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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

mittelbarsten Kontrollbeamten, die ihre Nase in alles stecken müssen. Wir
müssen mehr und mehr diese "Schnüffeleien" mit in Kauf nehmen, wenn wir
bessere Luft in die Werkstätten und auch in die Wohnungen bekommen wollen.
Ehrenamtlich läßt sich das nun einmal nicht alles abmachen, vollends wenn
der Dienst unparteiisch und ohne persönliche Rücksicht versehen werden soll.

Zunächst aber muß Ernst gemacht werden mit der Anwendung des
§ 120" auf alle Werkstätten und Arbeitsstuben, auch auf die in der Haus¬
industrie. Es ist deshalb unerläßlich, daß jeder, der Arbeit an Außenarbeitcr
giebt, diese mit Namen, Wohnung und Betriebsart der Polizeibehörde zur
Kenntnis bringt, damit sie überhaupt weiß, wo hausgewerblich gearbeitet wird.
Die Hauptsache ist, daß die Polizei in ihrem Revier, mag das in Berlin oder
im Spessart liegen, über die Arbeiterverhältnisse genau Bescheid geben kann.
Soweit der hausgewerbliche Betrieb in Werkstätten und Arbeitsstuben statt¬
findet, hat die Polizei die Befolgung der für diese Betriebsart geltenden Be¬
stimmungen gehörig zu kontrolliren und, wenn nötig, zu erzwingen. Das thut
^ ja, wenn sie auf dem Platze ist, schon jetzt, also von einem neuen unerträg¬
lichen Antasten des Innern des Familienlebens kann dabei gar nicht die Rede
kein. Soweit der hausgewerbliche Betrieb in einem Familienbetriebe besteht,
hat die Polizei an sich nichts hineinzureden, sie muß zufrieden damit sein, die
Thatsachen zu kennen und ihr wachsames Ange darauf zu haben, wie über alles,
was im Reviere lebt und webt, bald mehr, bald weniger, je nachdem das
Wohl und Wehe der Bevölkerung daran interessirt ist. Auch das ist doch
nchts von Grund aus neues, nur bringen die neuen sozialen Verhältnisse neue
soziale Interessen mit sich. Wenn die Herren Gewerberäte ihre Pflicht und
Schuldigkeit thun, so werden sie mit den ortspolizeilichen Organen jedenfalls
^ >üahr und Tag Herrn von Boetticher viel genauer über alles Bescheid geben
ouum, als er durch noch so viele einmalige "Erhebungen" erhalten kann,
^adel sollen diese nicht etwa als ganz entbehrlich hingestellt, sondern als ge-
Mntliche Stichproben für den Fortschritt des ganzen Arbeiterschutzes als sehr
nützlich anerkannt werden, zumal wenn wir endlich zu einem ständigen, vom
'Neichsmnt des Innern möglichst unabhängigen Reichsarbeitsamt als oberste
sozialpolitische Polizeibehörde gelangen.

Für jetzt können wir weitergehende gesetzliche oder überhaupt staatliche
Maßregeln gegen die Mißstünde in der Kleider- und Wüscheindustrie nicht als
"ölig und durchführbar bezeichnen, aber auch in Zukunft wird das Haupt¬
heilmittel jenseits von Gesetz und Schutzmann liegen, in der sozialen Pflicht¬
erfüllung des Einzelnen gegen den Einzelnen, in dem uralten Rezept, dem
katego /? rischen Imperativ der christlichen Nächstenliebe.




Grenzboten IV 1396 M
Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

mittelbarsten Kontrollbeamten, die ihre Nase in alles stecken müssen. Wir
müssen mehr und mehr diese „Schnüffeleien" mit in Kauf nehmen, wenn wir
bessere Luft in die Werkstätten und auch in die Wohnungen bekommen wollen.
Ehrenamtlich läßt sich das nun einmal nicht alles abmachen, vollends wenn
der Dienst unparteiisch und ohne persönliche Rücksicht versehen werden soll.

Zunächst aber muß Ernst gemacht werden mit der Anwendung des
§ 120» auf alle Werkstätten und Arbeitsstuben, auch auf die in der Haus¬
industrie. Es ist deshalb unerläßlich, daß jeder, der Arbeit an Außenarbeitcr
giebt, diese mit Namen, Wohnung und Betriebsart der Polizeibehörde zur
Kenntnis bringt, damit sie überhaupt weiß, wo hausgewerblich gearbeitet wird.
Die Hauptsache ist, daß die Polizei in ihrem Revier, mag das in Berlin oder
im Spessart liegen, über die Arbeiterverhältnisse genau Bescheid geben kann.
Soweit der hausgewerbliche Betrieb in Werkstätten und Arbeitsstuben statt¬
findet, hat die Polizei die Befolgung der für diese Betriebsart geltenden Be¬
stimmungen gehörig zu kontrolliren und, wenn nötig, zu erzwingen. Das thut
^ ja, wenn sie auf dem Platze ist, schon jetzt, also von einem neuen unerträg¬
lichen Antasten des Innern des Familienlebens kann dabei gar nicht die Rede
kein. Soweit der hausgewerbliche Betrieb in einem Familienbetriebe besteht,
hat die Polizei an sich nichts hineinzureden, sie muß zufrieden damit sein, die
Thatsachen zu kennen und ihr wachsames Ange darauf zu haben, wie über alles,
was im Reviere lebt und webt, bald mehr, bald weniger, je nachdem das
Wohl und Wehe der Bevölkerung daran interessirt ist. Auch das ist doch
nchts von Grund aus neues, nur bringen die neuen sozialen Verhältnisse neue
soziale Interessen mit sich. Wenn die Herren Gewerberäte ihre Pflicht und
Schuldigkeit thun, so werden sie mit den ortspolizeilichen Organen jedenfalls
^ >üahr und Tag Herrn von Boetticher viel genauer über alles Bescheid geben
ouum, als er durch noch so viele einmalige „Erhebungen" erhalten kann,
^adel sollen diese nicht etwa als ganz entbehrlich hingestellt, sondern als ge-
Mntliche Stichproben für den Fortschritt des ganzen Arbeiterschutzes als sehr
nützlich anerkannt werden, zumal wenn wir endlich zu einem ständigen, vom
'Neichsmnt des Innern möglichst unabhängigen Reichsarbeitsamt als oberste
sozialpolitische Polizeibehörde gelangen.

Für jetzt können wir weitergehende gesetzliche oder überhaupt staatliche
Maßregeln gegen die Mißstünde in der Kleider- und Wüscheindustrie nicht als
"ölig und durchführbar bezeichnen, aber auch in Zukunft wird das Haupt¬
heilmittel jenseits von Gesetz und Schutzmann liegen, in der sozialen Pflicht¬
erfüllung des Einzelnen gegen den Einzelnen, in dem uralten Rezept, dem
katego /? rischen Imperativ der christlichen Nächstenliebe.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/465>, abgerufen am 06.01.2025.