Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände ihre entsetzliche Gleichförmigkeit -- auch in der innern Ausstattung -- einen Aus alledem ergiebt sich uach Steffen, daß der technische Fortschritt Englische Zustände ihre entsetzliche Gleichförmigkeit — auch in der innern Ausstattung — einen Aus alledem ergiebt sich uach Steffen, daß der technische Fortschritt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224059"/> <fw type="header" place="top"> Englische Zustände</fw><lb/> <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406"> ihre entsetzliche Gleichförmigkeit — auch in der innern Ausstattung — einen<lb/> unangenehmen Eindruck. Mit schwermütigen Entzücken versenkt sich Steffen<lb/> in die architektonischen Einzelheiten der Kapelle U. L. Frau zu Roßlyn, denen<lb/> Meister, Gesellen und Lehrlinge ein jeder den Stempel seines eignen Geistes<lb/> aufgeprägt haben; hier sei „Liebe zur Arbeit um ihrer selbst willen offenbar<lb/> das wichtigste Thätigkeitsmotiv der genialen Arbeiter" gewesen. Von diesem<lb/> Thütigkeitsmotiv kann selbstverständlich bei der modernen Arbeitsweise, wo<lb/> immer sie durchgeführt ist, gar keine Rede mehr sein, selbst nicht bei Werken<lb/> wie bei der der Kapelle benachbarten berühmten Forthbrücke, die Steffen so<lb/> häßlich findet wie alle echt modernen Schöpfungen. Sehr entschieden wendet<lb/> er sich gegen die Tendenz, die Arbeitsteilung bis an ihre äußersten möglichen<lb/> Grenzen durchzuführen und international zu machen, sodaß zu guterletzt das<lb/> eine Land bloß noch Kattun zu weben, ein zweites Stiefel zu machen, ein<lb/> drittes Vrotkorn zu erzeugen hätte, vielmehr müsse, wenn die Kultur nicht zu<lb/> Grunde gehen solle, auf unsre Periode der Differenzirung ein Zeitalter der<lb/> Antegrirung folgen. In Schottland hat er Gelegenheit, den Prozeß, der der<lb/> englischen Industrie die Arbeiter geliefert und dadurch diese Differenzirung<lb/> möglich gemacht hat: die gewaltsame Trennung des Arbeiters von seiner<lb/> Scholle, noch wirksam zu sehen. Noch heute wird dort Weide in Wildpark<lb/> verwandelt, nachdem diese Weiden im Anfange unsers Jahrhunderts aus Acker¬<lb/> land geschaffen worden waren: die Schafe, die vor achtzig Jahren die Menschen<lb/> gefressen haben, sind ihrerseits von Hirschen und Schneehühnern gefressen<lb/> worden. Das schottische Hochland ist jetzt größtenteils eine Wüste, eine Wüste,<lb/> die die schottischen Peers aus Ackerland künstlich geschaffen haben. „Der wegen<lb/> seiner Kraft und Männlichkeit berühmte Hochländer entartete auf den »ge¬<lb/> reinigten« Domänen zu einem Landproletariat des gewöhnlichen englischen<lb/> Typus. Die schottischen Hochlande hatten ihre periodenweise hungernden,<lb/> hilflos verarmten Kleinpächter (erottsrs) bekommen, deren Elend hente zu einer<lb/> der vielen sozialen Fragen in Großbritannien ausgewachsen ist. Während des<lb/> Krimkrieges sollte es dem Herzog von Sutherland nicht gelingen, aus seinen<lb/> nördlichen Besitzungen ein Hochländerregiment aufzustellen. Es gab dort zwar<lb/> viel Hirsche und Schafe, doch wenige kampffähige Männer, die noch das Gefühl<lb/> hatten, daß sie ein Vaterland besäßen, das zu verteidigen sich lohnte.....<lb/> Die Crofterfrage lehrt, wie so manche ähnliche soziale Fragen, daß die Vor¬<lb/> geschichte des Großgrundeigentums in manchen Hauptzügen oft eine Diebes¬<lb/> und Räubergeschichte ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_1408" next="#ID_1409"> Aus alledem ergiebt sich uach Steffen, daß der technische Fortschritt<lb/> sehr weit davon entfernt ist, Kulturfortschritt zu sein. Der englische Volks-<lb/> charakter, wie er unter den hier flüchtig gezeichneten Verhältnissen geworden<lb/> ist und noch täglich wird, ist natürlich ein sehr verwickeltes Gebilde voller<lb/> Gegensätze. Aus den schönen Versuchen, in denen sich Steffen bemüht, den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Englische Zustände
ihre entsetzliche Gleichförmigkeit — auch in der innern Ausstattung — einen
unangenehmen Eindruck. Mit schwermütigen Entzücken versenkt sich Steffen
in die architektonischen Einzelheiten der Kapelle U. L. Frau zu Roßlyn, denen
Meister, Gesellen und Lehrlinge ein jeder den Stempel seines eignen Geistes
aufgeprägt haben; hier sei „Liebe zur Arbeit um ihrer selbst willen offenbar
das wichtigste Thätigkeitsmotiv der genialen Arbeiter" gewesen. Von diesem
Thütigkeitsmotiv kann selbstverständlich bei der modernen Arbeitsweise, wo
immer sie durchgeführt ist, gar keine Rede mehr sein, selbst nicht bei Werken
wie bei der der Kapelle benachbarten berühmten Forthbrücke, die Steffen so
häßlich findet wie alle echt modernen Schöpfungen. Sehr entschieden wendet
er sich gegen die Tendenz, die Arbeitsteilung bis an ihre äußersten möglichen
Grenzen durchzuführen und international zu machen, sodaß zu guterletzt das
eine Land bloß noch Kattun zu weben, ein zweites Stiefel zu machen, ein
drittes Vrotkorn zu erzeugen hätte, vielmehr müsse, wenn die Kultur nicht zu
Grunde gehen solle, auf unsre Periode der Differenzirung ein Zeitalter der
Antegrirung folgen. In Schottland hat er Gelegenheit, den Prozeß, der der
englischen Industrie die Arbeiter geliefert und dadurch diese Differenzirung
möglich gemacht hat: die gewaltsame Trennung des Arbeiters von seiner
Scholle, noch wirksam zu sehen. Noch heute wird dort Weide in Wildpark
verwandelt, nachdem diese Weiden im Anfange unsers Jahrhunderts aus Acker¬
land geschaffen worden waren: die Schafe, die vor achtzig Jahren die Menschen
gefressen haben, sind ihrerseits von Hirschen und Schneehühnern gefressen
worden. Das schottische Hochland ist jetzt größtenteils eine Wüste, eine Wüste,
die die schottischen Peers aus Ackerland künstlich geschaffen haben. „Der wegen
seiner Kraft und Männlichkeit berühmte Hochländer entartete auf den »ge¬
reinigten« Domänen zu einem Landproletariat des gewöhnlichen englischen
Typus. Die schottischen Hochlande hatten ihre periodenweise hungernden,
hilflos verarmten Kleinpächter (erottsrs) bekommen, deren Elend hente zu einer
der vielen sozialen Fragen in Großbritannien ausgewachsen ist. Während des
Krimkrieges sollte es dem Herzog von Sutherland nicht gelingen, aus seinen
nördlichen Besitzungen ein Hochländerregiment aufzustellen. Es gab dort zwar
viel Hirsche und Schafe, doch wenige kampffähige Männer, die noch das Gefühl
hatten, daß sie ein Vaterland besäßen, das zu verteidigen sich lohnte.....
Die Crofterfrage lehrt, wie so manche ähnliche soziale Fragen, daß die Vor¬
geschichte des Großgrundeigentums in manchen Hauptzügen oft eine Diebes¬
und Räubergeschichte ist."
Aus alledem ergiebt sich uach Steffen, daß der technische Fortschritt
sehr weit davon entfernt ist, Kulturfortschritt zu sein. Der englische Volks-
charakter, wie er unter den hier flüchtig gezeichneten Verhältnissen geworden
ist und noch täglich wird, ist natürlich ein sehr verwickeltes Gebilde voller
Gegensätze. Aus den schönen Versuchen, in denen sich Steffen bemüht, den
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