Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Reform unsers Ieicheiuuiterrichts nicht so individualisiren, wie es die Verschiedenheit der Begabung und die Natur Ebenso verkehrt wie die Übertreibung des geometrischen Unterrichtsstoffes Gewiß sollen die Kinder auch diese formalen Prinzipien kennen lernen. Auch hier lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, wie ich aus der Schrift Die Reform unsers Ieicheiuuiterrichts nicht so individualisiren, wie es die Verschiedenheit der Begabung und die Natur Ebenso verkehrt wie die Übertreibung des geometrischen Unterrichtsstoffes Gewiß sollen die Kinder auch diese formalen Prinzipien kennen lernen. Auch hier lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, wie ich aus der Schrift <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224015"/> <fw type="header" place="top"> Die Reform unsers Ieicheiuuiterrichts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1289" prev="#ID_1288"> nicht so individualisiren, wie es die Verschiedenheit der Begabung und die Natur<lb/> des Lehrstoffes (z. B. Körperzeichnen, Perspektive usw.) erfordern würde. Aber<lb/> daraus nun schließen zu wollen, das; der möglichst gleichmäßig durchgeführte<lb/> Masseuunterricht das anzustrebende Ideal sei, das ist doch wohl eine subalterne<lb/> Auffassung pädagogischer Grundsätze. Das Ideal ergiebt sich aus den im<lb/> Wesen der Sache liegenden Bedingungen, nicht aus den äußern Mitteln, die<lb/> zufällig für seine Verwirklichung zur Verfügung stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Ebenso verkehrt wie die Übertreibung des geometrischen Unterrichtsstoffes<lb/> auf der ersten Stufe ist die Übertreibung des Flächenornaments auf der zweiten.<lb/> Nachdem nämlich das Kind jahrelang statt Zeichnen Geometrieftunde. wenn<lb/> auch in der überflüssigen Form des Freihandzeichnens, gehabt hat, wird es<lb/> wiederum jahrelang mit Ornamenten gefüttert. Ist ihm die Liebe zur Sache<lb/> nicht schon genügend durch Dreiecke, Vierecke und Sterne ausgetrieben worden,<lb/> so wird sie ihm jetzt durch Mäander, Rosetten, Palmctten und Bandverschlin-<lb/> gungen ausgetrieben. Es ist eine Thatsache, daß Kinder an Ornamenten<lb/> keine oder nur eine sehr mäßige Freude haben. Das liegt einfach daran,<lb/> daß ihnen die feinere Illusion des Ornaments, die jn nicht auf der einfachen<lb/> Naturnachahmung beruht, dem Wesen der Sache nach verborgen bleiben muß.<lb/> Sie entwickelt sich erst in einem höheren Alter und findet dann am besten ihre<lb/> Ausbildung im Zeichnen plastischer Ornamente, die jeder verständige Pädagog<lb/> als ein wichtiges Unterrichtsmittel zu schätzen weiß. Die Übersättigung mit<lb/> Flachornamenten aller verschiedner Stilarten, die gegenwärtig in der Quinta,<lb/> Quarta und Sekunda die Regel bildet, ist durchaus vom Übel. Man muß diese<lb/> unglücklichen Knaben nur beobachtet haben, wie sie sich mit diesen für sie voll¬<lb/> ständig nichtssagenden Dingen abmühen, um sich zu überzeugen, was man mit<lb/> einer solchen Übertreibung erreicht. Man giebt den Kindern vor allem eine<lb/> vollkommen falsche Idee von dem Wesen der Kunst, indem man ihnen die<lb/> Meinung beibringt, Kunst sei ein rein formales Kombiniren von Linien und<lb/> Linienverschlingungen nach Gesetzen der Symmetrie und Proportion.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> Gewiß sollen die Kinder auch diese formalen Prinzipien kennen lernen.<lb/> Das können sie aber viel bester am natürlichen Blatt, an Blüten und symmetrisch<lb/> gewachsenen Zweigen, an denen sie überdies ein viel gefühlsmüßigeres<lb/> Interesse nehmen. Damit lernen sie dann auch die Grundlage jedes vegetabi¬<lb/> lischen Ornaments kennen, nämlich die Natur. Und es liegt wohl aus der<lb/> Hand, daß es wichtiger ist, dem Kinde erst die Natur und dann die ornamentalen<lb/> Schöpfungen vergangner Kunstepochen vorzuführen, als umgekehrt. Das<lb/> Ornament soll aus der Natur entwickelt, nicht die Natur durch die Brille des<lb/> Ornaments gesehen werden. Sonst kommen wir niemals über die hergebrachten<lb/> Stilformen hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Auch hier lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, wie ich aus der Schrift<lb/> eines Metzer Zeichenlehrers entnehme, daß sich eine Entwicklung des Ornament-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0431]
Die Reform unsers Ieicheiuuiterrichts
nicht so individualisiren, wie es die Verschiedenheit der Begabung und die Natur
des Lehrstoffes (z. B. Körperzeichnen, Perspektive usw.) erfordern würde. Aber
daraus nun schließen zu wollen, das; der möglichst gleichmäßig durchgeführte
Masseuunterricht das anzustrebende Ideal sei, das ist doch wohl eine subalterne
Auffassung pädagogischer Grundsätze. Das Ideal ergiebt sich aus den im
Wesen der Sache liegenden Bedingungen, nicht aus den äußern Mitteln, die
zufällig für seine Verwirklichung zur Verfügung stehen.
Ebenso verkehrt wie die Übertreibung des geometrischen Unterrichtsstoffes
auf der ersten Stufe ist die Übertreibung des Flächenornaments auf der zweiten.
Nachdem nämlich das Kind jahrelang statt Zeichnen Geometrieftunde. wenn
auch in der überflüssigen Form des Freihandzeichnens, gehabt hat, wird es
wiederum jahrelang mit Ornamenten gefüttert. Ist ihm die Liebe zur Sache
nicht schon genügend durch Dreiecke, Vierecke und Sterne ausgetrieben worden,
so wird sie ihm jetzt durch Mäander, Rosetten, Palmctten und Bandverschlin-
gungen ausgetrieben. Es ist eine Thatsache, daß Kinder an Ornamenten
keine oder nur eine sehr mäßige Freude haben. Das liegt einfach daran,
daß ihnen die feinere Illusion des Ornaments, die jn nicht auf der einfachen
Naturnachahmung beruht, dem Wesen der Sache nach verborgen bleiben muß.
Sie entwickelt sich erst in einem höheren Alter und findet dann am besten ihre
Ausbildung im Zeichnen plastischer Ornamente, die jeder verständige Pädagog
als ein wichtiges Unterrichtsmittel zu schätzen weiß. Die Übersättigung mit
Flachornamenten aller verschiedner Stilarten, die gegenwärtig in der Quinta,
Quarta und Sekunda die Regel bildet, ist durchaus vom Übel. Man muß diese
unglücklichen Knaben nur beobachtet haben, wie sie sich mit diesen für sie voll¬
ständig nichtssagenden Dingen abmühen, um sich zu überzeugen, was man mit
einer solchen Übertreibung erreicht. Man giebt den Kindern vor allem eine
vollkommen falsche Idee von dem Wesen der Kunst, indem man ihnen die
Meinung beibringt, Kunst sei ein rein formales Kombiniren von Linien und
Linienverschlingungen nach Gesetzen der Symmetrie und Proportion.
Gewiß sollen die Kinder auch diese formalen Prinzipien kennen lernen.
Das können sie aber viel bester am natürlichen Blatt, an Blüten und symmetrisch
gewachsenen Zweigen, an denen sie überdies ein viel gefühlsmüßigeres
Interesse nehmen. Damit lernen sie dann auch die Grundlage jedes vegetabi¬
lischen Ornaments kennen, nämlich die Natur. Und es liegt wohl aus der
Hand, daß es wichtiger ist, dem Kinde erst die Natur und dann die ornamentalen
Schöpfungen vergangner Kunstepochen vorzuführen, als umgekehrt. Das
Ornament soll aus der Natur entwickelt, nicht die Natur durch die Brille des
Ornaments gesehen werden. Sonst kommen wir niemals über die hergebrachten
Stilformen hinaus.
Auch hier lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, wie ich aus der Schrift
eines Metzer Zeichenlehrers entnehme, daß sich eine Entwicklung des Ornament-
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