gewidmet ist. Dann kommen die Titel der Einzclsätze,*) Mülzelangaben, Über¬
schriften und Tempobezeichnungcn, die letzten höchst verwirrend auch da als
selbständig behandelt, wo sie nur kurze Episoden betreffen, z. B. die bekannten
drevs-Stellen im Scherzo der Droi^. Nun folgt eine genaue und
feierliche Angabe über die Instrumente, die in der Sinfonie verwendet sind,
jedes auf einer Zeile für sich angeführt, genau in der Reihenfolge von oben
nach unten, wie sie die Partitur zeigt. Das giebt also neunmal ziemlich dieselbe
Tabelle und kostet über neunzig Zeilen, vou denen mindestens achtzig über¬
flüssig sind. Warum denn dann nicht auch eine Beschreibung des Papiers
der ersten Drucke, der Wasserzeichen und sonstiger Allotria? Sind denn die
Werke so selten, sind diese Äußerlichkeiten so wichtig und schwer verstüudlich
oder die Leser des Sir George Grove so ungeschickt und beschränkt, daß
darüber so viel Suns und Aufhebens gemacht werden muß? Wir lächeln
über dieses Zugeständnis an die heute so beliebte „Akribie" und freuen uus,
daß er seine Genauigkeit bald darauf einem wichtigern Gegenstande zuwendet:
nämlich der Bestimmung der Entstehungszeit und der ersten Aufführung der
Veethovenschen Sinfonien.

Die Frage: wann sind die einzelnen Sinfonien Beethovens entstanden?
wird niemand als müßig betrachten. Sie läßt sich aber nicht so glatt be¬
antworten. Wir erfahren heute durch einen großen Chor von Zeitungen,
wenn sich Herr Johann Strauß, den wir als Walzerkomponisten nach aller
Schuldigkeit verehren, wieder einmal entschlossen hat. der dramatischen Muse zu
opfern. In wohlbemcssenen Zeitabständen wird dann berichtet, wie das Opus
heißen wird, wie weit es ist, was es behandelt, unter welchem Breitengrade,
an welchem besondern Ort das große Kunstereignis gefördert wird. Wir
hören vou Störungen, wir fangen wieder an zu hoffen, und endlich wird
unsre Spannung ausgelöst durch die womöglich telegraphirte Nachricht: der
hohe, der herrliche Meister ist mit seinem neuen Operettchcn fertig. Sonn¬
abend den xten, nachts um 11 Uhr 3 Minuten 21 Sekunden hat er den
letzten Strich daran gethan. Nächstens trifft er in Wien ein, und das und



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[0049] Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien selbst Berlioz in dieser ersten Sinfonie nur Haydn-Mozartsche Musik gesehen hat, kann man angesichts dieser Stelle nur mit der Eile, in der er schrieb, ent¬ schuldigen. Wenn in der Musik die Noten auch immer die Hauptsache bleiben werden, so schließt das doch nicht aus, daß auch die EinPackung, in der sie seinerzeit der Welt vorgelegt worden sind, einige Beachtung findet. Aber Grove geht darm Wohl zu weit: von der ersten bis zur neunten Sinfonie giebt uns an der Spitze der Kapitel eine volle kleingedruckte Seite diplomatisch genaue Auskunft über die Tonart der Sinfonie, über ihre Opuszahl, über die Person, der sie gewidmet ist. Dann kommen die Titel der Einzclsätze,*) Mülzelangaben, Über¬ schriften und Tempobezeichnungcn, die letzten höchst verwirrend auch da als selbständig behandelt, wo sie nur kurze Episoden betreffen, z. B. die bekannten drevs-Stellen im Scherzo der Droi^. Nun folgt eine genaue und feierliche Angabe über die Instrumente, die in der Sinfonie verwendet sind, jedes auf einer Zeile für sich angeführt, genau in der Reihenfolge von oben nach unten, wie sie die Partitur zeigt. Das giebt also neunmal ziemlich dieselbe Tabelle und kostet über neunzig Zeilen, vou denen mindestens achtzig über¬ flüssig sind. Warum denn dann nicht auch eine Beschreibung des Papiers der ersten Drucke, der Wasserzeichen und sonstiger Allotria? Sind denn die Werke so selten, sind diese Äußerlichkeiten so wichtig und schwer verstüudlich oder die Leser des Sir George Grove so ungeschickt und beschränkt, daß darüber so viel Suns und Aufhebens gemacht werden muß? Wir lächeln über dieses Zugeständnis an die heute so beliebte „Akribie" und freuen uus, daß er seine Genauigkeit bald darauf einem wichtigern Gegenstande zuwendet: nämlich der Bestimmung der Entstehungszeit und der ersten Aufführung der Veethovenschen Sinfonien. Die Frage: wann sind die einzelnen Sinfonien Beethovens entstanden? wird niemand als müßig betrachten. Sie läßt sich aber nicht so glatt be¬ antworten. Wir erfahren heute durch einen großen Chor von Zeitungen, wenn sich Herr Johann Strauß, den wir als Walzerkomponisten nach aller Schuldigkeit verehren, wieder einmal entschlossen hat. der dramatischen Muse zu opfern. In wohlbemcssenen Zeitabständen wird dann berichtet, wie das Opus heißen wird, wie weit es ist, was es behandelt, unter welchem Breitengrade, an welchem besondern Ort das große Kunstereignis gefördert wird. Wir hören vou Störungen, wir fangen wieder an zu hoffen, und endlich wird unsre Spannung ausgelöst durch die womöglich telegraphirte Nachricht: der hohe, der herrliche Meister ist mit seinem neuen Operettchcn fertig. Sonn¬ abend den xten, nachts um 11 Uhr 3 Minuten 21 Sekunden hat er den letzten Strich daran gethan. Nächstens trifft er in Wien ein, und das und Bei d^' M»,'M0et Sinfmnc ninnnt Gröo>.> fünf an! Grenzboten IV 18966

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/49>, abgerufen am 06.01.2025.