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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die MißstÄnde in der Kleider- und Wäscheindustrie

persönlich die Betriebsleiter ganz zufällig abgefaßt haben. Vollends stolz
scheint man auf die Tabellen über zwei- und mehrmalige Besuche des gleiche"
Betriebes zu sein. Als wenn es auf diese Schutzmanndienste der Gewerbe¬
inspektoren ankäme! Dazu kommt die weitere Einseitigkeit, als ob der Ge¬
werbeinspektor vor allem Ingenieur, womöglich Maschineningenieur sein müßte,
um seine sozialpolizeiliche Aufgabe zu lösen. Natürlich behauptet man von
diesem verkehrten Standpunkte aus, die besondern Gewerbeaufsichtsbeamten des
Z 139b hätten nicht einmal Zeit, die Fabriken zu "revidiren," wie könnte man
ihnen die "Revision" der Werkstätten und gar der Heimbetriebe zumuten!
Herr von Boetticher wird sich hoffentlich nicht länger der Wahrheit verschließen,
daß mit dieser Vorstellung gebrochen werdeu muß, er wird hoffentlich gerade
aus der Leistung der Kommission für Arbeiterstatistik in der Konfektionsfrage
ersehen haben, daß der Staat ohne stündige, sachkundige Organe in den ein¬
zelnen Bezirken nicht auskommt, wenn er auch nur die "schlimmsten Wunden
unsers wirtschaftlichen Lebens" kennen lernen und heilen will, daß er aber das
persönliche Abfassen von "Gewerbepolizeikontraventionen" den Polizeiverwaltern,
Amtsvorstehern, Polizeidienern und Schutzleuten überlassen muß, wenn die Ge¬
werberäte ihrer weit höhern, wichtigern, umfassendern Aufgabe genügen sollen --
von der ganz unzulässigen Überlastung der Gewerbeinspektoren durch die
Dampfkesselrevisionen hier gar nicht zu reden. In dieser Beziehung wird
es auch die Pflicht der Kommission für Arbeiterstatistik selbst sein, die
eigne Impotenz zur Sprache zu bringen. Nur dauernd thätige, örtliche
Organe, die die polizeiliche Aufsicht leiten, ausbilden und ihre Ergebnisse
sammeln und sachkundig bearbeiten, sind imstande, in morale- und jahrelanger
Arbeit das zu leisten, was hier eine bunt zusammengewürfelte Kommission in
wenigen Tagen abthun sollte. Man hat die Mode mitgemacht, das war nicht
zu vermeiden, aber nun sei es genug damit; jetzt mache man Ernst mit der
Aufsicht, Beobachtung und Erforschung der "schlimmen Wunde" durch die be¬
rufnen Leute, d. h. man unterwerfe die ganze gewerbliche Arbeit, und nament¬
lich die Heimarbeit als die schlimmste Wunde, der amtlichen Thätigkeit der
Gewerbeinspektoren. Das Kokettiren mit den weiblichen Gewerbeinspektoren
lasse man aber in Deutschland bleiben.

Daß die Gewerbeinspektoren ohne die Ortspolizeibehördeu nichts machen
können, liegt auf der Hand. Niemand in der Praxis wird verstehen können,
was man sich im Reichstage unter ihrer "ausschließlichen" Aufsicht gedacht
hat. Es wird gerade eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Gewerbe-
rüte sein, die örtlichen Polizeiorgane für die Zwecke der sozialen Polizei zu
erziehen und die im Volke, auch im Reichstage, herrschenden falschen und ein¬
seitigen Vorstellungen von dem Wesen und Zweck der Polizei mit der Zeit zu
beseitigen. Je sozialpolitischer wir werden, um so mehr brauchen wir die
Polizei, eine gute Polizei. Das gilt gerade recht bezüglich der untersten, un-


Die MißstÄnde in der Kleider- und Wäscheindustrie

persönlich die Betriebsleiter ganz zufällig abgefaßt haben. Vollends stolz
scheint man auf die Tabellen über zwei- und mehrmalige Besuche des gleiche«
Betriebes zu sein. Als wenn es auf diese Schutzmanndienste der Gewerbe¬
inspektoren ankäme! Dazu kommt die weitere Einseitigkeit, als ob der Ge¬
werbeinspektor vor allem Ingenieur, womöglich Maschineningenieur sein müßte,
um seine sozialpolizeiliche Aufgabe zu lösen. Natürlich behauptet man von
diesem verkehrten Standpunkte aus, die besondern Gewerbeaufsichtsbeamten des
Z 139b hätten nicht einmal Zeit, die Fabriken zu „revidiren," wie könnte man
ihnen die „Revision" der Werkstätten und gar der Heimbetriebe zumuten!
Herr von Boetticher wird sich hoffentlich nicht länger der Wahrheit verschließen,
daß mit dieser Vorstellung gebrochen werdeu muß, er wird hoffentlich gerade
aus der Leistung der Kommission für Arbeiterstatistik in der Konfektionsfrage
ersehen haben, daß der Staat ohne stündige, sachkundige Organe in den ein¬
zelnen Bezirken nicht auskommt, wenn er auch nur die „schlimmsten Wunden
unsers wirtschaftlichen Lebens" kennen lernen und heilen will, daß er aber das
persönliche Abfassen von „Gewerbepolizeikontraventionen" den Polizeiverwaltern,
Amtsvorstehern, Polizeidienern und Schutzleuten überlassen muß, wenn die Ge¬
werberäte ihrer weit höhern, wichtigern, umfassendern Aufgabe genügen sollen —
von der ganz unzulässigen Überlastung der Gewerbeinspektoren durch die
Dampfkesselrevisionen hier gar nicht zu reden. In dieser Beziehung wird
es auch die Pflicht der Kommission für Arbeiterstatistik selbst sein, die
eigne Impotenz zur Sprache zu bringen. Nur dauernd thätige, örtliche
Organe, die die polizeiliche Aufsicht leiten, ausbilden und ihre Ergebnisse
sammeln und sachkundig bearbeiten, sind imstande, in morale- und jahrelanger
Arbeit das zu leisten, was hier eine bunt zusammengewürfelte Kommission in
wenigen Tagen abthun sollte. Man hat die Mode mitgemacht, das war nicht
zu vermeiden, aber nun sei es genug damit; jetzt mache man Ernst mit der
Aufsicht, Beobachtung und Erforschung der „schlimmen Wunde" durch die be¬
rufnen Leute, d. h. man unterwerfe die ganze gewerbliche Arbeit, und nament¬
lich die Heimarbeit als die schlimmste Wunde, der amtlichen Thätigkeit der
Gewerbeinspektoren. Das Kokettiren mit den weiblichen Gewerbeinspektoren
lasse man aber in Deutschland bleiben.

Daß die Gewerbeinspektoren ohne die Ortspolizeibehördeu nichts machen
können, liegt auf der Hand. Niemand in der Praxis wird verstehen können,
was man sich im Reichstage unter ihrer „ausschließlichen" Aufsicht gedacht
hat. Es wird gerade eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Gewerbe-
rüte sein, die örtlichen Polizeiorgane für die Zwecke der sozialen Polizei zu
erziehen und die im Volke, auch im Reichstage, herrschenden falschen und ein¬
seitigen Vorstellungen von dem Wesen und Zweck der Polizei mit der Zeit zu
beseitigen. Je sozialpolitischer wir werden, um so mehr brauchen wir die
Polizei, eine gute Polizei. Das gilt gerade recht bezüglich der untersten, un-


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[0464] Die MißstÄnde in der Kleider- und Wäscheindustrie persönlich die Betriebsleiter ganz zufällig abgefaßt haben. Vollends stolz scheint man auf die Tabellen über zwei- und mehrmalige Besuche des gleiche« Betriebes zu sein. Als wenn es auf diese Schutzmanndienste der Gewerbe¬ inspektoren ankäme! Dazu kommt die weitere Einseitigkeit, als ob der Ge¬ werbeinspektor vor allem Ingenieur, womöglich Maschineningenieur sein müßte, um seine sozialpolizeiliche Aufgabe zu lösen. Natürlich behauptet man von diesem verkehrten Standpunkte aus, die besondern Gewerbeaufsichtsbeamten des Z 139b hätten nicht einmal Zeit, die Fabriken zu „revidiren," wie könnte man ihnen die „Revision" der Werkstätten und gar der Heimbetriebe zumuten! Herr von Boetticher wird sich hoffentlich nicht länger der Wahrheit verschließen, daß mit dieser Vorstellung gebrochen werdeu muß, er wird hoffentlich gerade aus der Leistung der Kommission für Arbeiterstatistik in der Konfektionsfrage ersehen haben, daß der Staat ohne stündige, sachkundige Organe in den ein¬ zelnen Bezirken nicht auskommt, wenn er auch nur die „schlimmsten Wunden unsers wirtschaftlichen Lebens" kennen lernen und heilen will, daß er aber das persönliche Abfassen von „Gewerbepolizeikontraventionen" den Polizeiverwaltern, Amtsvorstehern, Polizeidienern und Schutzleuten überlassen muß, wenn die Ge¬ werberäte ihrer weit höhern, wichtigern, umfassendern Aufgabe genügen sollen — von der ganz unzulässigen Überlastung der Gewerbeinspektoren durch die Dampfkesselrevisionen hier gar nicht zu reden. In dieser Beziehung wird es auch die Pflicht der Kommission für Arbeiterstatistik selbst sein, die eigne Impotenz zur Sprache zu bringen. Nur dauernd thätige, örtliche Organe, die die polizeiliche Aufsicht leiten, ausbilden und ihre Ergebnisse sammeln und sachkundig bearbeiten, sind imstande, in morale- und jahrelanger Arbeit das zu leisten, was hier eine bunt zusammengewürfelte Kommission in wenigen Tagen abthun sollte. Man hat die Mode mitgemacht, das war nicht zu vermeiden, aber nun sei es genug damit; jetzt mache man Ernst mit der Aufsicht, Beobachtung und Erforschung der „schlimmen Wunde" durch die be¬ rufnen Leute, d. h. man unterwerfe die ganze gewerbliche Arbeit, und nament¬ lich die Heimarbeit als die schlimmste Wunde, der amtlichen Thätigkeit der Gewerbeinspektoren. Das Kokettiren mit den weiblichen Gewerbeinspektoren lasse man aber in Deutschland bleiben. Daß die Gewerbeinspektoren ohne die Ortspolizeibehördeu nichts machen können, liegt auf der Hand. Niemand in der Praxis wird verstehen können, was man sich im Reichstage unter ihrer „ausschließlichen" Aufsicht gedacht hat. Es wird gerade eine der ersten und wichtigsten Aufgaben der Gewerbe- rüte sein, die örtlichen Polizeiorgane für die Zwecke der sozialen Polizei zu erziehen und die im Volke, auch im Reichstage, herrschenden falschen und ein¬ seitigen Vorstellungen von dem Wesen und Zweck der Polizei mit der Zeit zu beseitigen. Je sozialpolitischer wir werden, um so mehr brauchen wir die Polizei, eine gute Polizei. Das gilt gerade recht bezüglich der untersten, un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/464>, abgerufen am 08.01.2025.