Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Englische Zustände darüber, daß die Natur dort zu gewaltig sei, als daß sie von den Menschen Das Angeführte ist nur ein kleiner Teil dessen, was Steffen über die Ruskin ist allgemein bekannt. Auf William Morris scheint erst die Nachricht von seinem Tode die Aufmerksamkeit der deutschen Presse gelenkt zu haben. Die Zeitungsleser haben bei dieser Gelegenheit erfahren, welche Verdienste sich dieser mit den Präraphaeliten ver¬ bündete Dichter und Künstler um das englische Kunstgewerbe erworben hat. Grenzboten IV 1806 I!)
Englische Zustände darüber, daß die Natur dort zu gewaltig sei, als daß sie von den Menschen Das Angeführte ist nur ein kleiner Teil dessen, was Steffen über die Ruskin ist allgemein bekannt. Auf William Morris scheint erst die Nachricht von seinem Tode die Aufmerksamkeit der deutschen Presse gelenkt zu haben. Die Zeitungsleser haben bei dieser Gelegenheit erfahren, welche Verdienste sich dieser mit den Präraphaeliten ver¬ bündete Dichter und Künstler um das englische Kunstgewerbe erworben hat. Grenzboten IV 1806 I!)
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Englische Zustände
darüber, daß die Natur dort zu gewaltig sei, als daß sie von den Menschen
hätte zerstört werden können. Er meint, es sei keineswegs immer vorteilhaft,
wenn es dem Menschen gelinge, seiner Umgebung seinen Stempel aufzudrücken,
und kommt dabei auf die „idiotisch erbärmliche Straßenarchitektur" Londons
zu sprechen. Außerdem darauf, daß dessen reiche Bildungsmittel „trotz.kräftiger
Reformversuche kaum für jemand anders als für die begüterten Klassen vor¬
handen sind." Eben dieses sei es, „was Londons geistige Physiognomie so
brutal erscheinen läßt. Die Stimmen, die sich in den letzten Jahrzehnten für
die »Humainsiruug« und Verschönerung Londons erhoben, scheinen mir wie
die des Rufers in der Wüste bestimmt, noch lange zu verklingen." Auch sei
es keine kleine Aufgabe, die Engländer der untern Klasse erst wieder für wahr¬
haft menschliche Genüsse zu erziehen, wie man das jetzt durch Anlage von
Stadtparks u. tgi. auch außerhalb Londons versucht. In dieser Beziehung
hat ja auch das Puritanertum Verwüstungen angerichtet, das der englische
Nebel, wie Steffen hübsch bemerkt, zugleich mit der Trunksucht als deren
Gegengift erzeugt. Die Hauptursache dieser Verwandlung von insrrv viel
KnA'Jima ist aber wohl das Elend gewesen. Ludlow, ein Veteran der Anti-
Corn-Law-League, „dessen Erfahrung in Sachen der Arbeiterfragen bis in die
vierziger Jahre zurückgeht," hat vor einer königlichen Kommission geäußert:
«Hinsichtlich der Vergnügungen der Arbeiter der vierziger Jahre, kann ich
sagen, daß eine große Zahl sich überhaupt nicht zu amüsiren verstand. Wir
wachten in unserm Working Maus College die überraschende Erfahrung, daß
der echte Arbeitsmann keinen Witz verstand. Wenn etwas recht spaßhaftes
gejagt wurde, so faßten sie es nicht; sie mußten erst lernen, was Humor ist."
(Schmid S. 174,) Die reine Verlierung!
Das Angeführte ist nur ein kleiner Teil dessen, was Steffen über die
Häßlichkeit des englischen Lebens sagt. Der Abscheu vor dieser Häßlichkeit
scheint es zu sein, was vereint mit der Nächstenliebe so viele gebildete Eng¬
länder zu Sozialisten gemacht hat. Nuskin und Morris") kann man als die
Häupter einer ästhetisch-sozialistischen Schule betrachten, deren Ideal etwa die
Pinsel Guernsey ist, von der noch die Rede sein wird, jedenfalls aber das
Gegenteil des Phalanstöres. Dieser Schule gehören auch die Verfasser der
Briefe an Schulze an. Schulze ist der Typus des philiströse» Arbeiters,
der noch zu den Bourgeois hält; die Briefe sollen ihn für die Arbeiterbewegung
gewinnen. Über das englische Leben erfährt man aus ihnen nichts, denn Wright
hat die dem englischen Leben entnommnen Beispiele und Beweismittel der ur-
Ruskin ist allgemein bekannt. Auf William Morris scheint erst die Nachricht von
seinem Tode die Aufmerksamkeit der deutschen Presse gelenkt zu haben. Die Zeitungsleser
haben bei dieser Gelegenheit erfahren, welche Verdienste sich dieser mit den Präraphaeliten ver¬
bündete Dichter und Künstler um das englische Kunstgewerbe erworben hat.
Grenzboten IV 1806 I!)
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