Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie

-- in der Werkstatt selbst -- ein müßiger Gebrauch gemacht werde.
Besonders beschwert würden also diese großstädtischen Konfektionsmeister¬
betriebe durch die Ausdehnung der für Fabriken geltenden Einschrän¬
kungen auf die Werkstätten nicht werden, und ebenso wenig ist zu be¬
fürchten, daß die Arbeit dadurch in die Heimbetriebe gedrängt werden
würde. Daß Werkstattarbeiterinnen Arbeit mit nach Hause nehmen, geschieht
eben auch jetzt schon in demselben Umfange, wie es bei den Fabrikarbeite¬
rinnen üblich ist und leider die Zwecke des Gesetzes zum Teil vereitelt.
Dennoch ist es erwünscht und billig, der Aufsichtsbehörde hier für alle Fülle
die Berechtigung zum Einschreiten ebenso zu geben, wie man sie ihr bezüglich
der Fabriken gegeben hat, und wie sie sich zum Beispiel in der Frage der sonn-
und festtäglichen Werkstattarbeit bewährt hat. Dieser Mißbrauch ist nümlich in
den großstädtischen Werkstätten, wie es scheint, fast vollständig beseitigt. Die
Verhältnisse in den ländlichen hausgewerblichen Betrieben sind leider zu wenig
aufgeklärt worden, um hier zwischen Werkstatt- und Heimbetrieben einen rechten
Unterschied machen zu können, aber nach den Vernehmungen scheint doch auch
hier die neben der Feldarbeit ausgeübte Kvnfektionsarbeit an sich in der Regel
nicht von übermäßiger Dauer zu sein. Genauere Ermittelungen sind hier sehr
SU wünschen.

Schlimmer als mit der Nrbeitsdcmer steht es mit den Arbeitspausen in
den Werkstätten. Hier ringen die handwerksmäßigen Betriebe mit den modernen
Arbeitsstuben um die Palme des Mißverhaltens. Freilich scheinen auch dabei
die süddeutschen Schneidergesellen fast noch weniger imstande zu sein, sich ihrer
Haut zu wehren, als die Berliner Nähmädchen. Abhilfe thut dringend not,
um so mehr, als das Nähen, namentlich die Arbeit an der Nähmaschine mit
Fußbetrieb, der noch überall vorherrscht, für den weiblichen Körper in hohem
Grade schädlich ist, wenn nicht genügende Pausen eingehalten werden. Sowohl
sür die Fabriken wie für die Werkstätten sind auch den erwachsenen Arbeite¬
rinnen, außer der Mittagspause. Vor- und Nachmittagspaufcn zu sichern. Es
genügt also nicht die Ausdehnung der Bestimmungen der W 135 bis 139"
der Gewerbeordnung auf die Werkstätten, sondern auf Grund des Z 139" Ur. 1
muß die Vorschrift über die Pausen ergänzt werden. Der Gesetzgebungsapparat
würde nur für die Mittagspause der Schneidergesellen in Bewegung gesetzt
werden müssen. Dazu kann man ja nochmals "Erhebungen" für nötig halten;
sie würden voraussichtlich noch deutlicher erkennen lassen, daß die Zustände
im Handwerk nicht anders liegen als in der Konfektion.

Jedenfalls würde sich das herausstellen bezüglich der Beschaffenheit der
Werkstätten und Arbeitsräume selbst. Nach den bis jetzt vorliegenden Aus¬
künsten ist in Bezug auf die Raumverhältnisse, die Licht- und Luftzuführung,
die Verwendung der Arbeitsräume zum Wohnen, Schlafen, Kochen usw. ein
Unterschied zwischen den sogenannten Zwischenmeisterbetrieben in der Konfektion


Grenzboten IV 1896 S7
Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie

— in der Werkstatt selbst — ein müßiger Gebrauch gemacht werde.
Besonders beschwert würden also diese großstädtischen Konfektionsmeister¬
betriebe durch die Ausdehnung der für Fabriken geltenden Einschrän¬
kungen auf die Werkstätten nicht werden, und ebenso wenig ist zu be¬
fürchten, daß die Arbeit dadurch in die Heimbetriebe gedrängt werden
würde. Daß Werkstattarbeiterinnen Arbeit mit nach Hause nehmen, geschieht
eben auch jetzt schon in demselben Umfange, wie es bei den Fabrikarbeite¬
rinnen üblich ist und leider die Zwecke des Gesetzes zum Teil vereitelt.
Dennoch ist es erwünscht und billig, der Aufsichtsbehörde hier für alle Fülle
die Berechtigung zum Einschreiten ebenso zu geben, wie man sie ihr bezüglich
der Fabriken gegeben hat, und wie sie sich zum Beispiel in der Frage der sonn-
und festtäglichen Werkstattarbeit bewährt hat. Dieser Mißbrauch ist nümlich in
den großstädtischen Werkstätten, wie es scheint, fast vollständig beseitigt. Die
Verhältnisse in den ländlichen hausgewerblichen Betrieben sind leider zu wenig
aufgeklärt worden, um hier zwischen Werkstatt- und Heimbetrieben einen rechten
Unterschied machen zu können, aber nach den Vernehmungen scheint doch auch
hier die neben der Feldarbeit ausgeübte Kvnfektionsarbeit an sich in der Regel
nicht von übermäßiger Dauer zu sein. Genauere Ermittelungen sind hier sehr
SU wünschen.

Schlimmer als mit der Nrbeitsdcmer steht es mit den Arbeitspausen in
den Werkstätten. Hier ringen die handwerksmäßigen Betriebe mit den modernen
Arbeitsstuben um die Palme des Mißverhaltens. Freilich scheinen auch dabei
die süddeutschen Schneidergesellen fast noch weniger imstande zu sein, sich ihrer
Haut zu wehren, als die Berliner Nähmädchen. Abhilfe thut dringend not,
um so mehr, als das Nähen, namentlich die Arbeit an der Nähmaschine mit
Fußbetrieb, der noch überall vorherrscht, für den weiblichen Körper in hohem
Grade schädlich ist, wenn nicht genügende Pausen eingehalten werden. Sowohl
sür die Fabriken wie für die Werkstätten sind auch den erwachsenen Arbeite¬
rinnen, außer der Mittagspause. Vor- und Nachmittagspaufcn zu sichern. Es
genügt also nicht die Ausdehnung der Bestimmungen der W 135 bis 139»
der Gewerbeordnung auf die Werkstätten, sondern auf Grund des Z 139» Ur. 1
muß die Vorschrift über die Pausen ergänzt werden. Der Gesetzgebungsapparat
würde nur für die Mittagspause der Schneidergesellen in Bewegung gesetzt
werden müssen. Dazu kann man ja nochmals „Erhebungen" für nötig halten;
sie würden voraussichtlich noch deutlicher erkennen lassen, daß die Zustände
im Handwerk nicht anders liegen als in der Konfektion.

Jedenfalls würde sich das herausstellen bezüglich der Beschaffenheit der
Werkstätten und Arbeitsräume selbst. Nach den bis jetzt vorliegenden Aus¬
künsten ist in Bezug auf die Raumverhältnisse, die Licht- und Luftzuführung,
die Verwendung der Arbeitsräume zum Wohnen, Schlafen, Kochen usw. ein
Unterschied zwischen den sogenannten Zwischenmeisterbetrieben in der Konfektion


Grenzboten IV 1896 S7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224041"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> &#x2014; in der Werkstatt selbst &#x2014; ein müßiger Gebrauch gemacht werde.<lb/>
Besonders beschwert würden also diese großstädtischen Konfektionsmeister¬<lb/>
betriebe durch die Ausdehnung der für Fabriken geltenden Einschrän¬<lb/>
kungen auf die Werkstätten nicht werden, und ebenso wenig ist zu be¬<lb/>
fürchten, daß die Arbeit dadurch in die Heimbetriebe gedrängt werden<lb/>
würde. Daß Werkstattarbeiterinnen Arbeit mit nach Hause nehmen, geschieht<lb/>
eben auch jetzt schon in demselben Umfange, wie es bei den Fabrikarbeite¬<lb/>
rinnen üblich ist und leider die Zwecke des Gesetzes zum Teil vereitelt.<lb/>
Dennoch ist es erwünscht und billig, der Aufsichtsbehörde hier für alle Fülle<lb/>
die Berechtigung zum Einschreiten ebenso zu geben, wie man sie ihr bezüglich<lb/>
der Fabriken gegeben hat, und wie sie sich zum Beispiel in der Frage der sonn-<lb/>
und festtäglichen Werkstattarbeit bewährt hat. Dieser Mißbrauch ist nümlich in<lb/>
den großstädtischen Werkstätten, wie es scheint, fast vollständig beseitigt. Die<lb/>
Verhältnisse in den ländlichen hausgewerblichen Betrieben sind leider zu wenig<lb/>
aufgeklärt worden, um hier zwischen Werkstatt- und Heimbetrieben einen rechten<lb/>
Unterschied machen zu können, aber nach den Vernehmungen scheint doch auch<lb/>
hier die neben der Feldarbeit ausgeübte Kvnfektionsarbeit an sich in der Regel<lb/>
nicht von übermäßiger Dauer zu sein. Genauere Ermittelungen sind hier sehr<lb/>
SU wünschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1374"> Schlimmer als mit der Nrbeitsdcmer steht es mit den Arbeitspausen in<lb/>
den Werkstätten. Hier ringen die handwerksmäßigen Betriebe mit den modernen<lb/>
Arbeitsstuben um die Palme des Mißverhaltens. Freilich scheinen auch dabei<lb/>
die süddeutschen Schneidergesellen fast noch weniger imstande zu sein, sich ihrer<lb/>
Haut zu wehren, als die Berliner Nähmädchen. Abhilfe thut dringend not,<lb/>
um so mehr, als das Nähen, namentlich die Arbeit an der Nähmaschine mit<lb/>
Fußbetrieb, der noch überall vorherrscht, für den weiblichen Körper in hohem<lb/>
Grade schädlich ist, wenn nicht genügende Pausen eingehalten werden. Sowohl<lb/>
sür die Fabriken wie für die Werkstätten sind auch den erwachsenen Arbeite¬<lb/>
rinnen, außer der Mittagspause. Vor- und Nachmittagspaufcn zu sichern. Es<lb/>
genügt also nicht die Ausdehnung der Bestimmungen der W 135 bis 139»<lb/>
der Gewerbeordnung auf die Werkstätten, sondern auf Grund des Z 139» Ur. 1<lb/>
muß die Vorschrift über die Pausen ergänzt werden. Der Gesetzgebungsapparat<lb/>
würde nur für die Mittagspause der Schneidergesellen in Bewegung gesetzt<lb/>
werden müssen. Dazu kann man ja nochmals &#x201E;Erhebungen" für nötig halten;<lb/>
sie würden voraussichtlich noch deutlicher erkennen lassen, daß die Zustände<lb/>
im Handwerk nicht anders liegen als in der Konfektion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1375" next="#ID_1376"> Jedenfalls würde sich das herausstellen bezüglich der Beschaffenheit der<lb/>
Werkstätten und Arbeitsräume selbst. Nach den bis jetzt vorliegenden Aus¬<lb/>
künsten ist in Bezug auf die Raumverhältnisse, die Licht- und Luftzuführung,<lb/>
die Verwendung der Arbeitsräume zum Wohnen, Schlafen, Kochen usw. ein<lb/>
Unterschied zwischen den sogenannten Zwischenmeisterbetrieben in der Konfektion</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1896 S7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] Die Mißstände in der Kleider- und Wäscheindustrie — in der Werkstatt selbst — ein müßiger Gebrauch gemacht werde. Besonders beschwert würden also diese großstädtischen Konfektionsmeister¬ betriebe durch die Ausdehnung der für Fabriken geltenden Einschrän¬ kungen auf die Werkstätten nicht werden, und ebenso wenig ist zu be¬ fürchten, daß die Arbeit dadurch in die Heimbetriebe gedrängt werden würde. Daß Werkstattarbeiterinnen Arbeit mit nach Hause nehmen, geschieht eben auch jetzt schon in demselben Umfange, wie es bei den Fabrikarbeite¬ rinnen üblich ist und leider die Zwecke des Gesetzes zum Teil vereitelt. Dennoch ist es erwünscht und billig, der Aufsichtsbehörde hier für alle Fülle die Berechtigung zum Einschreiten ebenso zu geben, wie man sie ihr bezüglich der Fabriken gegeben hat, und wie sie sich zum Beispiel in der Frage der sonn- und festtäglichen Werkstattarbeit bewährt hat. Dieser Mißbrauch ist nümlich in den großstädtischen Werkstätten, wie es scheint, fast vollständig beseitigt. Die Verhältnisse in den ländlichen hausgewerblichen Betrieben sind leider zu wenig aufgeklärt worden, um hier zwischen Werkstatt- und Heimbetrieben einen rechten Unterschied machen zu können, aber nach den Vernehmungen scheint doch auch hier die neben der Feldarbeit ausgeübte Kvnfektionsarbeit an sich in der Regel nicht von übermäßiger Dauer zu sein. Genauere Ermittelungen sind hier sehr SU wünschen. Schlimmer als mit der Nrbeitsdcmer steht es mit den Arbeitspausen in den Werkstätten. Hier ringen die handwerksmäßigen Betriebe mit den modernen Arbeitsstuben um die Palme des Mißverhaltens. Freilich scheinen auch dabei die süddeutschen Schneidergesellen fast noch weniger imstande zu sein, sich ihrer Haut zu wehren, als die Berliner Nähmädchen. Abhilfe thut dringend not, um so mehr, als das Nähen, namentlich die Arbeit an der Nähmaschine mit Fußbetrieb, der noch überall vorherrscht, für den weiblichen Körper in hohem Grade schädlich ist, wenn nicht genügende Pausen eingehalten werden. Sowohl sür die Fabriken wie für die Werkstätten sind auch den erwachsenen Arbeite¬ rinnen, außer der Mittagspause. Vor- und Nachmittagspaufcn zu sichern. Es genügt also nicht die Ausdehnung der Bestimmungen der W 135 bis 139» der Gewerbeordnung auf die Werkstätten, sondern auf Grund des Z 139» Ur. 1 muß die Vorschrift über die Pausen ergänzt werden. Der Gesetzgebungsapparat würde nur für die Mittagspause der Schneidergesellen in Bewegung gesetzt werden müssen. Dazu kann man ja nochmals „Erhebungen" für nötig halten; sie würden voraussichtlich noch deutlicher erkennen lassen, daß die Zustände im Handwerk nicht anders liegen als in der Konfektion. Jedenfalls würde sich das herausstellen bezüglich der Beschaffenheit der Werkstätten und Arbeitsräume selbst. Nach den bis jetzt vorliegenden Aus¬ künsten ist in Bezug auf die Raumverhältnisse, die Licht- und Luftzuführung, die Verwendung der Arbeitsräume zum Wohnen, Schlafen, Kochen usw. ein Unterschied zwischen den sogenannten Zwischenmeisterbetrieben in der Konfektion Grenzboten IV 1896 S7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/457>, abgerufen am 08.01.2025.