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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Frau in der Dichtung

die neueste Mode in der Kleidung, das Weib der Oberklasse als Gattin, mit
einem Worte: alles erster Klasse, erst dann fühlt er sich im Vollbesitze seines
Ichs." Strindberg, der Sohn einer Wäscherin, hat sich nämlich in seinen
Memoiren von seinen Angehörigen auf die brutalste Weise losgesagt, hat eine
adliche Frau geheiratet, lebt im Überfluß und fängt von dieser angenehmen
Position aus durch seinen künstlichen Pessimismus Gimpel für die Sozial¬
demokraten in Scharen ein.

Aber wir sind unversehens in die Rolle geraten, von den Männerporträts
Laura Marholms zu erzählen, während es unsre Aufgabe war, weibliche, von
jenen Männern entworfne Bildnisse zu betrachten. Wir glauben, daß das
auch andern Lesern des Buches so gehen wird. Sie werden sich, wenn sie später
einmal den Titel vergessen haben sollten, den Inhalt so umschreiben können:
"Wie Laura Marholm über die Männer denkt, die über Frauen geschrieben
haben." Das letzte Kapitel: "Wo stehen wir?" ist ernst und stolz. Die Frauen
fordern von den Männern, daß sie Männer seien, sie selbst wollen von diesen
und mit deren -- staatlicher -- Erlaubnis zu nichts "gemacht" werden. Sie
wollen selbst etwas sein, und zwar nicht aus ihrem Verstände, "denn damit
ists nicht weit her, sondern aus ihrem Instinkt." Dichter und Denker "aus
diesem anämischen Jahrhundert" (also auch den Inhalt dieses Buches) können
sie dazu nicht gebrauchen. Sie selbst wollen die "Auferbauerinnen der künftigen
Geschlechter" sein.

Die Verfasserin nimmt es mit ihrer Auffassung von den Aufgaben ihres
Geschlechtes sehr ernst. Sie selbst befindet sich wohl dabei -- materiell und
ästhetisch. Sie streut geschäftig und geschickt die Saat, und wir sehen ihr gern
eine Weile dabei zu. Ob sie sich wohl eine klare Vorstellung gemacht hat, wer
dereinst ernten wird? Wenn nicht, so kann sie das sehen aus dem Büchlein von
Lilh von Gizhcki, Die neue Frau in der Dichtung (Stuttgart, Dietz,
1886), das sich in flüchtigen Bemerkungen mit englischen Frauenromanen, mit
den Frauenbildern jener oben erwähnten Romanschreiber und auch mehrfach
mit Laura Marholm beschäftigt. Frau von Gizycki, die Tochter eines Generals,
die Witwe eines adlichen Universitütsprofesfors, mit dem sie einst für die Zwecke
der sogenannten ethischen Kultur thätig war, und nunmehrige Gattin eines
sozialdemokratischen Schriftstellers, scheint ihren Lebenslauf in absteigender
Linie auch als Schriftstellerin hier zum erstenmale kundzugeben. Nun sagt sie:
"In Deutschland bringt der niedrige Stand der Frauenbewegung einen Vorteil
unt sich: sie wird in den Strom der stärker und stärker anschwellenden all¬
gemeinen sozialen Bewegung mit hineingerissen werden, ehe sie Zeit hat, es
zu einer großen selbständigen Entwicklung zu bringen." Darum sind ihr die
Frauenbildnisse, die Laura Marholm mühsam zusammenstellt, Zuckerwasser für
das Leben unbeschäftigter, wohlgestelltcr Frauen. Sie sucht natürlich die
"Frau des Volkes" und findet zunächst bei Sudermann und Hauptmann An-


Grenzboten IV 18S6 M
Die Frau in der Dichtung

die neueste Mode in der Kleidung, das Weib der Oberklasse als Gattin, mit
einem Worte: alles erster Klasse, erst dann fühlt er sich im Vollbesitze seines
Ichs." Strindberg, der Sohn einer Wäscherin, hat sich nämlich in seinen
Memoiren von seinen Angehörigen auf die brutalste Weise losgesagt, hat eine
adliche Frau geheiratet, lebt im Überfluß und fängt von dieser angenehmen
Position aus durch seinen künstlichen Pessimismus Gimpel für die Sozial¬
demokraten in Scharen ein.

Aber wir sind unversehens in die Rolle geraten, von den Männerporträts
Laura Marholms zu erzählen, während es unsre Aufgabe war, weibliche, von
jenen Männern entworfne Bildnisse zu betrachten. Wir glauben, daß das
auch andern Lesern des Buches so gehen wird. Sie werden sich, wenn sie später
einmal den Titel vergessen haben sollten, den Inhalt so umschreiben können:
„Wie Laura Marholm über die Männer denkt, die über Frauen geschrieben
haben." Das letzte Kapitel: „Wo stehen wir?" ist ernst und stolz. Die Frauen
fordern von den Männern, daß sie Männer seien, sie selbst wollen von diesen
und mit deren — staatlicher — Erlaubnis zu nichts „gemacht" werden. Sie
wollen selbst etwas sein, und zwar nicht aus ihrem Verstände, „denn damit
ists nicht weit her, sondern aus ihrem Instinkt." Dichter und Denker „aus
diesem anämischen Jahrhundert" (also auch den Inhalt dieses Buches) können
sie dazu nicht gebrauchen. Sie selbst wollen die „Auferbauerinnen der künftigen
Geschlechter" sein.

Die Verfasserin nimmt es mit ihrer Auffassung von den Aufgaben ihres
Geschlechtes sehr ernst. Sie selbst befindet sich wohl dabei — materiell und
ästhetisch. Sie streut geschäftig und geschickt die Saat, und wir sehen ihr gern
eine Weile dabei zu. Ob sie sich wohl eine klare Vorstellung gemacht hat, wer
dereinst ernten wird? Wenn nicht, so kann sie das sehen aus dem Büchlein von
Lilh von Gizhcki, Die neue Frau in der Dichtung (Stuttgart, Dietz,
1886), das sich in flüchtigen Bemerkungen mit englischen Frauenromanen, mit
den Frauenbildern jener oben erwähnten Romanschreiber und auch mehrfach
mit Laura Marholm beschäftigt. Frau von Gizycki, die Tochter eines Generals,
die Witwe eines adlichen Universitütsprofesfors, mit dem sie einst für die Zwecke
der sogenannten ethischen Kultur thätig war, und nunmehrige Gattin eines
sozialdemokratischen Schriftstellers, scheint ihren Lebenslauf in absteigender
Linie auch als Schriftstellerin hier zum erstenmale kundzugeben. Nun sagt sie:
»In Deutschland bringt der niedrige Stand der Frauenbewegung einen Vorteil
unt sich: sie wird in den Strom der stärker und stärker anschwellenden all¬
gemeinen sozialen Bewegung mit hineingerissen werden, ehe sie Zeit hat, es
zu einer großen selbständigen Entwicklung zu bringen." Darum sind ihr die
Frauenbildnisse, die Laura Marholm mühsam zusammenstellt, Zuckerwasser für
das Leben unbeschäftigter, wohlgestelltcr Frauen. Sie sucht natürlich die
«Frau des Volkes" und findet zunächst bei Sudermann und Hauptmann An-


Grenzboten IV 18S6 M
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/481>, abgerufen am 08.01.2025.