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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Frau in der Dichtung

fange dazu, die aber doch noch zu sehr in "der Welt, die sie umgiebt," wurzeln.
Das wahre, richtige Bild wird später wahrscheinlich kein Dichter, sondern eine
Dichterin zeichnen, und es wird hervorgehen aus dem großen Kampfe, in dem
die "freie Frau," der "gleichberechtigte Kamerad," an der Seite des Mannes
kämpft. "Und ans dem Schoße dieser neuen Frau werden die Führer des
Volkes, die Träger der Zukunft erwachsen: die' neuen Menschen." Wir
empfehlen diese Schrift (deren auf sie bezügliche Offenherzigkeiten Frau Laura
Mcirholm am besten selbst nachlesen wird) allen "Frauenrechtlerinnen" ans
bessern Ständen aufs angelegentlichste. Sie können sich viele Umwege ersparen
und hier gleich bei der richtigen Couleur eintreten. Es wird unsern Lesern
in Erinnerung sein, wie der neulich in Berlin versammelte Frauentag demütig
vor der sozialdemokratischen Frauenbewegung kapitulirte, ohne doch von der
stolzen Gegnerin angenommen zu werden. Und auf dem letzten sozialdemo¬
kratischen Parteitag warnte eine Rednerin davor, mit den bürgerlichen Frauen¬
rechtlerinnen zusammenzugehen. Aber, meinte sie, wir wollen sie als Rednerinnen
und Schriftstellerinnen zu gewinnen suchen, denn in proletarischen Kreisen fehlt
es noch an weiblichen "Intelligenzen"! Für einige der vielen unbeschäftigten
Damen besserer Verhältnisse, die für die Befreiung ihres Geschlechts schrift-
stellernd thätig sind, hat es vielleicht Interesse, zu wissen, für welche Firma
sie arbeiten. Ein bischen Klarheit ist immer etwas wert.

Von wie verschiednen Seiten läßt sich doch ein und dasselbe Stück Leben
ansehen: der eine findet es schimpflich und möchte die Ordnung, auf der es
beruht, in Stücke schlagen, dem andern dünkt es zwar nicht leicht, aber doch
schön genug, es mit Freuden zu erfüllen. Die Tochter eines armen Ober¬
lehrers in einer pommerschen Provinzicilstadt soll in Berlin bei ihrer reichen
Tante, die eine Villa in der Tiergartenstraße besitzt, zur Malerin ausgebildet
werden, berichtet darüber in Briefen an die Freundin in der Heimat und ist
froh, daß sie nach einem in Berlin verlebten Winter wieder daheim ihrer
Mutter helfen und den Brüdern die Vokabeln überhören kann. Vom Malstock
zur Haube von I. Norrmann heißt das Buch (Wolfenbüttel, Zwißler, 1896).
Ach, das ist ja nur gedichtet und erfunden! Gewiß, aber hinter dem Buche
steht ein Mann, oder vielmehr diesmal eine Frau. Es giebt also noch Frauen,
die ihr Leben von dieser Seite auffassen, und viele Menschen kann es erfreuen,
daß dadurch gerade auf ein Stück von ihrem Lebenswege Licht füllt. Für
die wollen wir diese allerliebste, feine kleine Geschichte ihrem Inhalt nach kurz
andeuten.

Die Tante in der Tiergartenstraße muß allerdings sehr reich sein. Sie
hatte einst in ein altes Geschäftshaus geheiratet und lebt nun längst als Witwe
kinderlos in ihrer vornehmen, wohlversorgten Häuslichkeit, hat offnen Abend
und geht wieder aus, besucht Theater und Wohlthätigkeitsfeste und bringt die
Sommer auf Reisen zu. So hat sie auch schon oft die Schwester besucht, die


Die Frau in der Dichtung

fange dazu, die aber doch noch zu sehr in „der Welt, die sie umgiebt," wurzeln.
Das wahre, richtige Bild wird später wahrscheinlich kein Dichter, sondern eine
Dichterin zeichnen, und es wird hervorgehen aus dem großen Kampfe, in dem
die „freie Frau," der „gleichberechtigte Kamerad," an der Seite des Mannes
kämpft. „Und ans dem Schoße dieser neuen Frau werden die Führer des
Volkes, die Träger der Zukunft erwachsen: die' neuen Menschen." Wir
empfehlen diese Schrift (deren auf sie bezügliche Offenherzigkeiten Frau Laura
Mcirholm am besten selbst nachlesen wird) allen „Frauenrechtlerinnen" ans
bessern Ständen aufs angelegentlichste. Sie können sich viele Umwege ersparen
und hier gleich bei der richtigen Couleur eintreten. Es wird unsern Lesern
in Erinnerung sein, wie der neulich in Berlin versammelte Frauentag demütig
vor der sozialdemokratischen Frauenbewegung kapitulirte, ohne doch von der
stolzen Gegnerin angenommen zu werden. Und auf dem letzten sozialdemo¬
kratischen Parteitag warnte eine Rednerin davor, mit den bürgerlichen Frauen¬
rechtlerinnen zusammenzugehen. Aber, meinte sie, wir wollen sie als Rednerinnen
und Schriftstellerinnen zu gewinnen suchen, denn in proletarischen Kreisen fehlt
es noch an weiblichen „Intelligenzen"! Für einige der vielen unbeschäftigten
Damen besserer Verhältnisse, die für die Befreiung ihres Geschlechts schrift-
stellernd thätig sind, hat es vielleicht Interesse, zu wissen, für welche Firma
sie arbeiten. Ein bischen Klarheit ist immer etwas wert.

Von wie verschiednen Seiten läßt sich doch ein und dasselbe Stück Leben
ansehen: der eine findet es schimpflich und möchte die Ordnung, auf der es
beruht, in Stücke schlagen, dem andern dünkt es zwar nicht leicht, aber doch
schön genug, es mit Freuden zu erfüllen. Die Tochter eines armen Ober¬
lehrers in einer pommerschen Provinzicilstadt soll in Berlin bei ihrer reichen
Tante, die eine Villa in der Tiergartenstraße besitzt, zur Malerin ausgebildet
werden, berichtet darüber in Briefen an die Freundin in der Heimat und ist
froh, daß sie nach einem in Berlin verlebten Winter wieder daheim ihrer
Mutter helfen und den Brüdern die Vokabeln überhören kann. Vom Malstock
zur Haube von I. Norrmann heißt das Buch (Wolfenbüttel, Zwißler, 1896).
Ach, das ist ja nur gedichtet und erfunden! Gewiß, aber hinter dem Buche
steht ein Mann, oder vielmehr diesmal eine Frau. Es giebt also noch Frauen,
die ihr Leben von dieser Seite auffassen, und viele Menschen kann es erfreuen,
daß dadurch gerade auf ein Stück von ihrem Lebenswege Licht füllt. Für
die wollen wir diese allerliebste, feine kleine Geschichte ihrem Inhalt nach kurz
andeuten.

Die Tante in der Tiergartenstraße muß allerdings sehr reich sein. Sie
hatte einst in ein altes Geschäftshaus geheiratet und lebt nun längst als Witwe
kinderlos in ihrer vornehmen, wohlversorgten Häuslichkeit, hat offnen Abend
und geht wieder aus, besucht Theater und Wohlthätigkeitsfeste und bringt die
Sommer auf Reisen zu. So hat sie auch schon oft die Schwester besucht, die


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[0482] Die Frau in der Dichtung fange dazu, die aber doch noch zu sehr in „der Welt, die sie umgiebt," wurzeln. Das wahre, richtige Bild wird später wahrscheinlich kein Dichter, sondern eine Dichterin zeichnen, und es wird hervorgehen aus dem großen Kampfe, in dem die „freie Frau," der „gleichberechtigte Kamerad," an der Seite des Mannes kämpft. „Und ans dem Schoße dieser neuen Frau werden die Führer des Volkes, die Träger der Zukunft erwachsen: die' neuen Menschen." Wir empfehlen diese Schrift (deren auf sie bezügliche Offenherzigkeiten Frau Laura Mcirholm am besten selbst nachlesen wird) allen „Frauenrechtlerinnen" ans bessern Ständen aufs angelegentlichste. Sie können sich viele Umwege ersparen und hier gleich bei der richtigen Couleur eintreten. Es wird unsern Lesern in Erinnerung sein, wie der neulich in Berlin versammelte Frauentag demütig vor der sozialdemokratischen Frauenbewegung kapitulirte, ohne doch von der stolzen Gegnerin angenommen zu werden. Und auf dem letzten sozialdemo¬ kratischen Parteitag warnte eine Rednerin davor, mit den bürgerlichen Frauen¬ rechtlerinnen zusammenzugehen. Aber, meinte sie, wir wollen sie als Rednerinnen und Schriftstellerinnen zu gewinnen suchen, denn in proletarischen Kreisen fehlt es noch an weiblichen „Intelligenzen"! Für einige der vielen unbeschäftigten Damen besserer Verhältnisse, die für die Befreiung ihres Geschlechts schrift- stellernd thätig sind, hat es vielleicht Interesse, zu wissen, für welche Firma sie arbeiten. Ein bischen Klarheit ist immer etwas wert. Von wie verschiednen Seiten läßt sich doch ein und dasselbe Stück Leben ansehen: der eine findet es schimpflich und möchte die Ordnung, auf der es beruht, in Stücke schlagen, dem andern dünkt es zwar nicht leicht, aber doch schön genug, es mit Freuden zu erfüllen. Die Tochter eines armen Ober¬ lehrers in einer pommerschen Provinzicilstadt soll in Berlin bei ihrer reichen Tante, die eine Villa in der Tiergartenstraße besitzt, zur Malerin ausgebildet werden, berichtet darüber in Briefen an die Freundin in der Heimat und ist froh, daß sie nach einem in Berlin verlebten Winter wieder daheim ihrer Mutter helfen und den Brüdern die Vokabeln überhören kann. Vom Malstock zur Haube von I. Norrmann heißt das Buch (Wolfenbüttel, Zwißler, 1896). Ach, das ist ja nur gedichtet und erfunden! Gewiß, aber hinter dem Buche steht ein Mann, oder vielmehr diesmal eine Frau. Es giebt also noch Frauen, die ihr Leben von dieser Seite auffassen, und viele Menschen kann es erfreuen, daß dadurch gerade auf ein Stück von ihrem Lebenswege Licht füllt. Für die wollen wir diese allerliebste, feine kleine Geschichte ihrem Inhalt nach kurz andeuten. Die Tante in der Tiergartenstraße muß allerdings sehr reich sein. Sie hatte einst in ein altes Geschäftshaus geheiratet und lebt nun längst als Witwe kinderlos in ihrer vornehmen, wohlversorgten Häuslichkeit, hat offnen Abend und geht wieder aus, besucht Theater und Wohlthätigkeitsfeste und bringt die Sommer auf Reisen zu. So hat sie auch schon oft die Schwester besucht, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/482>, abgerufen am 08.01.2025.