Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der heutige Vffizierersatz mit dem Studium der Kriegsgeschichte zu beginnen, scheint mir nicht ohne Diese Stofffülle in zehn Monaten zu bewältigen, wird aber nicht möglich Der heutige Vffizierersatz mit dem Studium der Kriegsgeschichte zu beginnen, scheint mir nicht ohne Diese Stofffülle in zehn Monaten zu bewältigen, wird aber nicht möglich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224037"/> <fw type="header" place="top"> Der heutige Vffizierersatz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1364" prev="#ID_1363"> mit dem Studium der Kriegsgeschichte zu beginnen, scheint mir nicht ohne<lb/> weiteres bejaht werden zu können. Daß es bei einer sehr sachgemäßen Lehr¬<lb/> methode das Beurteilungsvermögen des Schülers schürft, soll nicht geleugnet<lb/> werden, aber man darf doch auch nicht verkennen, daß es mit rechtem Nutzen<lb/> erst betrieben werden kann, nachdem der Anfänger die Elemente der Kriegs¬<lb/> kunst hat beherrschen lernen. Die Einführung des französischen Sprachunter¬<lb/> richts erscheint ebenso dringend wünschenswert, wie die eifrige Pflege des<lb/> Unterrichts in der Dienstkenntnis. Der Fähnrich soll nicht nur in dem Dienst<lb/> der eignen Waffe praktisch wie theoretisch weitergebildet werden, sondern auch<lb/> die andern Waffen kennen lernen. Wie der Artillerist imstande sein muß, im<lb/> Schützengefecht eine Gruppe oder einen Zug zu führen, so muß auch der Jn-<lb/> santeriefähnrich am Geschütz und im Gebrauch der Lanze ausgebildet sein; von<lb/> dem Offizier ist eine gewisse Vielseitigkeit in dieser Hinsicht zu verlangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1365" next="#ID_1366"> Diese Stofffülle in zehn Monaten zu bewältigen, wird aber nicht möglich<lb/> sein. Wenn man die Zeit auf zwölf oder noch besser auf fünfzehn Monate<lb/> verlängerte, so käme das der Ausbildung entschieden zu gute, und es ließen sich<lb/> die jetzt sehr mäßigen Ansprüche im Examen wesentlich steigern. Zugleich würde<lb/> dadurch dem Grundfehler aller militärischen Ausbildungsmethode, immer nur<lb/> auf einen ganz bestimmten Zweck — sei es nun eine „Besichtigung" oder ein<lb/> Examen — hinzuarbeiten, der Boden entzogen, und es bliebe Zeit, die jungen<lb/> Leute in ein Gebiet einzuführen, das dem Offizier heutzutage unbedingt vertraut<lb/> sein muß, wenn er seinen Platz ausfüllen will, in das Gebiet der praktischen<lb/> Sozialpolitik. Es erscheint wunderbar, daß der sonst so ganz in modernen An¬<lb/> schauungen lebende Verfasser diese Forderung nicht in sein Programm mit<lb/> aufgenommen hat. Der Offizier darf sich heute nicht damit begnügen, seinen<lb/> Leuten das Rechtsum und Linksum und die einfachsten Begriffe militärischer<lb/> Unterordnung beizubringen; die höchste Aufgabe seines Berufs muß er darin<lb/> erkennen, dem Bauernjungen wie dem Fabrikarbeiter den Blick über das All¬<lb/> tägliche hinaus zu heben und Pflicht- und Ehrgefühl in ihm zu erwecken.<lb/> Liebe zum Vaterlande. Vertrauen auf seine Führer muß er ihm einzuflößen<lb/> wissen und so die durch gewissenlose Agitation irregeleitete Jugend unsers<lb/> Volkes auf die rechte Bahn zurückzuführen suchen. Leicht ist diese Arbeit<lb/> "icht; sie erfordert viel Liebe und Verständnis, denn bei ungeschickter Be¬<lb/> handlung kann gleich im Anfang jede Aussicht auf Erfolg verloren gehen.<lb/> Daher ist es unbedingt notwendig, den jungen Offizier, dein ja fast aus¬<lb/> schließlich der Unterricht und die Belehrung des Soldaten obliegt, auf dieses<lb/> schwierige Amt vorzubereiten. Man darf nicht annehmen, daß mit dem<lb/> Amte schou der Verstand kommen werde; in den meisten Fällen wird eine<lb/> erfolgreiche Thätigkeit nur durch eine gründliche Schulung zu erreichen sein.<lb/> Diese aber muß schon an dem Fähnrich beginnen, und der Ort,, wo er sie<lb/> erhalten kann, ist nur die Kriegsschule. Wenn hier in allgemeiner, leicht faß-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
Der heutige Vffizierersatz
mit dem Studium der Kriegsgeschichte zu beginnen, scheint mir nicht ohne
weiteres bejaht werden zu können. Daß es bei einer sehr sachgemäßen Lehr¬
methode das Beurteilungsvermögen des Schülers schürft, soll nicht geleugnet
werden, aber man darf doch auch nicht verkennen, daß es mit rechtem Nutzen
erst betrieben werden kann, nachdem der Anfänger die Elemente der Kriegs¬
kunst hat beherrschen lernen. Die Einführung des französischen Sprachunter¬
richts erscheint ebenso dringend wünschenswert, wie die eifrige Pflege des
Unterrichts in der Dienstkenntnis. Der Fähnrich soll nicht nur in dem Dienst
der eignen Waffe praktisch wie theoretisch weitergebildet werden, sondern auch
die andern Waffen kennen lernen. Wie der Artillerist imstande sein muß, im
Schützengefecht eine Gruppe oder einen Zug zu führen, so muß auch der Jn-
santeriefähnrich am Geschütz und im Gebrauch der Lanze ausgebildet sein; von
dem Offizier ist eine gewisse Vielseitigkeit in dieser Hinsicht zu verlangen.
Diese Stofffülle in zehn Monaten zu bewältigen, wird aber nicht möglich
sein. Wenn man die Zeit auf zwölf oder noch besser auf fünfzehn Monate
verlängerte, so käme das der Ausbildung entschieden zu gute, und es ließen sich
die jetzt sehr mäßigen Ansprüche im Examen wesentlich steigern. Zugleich würde
dadurch dem Grundfehler aller militärischen Ausbildungsmethode, immer nur
auf einen ganz bestimmten Zweck — sei es nun eine „Besichtigung" oder ein
Examen — hinzuarbeiten, der Boden entzogen, und es bliebe Zeit, die jungen
Leute in ein Gebiet einzuführen, das dem Offizier heutzutage unbedingt vertraut
sein muß, wenn er seinen Platz ausfüllen will, in das Gebiet der praktischen
Sozialpolitik. Es erscheint wunderbar, daß der sonst so ganz in modernen An¬
schauungen lebende Verfasser diese Forderung nicht in sein Programm mit
aufgenommen hat. Der Offizier darf sich heute nicht damit begnügen, seinen
Leuten das Rechtsum und Linksum und die einfachsten Begriffe militärischer
Unterordnung beizubringen; die höchste Aufgabe seines Berufs muß er darin
erkennen, dem Bauernjungen wie dem Fabrikarbeiter den Blick über das All¬
tägliche hinaus zu heben und Pflicht- und Ehrgefühl in ihm zu erwecken.
Liebe zum Vaterlande. Vertrauen auf seine Führer muß er ihm einzuflößen
wissen und so die durch gewissenlose Agitation irregeleitete Jugend unsers
Volkes auf die rechte Bahn zurückzuführen suchen. Leicht ist diese Arbeit
"icht; sie erfordert viel Liebe und Verständnis, denn bei ungeschickter Be¬
handlung kann gleich im Anfang jede Aussicht auf Erfolg verloren gehen.
Daher ist es unbedingt notwendig, den jungen Offizier, dein ja fast aus¬
schließlich der Unterricht und die Belehrung des Soldaten obliegt, auf dieses
schwierige Amt vorzubereiten. Man darf nicht annehmen, daß mit dem
Amte schou der Verstand kommen werde; in den meisten Fällen wird eine
erfolgreiche Thätigkeit nur durch eine gründliche Schulung zu erreichen sein.
Diese aber muß schon an dem Fähnrich beginnen, und der Ort,, wo er sie
erhalten kann, ist nur die Kriegsschule. Wenn hier in allgemeiner, leicht faß-
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