Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Mißstände in der Aleider- n"d Wäscheindnstrie die verschiedne Tüchtigkeit des Arbeiters selbst, seine Sauberkeit, Pünktlichkeit, Zu den wirtschaftlichen Mißständen gehören auch die Mängel in der Die Mißstände in der Aleider- n»d Wäscheindnstrie die verschiedne Tüchtigkeit des Arbeiters selbst, seine Sauberkeit, Pünktlichkeit, Zu den wirtschaftlichen Mißständen gehören auch die Mängel in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224046"/> <fw type="header" place="top"> Die Mißstände in der Aleider- n»d Wäscheindnstrie</fw><lb/> <p xml:id="ID_1385" prev="#ID_1384"> die verschiedne Tüchtigkeit des Arbeiters selbst, seine Sauberkeit, Pünktlichkeit,<lb/> Zuverlässigkeit wirkt darauf ein, wie viel ihm der Meister bewilligen kann.<lb/> Thatsächlich sind die Tarifbestrebungen nichts wert gewesen; schade um die Zeit,<lb/> die man daran verschwendet hat. Der erreichbare Schutz gegen die in der<lb/> That herrschende Willkür und Ausbeutung liegt, zur Zeit wenigstens, in der<lb/> That wohl nur in dem Zwang zum schriftlichen Abschluß des einzelnen Werk¬<lb/> vertrags. Der Arbeitgeber muß verpflichtet werden, „ganz genau das Maß<lb/> der geforderten Arbeitsleistung und das Maß des Entgelts schriftlich zu fixiren"<lb/> und namentlich auch festzusetzen, „zu welchen Preisen die Materialien, die dem<lb/> Arbeiter übergeben werden, ihm anzurechnen sind." Die Gewerbegerichte haben<lb/> wiederholt die Anwendung sogenannter „Arbeitszettel" empfohlen, auf denen mit<lb/> wenig Worten die wichtigsten Punkte des Vertrags beurkundet werden. Wir<lb/> möchten dringend raten, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Anwen¬<lb/> dung fortlaufender „Lohnbücher" anzuordnen. Der einzelne Zettel verschwindet<lb/> mit Empfang des Lohnes. Hier handelt es sich aber um eine Beurkundung<lb/> der ganzen Praxis, um eine gewisse Veröffentlichung und Kontrolle der Arbeits¬<lb/> bedingungen durch die Arbeiter unter einander und auch der Aufsichtsbehörde<lb/> gegenüber. Es liegt auf der Hand, daß der Schutz der Arbeiter durch solche<lb/> Lohnbücher, aber auch die erzieherische Wirkung auf die Arbeitgeber viel größer<lb/> sein muß als durch Arbeitszettel. Daß die Einrichtung durchführbar ist, wird<lb/> hinreichend durch die Anwendung solcher Bücher in zahlreichen Geschäften mit<lb/> Außenarbeit bewiesen, nur daß die Eintragungen unvollständig sind und meist<lb/> einseitig im Interesse des Geschäfts liegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1386" next="#ID_1387"> Zu den wirtschaftlichen Mißständen gehören auch die Mängel in der<lb/> Lehrlingscrziehung. Wie es damit in der Konfektionsindustrie steht, davon ist<lb/> auch nicht einmal andeutungsweise hier ein Bild zu geben. Es steht damit so<lb/> gut und so schlecht wie im Handwerk und in der Hausindustrie überhaupt.<lb/> Das Schlimme ist die Ausbeutung billiger Anfängerkrüfte für wenig oder gar<lb/> keinen Lohn, die massenhafte Heranziehung geringwertiger Arbeiterinnen zu<lb/> einer Berufsthätigkeit, die sie auf die Dauer nicht zu ernähren vermag,<lb/> und der Mangel jeder Rücksicht auf die körperliche Tauglichkeit und die<lb/> technische Anlage bei der Einstellung des Nachwuchses. Der Gedanke, daß<lb/> es eine heilige Pflicht sei, bei der Beschäftigung der aus der Schule<lb/> kommenden jungen Leute, die meist noch in den Kinderschuhen stecken,<lb/> immer die Rücksicht walten zu lassen, ob sie sür ihr Fortkommen etwas lernen<lb/> oder nicht, dieser Gedanke liegt auch in der Konfektionsindustrie den Arbeit¬<lb/> gebern in der Regel vollständig fern, und leider auch den Eltern und den Vor¬<lb/> mündern. Gewerbegerichtliche Maßregeln, auch schriftliche Lehrvertrüge können<lb/> dabei wenig helfen. Uns würden alle Einrichtungen, die die Fürsorge für die<lb/> arbeitende Jugend in Stadt und Land bezwecken und die Zucht des heran¬<lb/> wachsenden Geschlechts bis zur Mündigkeit sichern könnten, kaum weit genug</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
Die Mißstände in der Aleider- n»d Wäscheindnstrie
die verschiedne Tüchtigkeit des Arbeiters selbst, seine Sauberkeit, Pünktlichkeit,
Zuverlässigkeit wirkt darauf ein, wie viel ihm der Meister bewilligen kann.
Thatsächlich sind die Tarifbestrebungen nichts wert gewesen; schade um die Zeit,
die man daran verschwendet hat. Der erreichbare Schutz gegen die in der
That herrschende Willkür und Ausbeutung liegt, zur Zeit wenigstens, in der
That wohl nur in dem Zwang zum schriftlichen Abschluß des einzelnen Werk¬
vertrags. Der Arbeitgeber muß verpflichtet werden, „ganz genau das Maß
der geforderten Arbeitsleistung und das Maß des Entgelts schriftlich zu fixiren"
und namentlich auch festzusetzen, „zu welchen Preisen die Materialien, die dem
Arbeiter übergeben werden, ihm anzurechnen sind." Die Gewerbegerichte haben
wiederholt die Anwendung sogenannter „Arbeitszettel" empfohlen, auf denen mit
wenig Worten die wichtigsten Punkte des Vertrags beurkundet werden. Wir
möchten dringend raten, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Anwen¬
dung fortlaufender „Lohnbücher" anzuordnen. Der einzelne Zettel verschwindet
mit Empfang des Lohnes. Hier handelt es sich aber um eine Beurkundung
der ganzen Praxis, um eine gewisse Veröffentlichung und Kontrolle der Arbeits¬
bedingungen durch die Arbeiter unter einander und auch der Aufsichtsbehörde
gegenüber. Es liegt auf der Hand, daß der Schutz der Arbeiter durch solche
Lohnbücher, aber auch die erzieherische Wirkung auf die Arbeitgeber viel größer
sein muß als durch Arbeitszettel. Daß die Einrichtung durchführbar ist, wird
hinreichend durch die Anwendung solcher Bücher in zahlreichen Geschäften mit
Außenarbeit bewiesen, nur daß die Eintragungen unvollständig sind und meist
einseitig im Interesse des Geschäfts liegen.
Zu den wirtschaftlichen Mißständen gehören auch die Mängel in der
Lehrlingscrziehung. Wie es damit in der Konfektionsindustrie steht, davon ist
auch nicht einmal andeutungsweise hier ein Bild zu geben. Es steht damit so
gut und so schlecht wie im Handwerk und in der Hausindustrie überhaupt.
Das Schlimme ist die Ausbeutung billiger Anfängerkrüfte für wenig oder gar
keinen Lohn, die massenhafte Heranziehung geringwertiger Arbeiterinnen zu
einer Berufsthätigkeit, die sie auf die Dauer nicht zu ernähren vermag,
und der Mangel jeder Rücksicht auf die körperliche Tauglichkeit und die
technische Anlage bei der Einstellung des Nachwuchses. Der Gedanke, daß
es eine heilige Pflicht sei, bei der Beschäftigung der aus der Schule
kommenden jungen Leute, die meist noch in den Kinderschuhen stecken,
immer die Rücksicht walten zu lassen, ob sie sür ihr Fortkommen etwas lernen
oder nicht, dieser Gedanke liegt auch in der Konfektionsindustrie den Arbeit¬
gebern in der Regel vollständig fern, und leider auch den Eltern und den Vor¬
mündern. Gewerbegerichtliche Maßregeln, auch schriftliche Lehrvertrüge können
dabei wenig helfen. Uns würden alle Einrichtungen, die die Fürsorge für die
arbeitende Jugend in Stadt und Land bezwecken und die Zucht des heran¬
wachsenden Geschlechts bis zur Mündigkeit sichern könnten, kaum weit genug
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