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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der heutige Dffizierersatz

bis sechs Wochen lang allein durch einen ältern Unteroffizier ausgebildet, dann
in die Truppe eingestellt und zu jedem Dienst mit herangezogen. In der Regel
wird er nach drei Monaten zum Gefreiten, nach fünf Monaten zum Unter¬
offizier befördert, um auch den Dienst des Korporalschaftsführers kennen zu
lernen und sich in die Rolle des Vorgesetzten etwas einzuleben. Wenn seine
dienstlichen Leistungen befriedigen, wird er dann bei Beginn des siebenten
Monats auf die Kriegsschule geschickt; dort wird er in einem Kursus von zehn
Monaten in die Elemente der Kriegswissenschaften eingeführt, und nachdem er
das keineswegs schwierige Schlußexamen bestanden hat, kehrt er zu seinem
Regiment zurück und erhält, wenn nicht bei der Wahl oder sonstwie besondre
Hindernisse eintreten, ein bis zwei Monate später die Epauletten.

Man wird finden, daß im Verhältnis zu der Stellung, die der Offizier
im Staate einnimmt, die Zeit der Vorbereitung etwas kurz bemessen ist, und
sie erscheint es noch mehr, wenn man erwägt, wie zahlreich und vielfach die
Anforderungen sind, die auch an den jüngsten Offizier heutzutage gestellt werden.
Um diesem allen in der kurzen Zeit vollkommen gerecht zu werden, müßten
die Aspiranten durchweg ganz besonders begabte und gut vorgebildete junge
Leute sein, aber das ist eben leider nicht der Fall. Der Dienst in der Truppe
läßt sich nur praktisch erlernen, und die sechs Monate reichen dazu schon des¬
halb nicht aus, weil die Ausbildungszeit ein Jahr umfaßt, und nur der als
völlig ausgebildet gelten kann, der den ganzen Kreislauf eines Dieustjcihres
mit durchmessen hat. In der erwähnten Schrift werden neun Monate als
geringstes Maß gefordert und von dem vollen Jahre mit Rücksicht auf das
Lebensalter Abstand genommen. Das ist aber doch eine halbe Maßregel. Wenn
man sie befolgte, so würde ein Teil der Fähnriche das Manöver nicht kennen
lernen, ein andrer die nicht minder wichtige Winterperiode entbehren müssen;
das eine ersparte Vierteljahr würde auch keinen besondern Vorteil bringen,
ganz abgesehen davon, daß, wenn alle mit demselben Maße gemessen werden,
für den Einzelnen von Schaden keine Rede mehr sein kann. Sechs Monate
als Gemeiner und sechs Monate als Unteroffizier müßte unbedingt jeder in
der Truppe zubringen, um alle Dienstverrichtungen mit der erforderlichen
Gründlichkeit kennen zu lernen, und die einzige Vergünstigung, die man dem
Avantageur, um Zeit zu sparen, zugestehen dürfte, müßte darin bestehen, daß
man ihm erlaubte, zu jedem beliebigen Termin einzutreten. An welcher Stelle
er beginnt, ist unwesentlich; aber geschenkt werden sollte ihm von dem ganzen
Dienstjahre nicht ein einziger Tag.

Nun zu der Kriegsschulzeit. Hier kann man den Anschauungen und For¬
derungen des Verfassers nur beipflichten. Die militärischen Fächer werden,
soweit sie wissenschaftliche sind, ausreichend gründlich gelehrt; der Unterricht
giebt in allem eine genügende Grundlage, auf der der Offizier später selbst
weitcrbauen kann. Die Frage, ob es vorteilhaft sei, auf der Kriegsschule schon


Der heutige Dffizierersatz

bis sechs Wochen lang allein durch einen ältern Unteroffizier ausgebildet, dann
in die Truppe eingestellt und zu jedem Dienst mit herangezogen. In der Regel
wird er nach drei Monaten zum Gefreiten, nach fünf Monaten zum Unter¬
offizier befördert, um auch den Dienst des Korporalschaftsführers kennen zu
lernen und sich in die Rolle des Vorgesetzten etwas einzuleben. Wenn seine
dienstlichen Leistungen befriedigen, wird er dann bei Beginn des siebenten
Monats auf die Kriegsschule geschickt; dort wird er in einem Kursus von zehn
Monaten in die Elemente der Kriegswissenschaften eingeführt, und nachdem er
das keineswegs schwierige Schlußexamen bestanden hat, kehrt er zu seinem
Regiment zurück und erhält, wenn nicht bei der Wahl oder sonstwie besondre
Hindernisse eintreten, ein bis zwei Monate später die Epauletten.

Man wird finden, daß im Verhältnis zu der Stellung, die der Offizier
im Staate einnimmt, die Zeit der Vorbereitung etwas kurz bemessen ist, und
sie erscheint es noch mehr, wenn man erwägt, wie zahlreich und vielfach die
Anforderungen sind, die auch an den jüngsten Offizier heutzutage gestellt werden.
Um diesem allen in der kurzen Zeit vollkommen gerecht zu werden, müßten
die Aspiranten durchweg ganz besonders begabte und gut vorgebildete junge
Leute sein, aber das ist eben leider nicht der Fall. Der Dienst in der Truppe
läßt sich nur praktisch erlernen, und die sechs Monate reichen dazu schon des¬
halb nicht aus, weil die Ausbildungszeit ein Jahr umfaßt, und nur der als
völlig ausgebildet gelten kann, der den ganzen Kreislauf eines Dieustjcihres
mit durchmessen hat. In der erwähnten Schrift werden neun Monate als
geringstes Maß gefordert und von dem vollen Jahre mit Rücksicht auf das
Lebensalter Abstand genommen. Das ist aber doch eine halbe Maßregel. Wenn
man sie befolgte, so würde ein Teil der Fähnriche das Manöver nicht kennen
lernen, ein andrer die nicht minder wichtige Winterperiode entbehren müssen;
das eine ersparte Vierteljahr würde auch keinen besondern Vorteil bringen,
ganz abgesehen davon, daß, wenn alle mit demselben Maße gemessen werden,
für den Einzelnen von Schaden keine Rede mehr sein kann. Sechs Monate
als Gemeiner und sechs Monate als Unteroffizier müßte unbedingt jeder in
der Truppe zubringen, um alle Dienstverrichtungen mit der erforderlichen
Gründlichkeit kennen zu lernen, und die einzige Vergünstigung, die man dem
Avantageur, um Zeit zu sparen, zugestehen dürfte, müßte darin bestehen, daß
man ihm erlaubte, zu jedem beliebigen Termin einzutreten. An welcher Stelle
er beginnt, ist unwesentlich; aber geschenkt werden sollte ihm von dem ganzen
Dienstjahre nicht ein einziger Tag.

Nun zu der Kriegsschulzeit. Hier kann man den Anschauungen und For¬
derungen des Verfassers nur beipflichten. Die militärischen Fächer werden,
soweit sie wissenschaftliche sind, ausreichend gründlich gelehrt; der Unterricht
giebt in allem eine genügende Grundlage, auf der der Offizier später selbst
weitcrbauen kann. Die Frage, ob es vorteilhaft sei, auf der Kriegsschule schon


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[0452] Der heutige Dffizierersatz bis sechs Wochen lang allein durch einen ältern Unteroffizier ausgebildet, dann in die Truppe eingestellt und zu jedem Dienst mit herangezogen. In der Regel wird er nach drei Monaten zum Gefreiten, nach fünf Monaten zum Unter¬ offizier befördert, um auch den Dienst des Korporalschaftsführers kennen zu lernen und sich in die Rolle des Vorgesetzten etwas einzuleben. Wenn seine dienstlichen Leistungen befriedigen, wird er dann bei Beginn des siebenten Monats auf die Kriegsschule geschickt; dort wird er in einem Kursus von zehn Monaten in die Elemente der Kriegswissenschaften eingeführt, und nachdem er das keineswegs schwierige Schlußexamen bestanden hat, kehrt er zu seinem Regiment zurück und erhält, wenn nicht bei der Wahl oder sonstwie besondre Hindernisse eintreten, ein bis zwei Monate später die Epauletten. Man wird finden, daß im Verhältnis zu der Stellung, die der Offizier im Staate einnimmt, die Zeit der Vorbereitung etwas kurz bemessen ist, und sie erscheint es noch mehr, wenn man erwägt, wie zahlreich und vielfach die Anforderungen sind, die auch an den jüngsten Offizier heutzutage gestellt werden. Um diesem allen in der kurzen Zeit vollkommen gerecht zu werden, müßten die Aspiranten durchweg ganz besonders begabte und gut vorgebildete junge Leute sein, aber das ist eben leider nicht der Fall. Der Dienst in der Truppe läßt sich nur praktisch erlernen, und die sechs Monate reichen dazu schon des¬ halb nicht aus, weil die Ausbildungszeit ein Jahr umfaßt, und nur der als völlig ausgebildet gelten kann, der den ganzen Kreislauf eines Dieustjcihres mit durchmessen hat. In der erwähnten Schrift werden neun Monate als geringstes Maß gefordert und von dem vollen Jahre mit Rücksicht auf das Lebensalter Abstand genommen. Das ist aber doch eine halbe Maßregel. Wenn man sie befolgte, so würde ein Teil der Fähnriche das Manöver nicht kennen lernen, ein andrer die nicht minder wichtige Winterperiode entbehren müssen; das eine ersparte Vierteljahr würde auch keinen besondern Vorteil bringen, ganz abgesehen davon, daß, wenn alle mit demselben Maße gemessen werden, für den Einzelnen von Schaden keine Rede mehr sein kann. Sechs Monate als Gemeiner und sechs Monate als Unteroffizier müßte unbedingt jeder in der Truppe zubringen, um alle Dienstverrichtungen mit der erforderlichen Gründlichkeit kennen zu lernen, und die einzige Vergünstigung, die man dem Avantageur, um Zeit zu sparen, zugestehen dürfte, müßte darin bestehen, daß man ihm erlaubte, zu jedem beliebigen Termin einzutreten. An welcher Stelle er beginnt, ist unwesentlich; aber geschenkt werden sollte ihm von dem ganzen Dienstjahre nicht ein einziger Tag. Nun zu der Kriegsschulzeit. Hier kann man den Anschauungen und For¬ derungen des Verfassers nur beipflichten. Die militärischen Fächer werden, soweit sie wissenschaftliche sind, ausreichend gründlich gelehrt; der Unterricht giebt in allem eine genügende Grundlage, auf der der Offizier später selbst weitcrbauen kann. Die Frage, ob es vorteilhaft sei, auf der Kriegsschule schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/452>, abgerufen am 08.01.2025.