Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Mißstände in der Kleider- und lväscheindustrie gehen. Aber bei der Konfektionsfrage läßt sich das nicht so nebenbei abthun. Wenn man den zur Sicherung des Arbeiterschutzes zu fordernden Ma߬ Die Mißstände in der Kleider- und lväscheindustrie gehen. Aber bei der Konfektionsfrage läßt sich das nicht so nebenbei abthun. Wenn man den zur Sicherung des Arbeiterschutzes zu fordernden Ma߬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224047"/> <fw type="header" place="top"> Die Mißstände in der Kleider- und lväscheindustrie</fw><lb/> <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> gehen. Aber bei der Konfektionsfrage läßt sich das nicht so nebenbei abthun.<lb/> Kirche, Schule, Vormundschaftsgericht und Polizei und mit ihnen der ganze<lb/> Apparat der Vereinsthätigkeit stehen hier vor einer riesengroßen Aufgabe.<lb/> Möchte man nur überall kräftig ins Leben hineingreifen, wo immer man es<lb/> fassen kann, statt mit dem Streit um „Systeme" die Zeit zu verlieren und<lb/> die Jugend verkomme» zu lassen. Vielleicht wird eine zweckmäßige Aufsicht<lb/> und Beobachtung der hausgewerblichen Konfektionsarbeit auch der Lösung dieser<lb/> allgemeinen Aufgabe zu gute kommen. Hier sei nur kurz noch der Arbeits¬<lb/> bücher für minderjährige Arbeiter gedacht, wie sie § 107 der Gewerbeordnung<lb/> vorschreibt. Es ist sehr zu wünschen, daß auch alle minderjährigen Heim¬<lb/> arbeiterinnen ausnahmslos von der Vorschrift betroffen werden, was jetzt<lb/> nicht der Fall ist. Schon um es zu erschweren, daß die von auswärts in die<lb/> Großstädte zngezognen Mädchen leichtfertig vom Gesindedienst zur hausgewerb¬<lb/> lichen Näharbeit übergehen, ist das erforderlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1388" next="#ID_1389"> Wenn man den zur Sicherung des Arbeiterschutzes zu fordernden Ma߬<lb/> regeln näher tritt, so nimmt unter den laut gewordnen Forderungen eine der<lb/> ersten Stellen ein das Verlangen nach Ausdehnung der besondern Gewerbe¬<lb/> aufsicht im Sinne des 8 1391) der Gewerbeordnung auf die ganze gewerbliche<lb/> Arbeit. Wir stimmen diesem Verlangen entschieden zu, obgleich wir die auch<lb/> von Praktikern dagegen vielfach geltend gemachten Einwendungen hinreichend<lb/> kennen und auch hinreichend würdigen. Gerade die Praktiker scheinen uns in<lb/> dieser Frage zum Teil sehr in den Idealen des grünen Tisches befangen zu<lb/> sein, sobald es sich um gesetzliche Reformen handelt. Wie liegt denn die Sache<lb/> in Wirklichkeit? Der § 139b der Gewerbeordnung schreibt die Übertragung<lb/> der Aufsicht über die Ausführung der Bestimmungen der §§ 105 105d<lb/> Absatz 1. 105« ^s 105b, 120» bis 120v, 134 bis 139a vor an „besondre<lb/> 0vn den Landesregierungen zu ernennende Beamte," und zwar ..ausschließlich<lb/> oder neben den ordentlichen Polizeibehörden." Dieser Paragraph ist, trotz aller<lb/> Flickarbeit, die man schon auf ihn verwendet hat. noch immer ein unhaltbares<lb/> »Provisorium" geblieben. Nach dem Wortlaut erstreckt sich die Aufsicht der<lb/> besondern Gewerbeanfsichtsbeamten schon jetzt ans die Werkstätten wie auf die<lb/> Fabriken, sogar auf die Werkstätten im Hausgewerbe. In der Ausführung<lb/> kümmert sich die Gewerbeinspektiou aber nur ausnahmsweise um das Hand¬<lb/> werk und gar nicht um das Hausgewerbe. Sehr natürlich, da mau von der<lb/> verkehrten Vorstellung beherrscht ist, daß die Gewerbeaussichtsbeamten an Stelle<lb/> oder neben den „ordentlichen Polizeibehörden" gleichwertige Dienste zu leisten<lb/> hatten. Ortspolizeiliche Funktionen also mutet mau dem Gewerberat für jeden<lb/> preußischen Regierungsbezirk mit seinen wenigen Gehilfen zu, und man scheint<lb/> sast stolz darauf zu sein, wenn man in jedem Jahresbericht dieselbe klägliche<lb/> Statistik machen kann über die persönlichen Besuche der Gewerbeinspektoreu in<lb/> den Betrieben und über die Verstöße gegen die Bestimmungen, bei denen sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0463]
Die Mißstände in der Kleider- und lväscheindustrie
gehen. Aber bei der Konfektionsfrage läßt sich das nicht so nebenbei abthun.
Kirche, Schule, Vormundschaftsgericht und Polizei und mit ihnen der ganze
Apparat der Vereinsthätigkeit stehen hier vor einer riesengroßen Aufgabe.
Möchte man nur überall kräftig ins Leben hineingreifen, wo immer man es
fassen kann, statt mit dem Streit um „Systeme" die Zeit zu verlieren und
die Jugend verkomme» zu lassen. Vielleicht wird eine zweckmäßige Aufsicht
und Beobachtung der hausgewerblichen Konfektionsarbeit auch der Lösung dieser
allgemeinen Aufgabe zu gute kommen. Hier sei nur kurz noch der Arbeits¬
bücher für minderjährige Arbeiter gedacht, wie sie § 107 der Gewerbeordnung
vorschreibt. Es ist sehr zu wünschen, daß auch alle minderjährigen Heim¬
arbeiterinnen ausnahmslos von der Vorschrift betroffen werden, was jetzt
nicht der Fall ist. Schon um es zu erschweren, daß die von auswärts in die
Großstädte zngezognen Mädchen leichtfertig vom Gesindedienst zur hausgewerb¬
lichen Näharbeit übergehen, ist das erforderlich.
Wenn man den zur Sicherung des Arbeiterschutzes zu fordernden Ma߬
regeln näher tritt, so nimmt unter den laut gewordnen Forderungen eine der
ersten Stellen ein das Verlangen nach Ausdehnung der besondern Gewerbe¬
aufsicht im Sinne des 8 1391) der Gewerbeordnung auf die ganze gewerbliche
Arbeit. Wir stimmen diesem Verlangen entschieden zu, obgleich wir die auch
von Praktikern dagegen vielfach geltend gemachten Einwendungen hinreichend
kennen und auch hinreichend würdigen. Gerade die Praktiker scheinen uns in
dieser Frage zum Teil sehr in den Idealen des grünen Tisches befangen zu
sein, sobald es sich um gesetzliche Reformen handelt. Wie liegt denn die Sache
in Wirklichkeit? Der § 139b der Gewerbeordnung schreibt die Übertragung
der Aufsicht über die Ausführung der Bestimmungen der §§ 105 105d
Absatz 1. 105« ^s 105b, 120» bis 120v, 134 bis 139a vor an „besondre
0vn den Landesregierungen zu ernennende Beamte," und zwar ..ausschließlich
oder neben den ordentlichen Polizeibehörden." Dieser Paragraph ist, trotz aller
Flickarbeit, die man schon auf ihn verwendet hat. noch immer ein unhaltbares
»Provisorium" geblieben. Nach dem Wortlaut erstreckt sich die Aufsicht der
besondern Gewerbeanfsichtsbeamten schon jetzt ans die Werkstätten wie auf die
Fabriken, sogar auf die Werkstätten im Hausgewerbe. In der Ausführung
kümmert sich die Gewerbeinspektiou aber nur ausnahmsweise um das Hand¬
werk und gar nicht um das Hausgewerbe. Sehr natürlich, da mau von der
verkehrten Vorstellung beherrscht ist, daß die Gewerbeaussichtsbeamten an Stelle
oder neben den „ordentlichen Polizeibehörden" gleichwertige Dienste zu leisten
hatten. Ortspolizeiliche Funktionen also mutet mau dem Gewerberat für jeden
preußischen Regierungsbezirk mit seinen wenigen Gehilfen zu, und man scheint
sast stolz darauf zu sein, wenn man in jedem Jahresbericht dieselbe klägliche
Statistik machen kann über die persönlichen Besuche der Gewerbeinspektoreu in
den Betrieben und über die Verstöße gegen die Bestimmungen, bei denen sie
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