Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Reform unsers Ieicheiumterrichts dank Herrn Stuhlmann und Fliuzer die schlechten bei weitem überwiegen. Der eigentliche innerste Grund dieser ihrer Überzeugung ist auch hier Die Zeichenlehrer sagen nun freilich: Wir können ans pädagogischen Ob man ein Viereck als geometrische Figur oder als Fenster oder Tisch Die Reform unsers Ieicheiumterrichts dank Herrn Stuhlmann und Fliuzer die schlechten bei weitem überwiegen. Der eigentliche innerste Grund dieser ihrer Überzeugung ist auch hier Die Zeichenlehrer sagen nun freilich: Wir können ans pädagogischen Ob man ein Viereck als geometrische Figur oder als Fenster oder Tisch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224013"/> <fw type="header" place="top"> Die Reform unsers Ieicheiumterrichts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1282" prev="#ID_1281"> dank Herrn Stuhlmann und Fliuzer die schlechten bei weitem überwiegen.<lb/> Mögen die Begründer dieser Methode selbst noch so gute Zeichenlehrer sein<lb/> — ich habe darüber kein Urteil —, sie haben durch ihre pedantischen, dem<lb/> Wesen der Kunst widersprechenden Zeichenschulen alle jene subalternen Talente<lb/> in den Sumpf der Methodik und Pedanterie gelockt, in dem der Karren<lb/> unsers Zeichenunterrichts jetzt festgefahren ist. Diese Methodiker scheinen zu<lb/> glauben, man könne etwas Tüchtiges und Solides nur lernen, wenn man es<lb/> mit einem gewissen Widerwillen lernt. Und wenn man ihnen sagt: Zeichnen<lb/> ist Kunst, und Kunst ist Spiel, genußreiches Spiel, so halten sie das wo¬<lb/> möglich für eine banausische oder materialistische Auffassung, da sie natürlich<lb/> nicht wissen, daß auch ein gewisser Kant und ein gewisser Schiller schon der¬<lb/> selben Ansicht waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1283"> Der eigentliche innerste Grund dieser ihrer Überzeugung ist auch hier<lb/> wieder die Angst, daß der Zeichenunterricht neben den übrige» Unterrichts¬<lb/> fächern vielleicht nicht für voll gerechnet werden könnte. Der Zeichenlehrer<lb/> will eben womöglich dem Lehrer der Sprachen und der Mathematik gleichbe¬<lb/> rechtigt sein, und so wird er denn nicht müde, zu versichern, daß Zeichnen<lb/> gar kein Fach des Könnens, kein „technisches Fach" sei, sondern vielmehr<lb/> ein Fach des Wissens, des Lernens, des angestrengten logischen Denkens.<lb/> Daß sie damit dem Zeichenunterricht selbst auf unsern schon genügend mit<lb/> Wissensstoff belasteten höhern Schulen den Boden abgraben, daß sie die<lb/> Hauptbedeutung des Zeichnens als einer gesunden Ergänzung der andern,<lb/> mehr theoretischen Fächer verkennen und verschleiern, das scheinen sie durch¬<lb/> aus nicht einsehen zu wollen. Wenigstens werfen sie mir vor, ich machte<lb/> das Zeichnen zur bloßen Gefühlssache und wollte von der theoretischen<lb/> Grundlage der Kunst nichts wissen, während es sich hier doch gar nicht um<lb/> den Fachunterricht wirklicher Künstler, sondern um Ausbildung der ästhetischen<lb/> Genußfähigkeit bei Kindern handelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1284"> Die Zeichenlehrer sagen nun freilich: Wir können ans pädagogischen<lb/> Gründen das geometrische Freihandzeichnen nicht entbehren; es übt das Augen¬<lb/> maß und festigt die Hand, und das ist nötig, ehe man das Kind an die Be¬<lb/> wältigung schwierigerer Aufgaben heranläßt. Das ist vollkommen richtig, und<lb/> ich habe diesem Einwand auch sehr wohl Rechnung getragen, indem ich statt<lb/> des geometrischen Zeichnens einen andern Lehrstoff, nämlich die „schematischen<lb/> Lebensformen" vorgeschlagen habe. Ich verstehe darunter schematische, d. h.<lb/> Möglichst gerad- und krummlinig stilisirte Umrißzeichnungeu nach Gegenständen<lb/> des gewöhnlichen Lebens, wie sie sich jeder einigermaßen pädagogisch geschulte<lb/> Lehrer nach Belieben selbst entwickeln kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1285" next="#ID_1286"> Ob man ein Viereck als geometrische Figur oder als Fenster oder Tisch<lb/> schnell läßt, ist für das formale Verständnis und die technische Übung der<lb/> Kinder vollkommen gleichgiltig. In beiden Füllen handelt es sich um gerade</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0429]
Die Reform unsers Ieicheiumterrichts
dank Herrn Stuhlmann und Fliuzer die schlechten bei weitem überwiegen.
Mögen die Begründer dieser Methode selbst noch so gute Zeichenlehrer sein
— ich habe darüber kein Urteil —, sie haben durch ihre pedantischen, dem
Wesen der Kunst widersprechenden Zeichenschulen alle jene subalternen Talente
in den Sumpf der Methodik und Pedanterie gelockt, in dem der Karren
unsers Zeichenunterrichts jetzt festgefahren ist. Diese Methodiker scheinen zu
glauben, man könne etwas Tüchtiges und Solides nur lernen, wenn man es
mit einem gewissen Widerwillen lernt. Und wenn man ihnen sagt: Zeichnen
ist Kunst, und Kunst ist Spiel, genußreiches Spiel, so halten sie das wo¬
möglich für eine banausische oder materialistische Auffassung, da sie natürlich
nicht wissen, daß auch ein gewisser Kant und ein gewisser Schiller schon der¬
selben Ansicht waren.
Der eigentliche innerste Grund dieser ihrer Überzeugung ist auch hier
wieder die Angst, daß der Zeichenunterricht neben den übrige» Unterrichts¬
fächern vielleicht nicht für voll gerechnet werden könnte. Der Zeichenlehrer
will eben womöglich dem Lehrer der Sprachen und der Mathematik gleichbe¬
rechtigt sein, und so wird er denn nicht müde, zu versichern, daß Zeichnen
gar kein Fach des Könnens, kein „technisches Fach" sei, sondern vielmehr
ein Fach des Wissens, des Lernens, des angestrengten logischen Denkens.
Daß sie damit dem Zeichenunterricht selbst auf unsern schon genügend mit
Wissensstoff belasteten höhern Schulen den Boden abgraben, daß sie die
Hauptbedeutung des Zeichnens als einer gesunden Ergänzung der andern,
mehr theoretischen Fächer verkennen und verschleiern, das scheinen sie durch¬
aus nicht einsehen zu wollen. Wenigstens werfen sie mir vor, ich machte
das Zeichnen zur bloßen Gefühlssache und wollte von der theoretischen
Grundlage der Kunst nichts wissen, während es sich hier doch gar nicht um
den Fachunterricht wirklicher Künstler, sondern um Ausbildung der ästhetischen
Genußfähigkeit bei Kindern handelt.
Die Zeichenlehrer sagen nun freilich: Wir können ans pädagogischen
Gründen das geometrische Freihandzeichnen nicht entbehren; es übt das Augen¬
maß und festigt die Hand, und das ist nötig, ehe man das Kind an die Be¬
wältigung schwierigerer Aufgaben heranläßt. Das ist vollkommen richtig, und
ich habe diesem Einwand auch sehr wohl Rechnung getragen, indem ich statt
des geometrischen Zeichnens einen andern Lehrstoff, nämlich die „schematischen
Lebensformen" vorgeschlagen habe. Ich verstehe darunter schematische, d. h.
Möglichst gerad- und krummlinig stilisirte Umrißzeichnungeu nach Gegenständen
des gewöhnlichen Lebens, wie sie sich jeder einigermaßen pädagogisch geschulte
Lehrer nach Belieben selbst entwickeln kann.
Ob man ein Viereck als geometrische Figur oder als Fenster oder Tisch
schnell läßt, ist für das formale Verständnis und die technische Übung der
Kinder vollkommen gleichgiltig. In beiden Füllen handelt es sich um gerade
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