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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

herrlichste, liebste Aufenthalt. In einem schönen Garten voll Grotten und Ge¬
büschen müßte es stehen." Daneben ziehts ihn zum Lehrhaften: die Bühne
soll seines Trachtens als ein Spiegel für das praktische Leben nur wahrhaft
nachahmenswürdige Handlungen durch die Darstellung empfehlen, und der Zug
zum Pathetischen, der ihn für den Heldenjüngling Körner in Flammen setzt,
leiht ihm schon damals etwas von der priesterlichen Würde und Weihe, die sich
stets ihres Dichterberufs bewußt ist und sich über alle Philister hoch er¬
haben fühlt.

Frühzeitig hatte Hamerlings geschäftige Phantasie mit der Liebe zu thun.
Ich sage absichtlich Phantasie, nicht Herz; denn auch seinen frühesten Liebes¬
regungen ist etwas seltsam Unnaives eigen, das blutwenig mit dem Gemüte,
desto mehr mit überhitzter Einbildungskraft zu thun hat. Schon als er kaum
die ersten Höschen trug, fing seine idealisirende Verhimmelung an, das Haar
seiner Abcfreundinnen Anastasia, Thekla und wie sie sonst noch heißen mögen,
zu vergolden und unerfüllbare poetische Forderungen an sie zu stellen. Diesem
Pedantischen Zuge in seinem Liebesleben blieb er bis an sein Ende treu.
Von dem herrlichen Geheimnis aller echten, großen Liebe, das da heißt: laß
den andern sein eignes Leben leben, hüte dich wohl, seine stille, heimliche, nach
eignen Gesetzen schaffende Entwicklung zu stören, bescheide dich und gieb es auf.
ihn Zug für Zug nach deinem Bilde umzuschaffen -- davon ist ihm Zeitlebens
gar nichts aufgegangen. Er mußte immer modeln, stutzen, bilden, erziehen,
als wäre er der liebe Herrgott, der einst die Menschen nach seinem Ebenbilde
schuf! Wußte er doch nicht, daß den Mann nur die völlig fremde, in sich
ungestörte Individualität des Weibes beglückt, daß alles sofort schal und leer
und tot wird, was nur noch ein Abilasch ist von den Gebilden der eignen
Brust! Auch zersetzte und zergrübelte er seine Gefühle viel zu sehr. Solch
völliger Mangel an selbstverständlicher Natur konnte unmöglich ein starkes
Weib fesseln. Er war eben ein richtiger Theorienmensch, der sich eher zehn¬
mal "So sollte, so müßte es sein!" zurief, als daß er sich ein einziges mal mit
einem herzhaften "So ist es!" zu begnügen gewußt hätte. Bezeichnend dafür ist,
daß ihm seine erste nennenswerte Liebe mitten zwischen den Entzückungen
religiöser Andacht kommt. War er so glücklich, das Mädchen zu sehen, so
betete er in flammendem Doppelgeftthle der Freude und des Dankes gegen Gott
immer einige Psalmen und Vaterunser, legte sich wohl auch einen Fasttag auf
oder übte sonst ein frommes Werk. Den Inhalt ihrer Geldtasche haben auch
andre glücklich Liebende im Überschwange ihres Herzens schon dem ersten besten
Bettler hingegeben, denn Mildthätigkeit und Liebe wachsen auf einem Holz,
und was ist dem Glück ein Zweiguldeustück! aber den Entschluß zu fassen,
"seine Liebe Gott aufzuopfern, zu beten, zu fasten, zu beichten und zu kom-
wuniziren, so lange, bis das Herz wieder stumm und leer und ruhig ist,"
dazu gehört ein so phantastischer Heiliger, wie es nur Hamerling war.


Der junge Hamerling

herrlichste, liebste Aufenthalt. In einem schönen Garten voll Grotten und Ge¬
büschen müßte es stehen." Daneben ziehts ihn zum Lehrhaften: die Bühne
soll seines Trachtens als ein Spiegel für das praktische Leben nur wahrhaft
nachahmenswürdige Handlungen durch die Darstellung empfehlen, und der Zug
zum Pathetischen, der ihn für den Heldenjüngling Körner in Flammen setzt,
leiht ihm schon damals etwas von der priesterlichen Würde und Weihe, die sich
stets ihres Dichterberufs bewußt ist und sich über alle Philister hoch er¬
haben fühlt.

Frühzeitig hatte Hamerlings geschäftige Phantasie mit der Liebe zu thun.
Ich sage absichtlich Phantasie, nicht Herz; denn auch seinen frühesten Liebes¬
regungen ist etwas seltsam Unnaives eigen, das blutwenig mit dem Gemüte,
desto mehr mit überhitzter Einbildungskraft zu thun hat. Schon als er kaum
die ersten Höschen trug, fing seine idealisirende Verhimmelung an, das Haar
seiner Abcfreundinnen Anastasia, Thekla und wie sie sonst noch heißen mögen,
zu vergolden und unerfüllbare poetische Forderungen an sie zu stellen. Diesem
Pedantischen Zuge in seinem Liebesleben blieb er bis an sein Ende treu.
Von dem herrlichen Geheimnis aller echten, großen Liebe, das da heißt: laß
den andern sein eignes Leben leben, hüte dich wohl, seine stille, heimliche, nach
eignen Gesetzen schaffende Entwicklung zu stören, bescheide dich und gieb es auf.
ihn Zug für Zug nach deinem Bilde umzuschaffen — davon ist ihm Zeitlebens
gar nichts aufgegangen. Er mußte immer modeln, stutzen, bilden, erziehen,
als wäre er der liebe Herrgott, der einst die Menschen nach seinem Ebenbilde
schuf! Wußte er doch nicht, daß den Mann nur die völlig fremde, in sich
ungestörte Individualität des Weibes beglückt, daß alles sofort schal und leer
und tot wird, was nur noch ein Abilasch ist von den Gebilden der eignen
Brust! Auch zersetzte und zergrübelte er seine Gefühle viel zu sehr. Solch
völliger Mangel an selbstverständlicher Natur konnte unmöglich ein starkes
Weib fesseln. Er war eben ein richtiger Theorienmensch, der sich eher zehn¬
mal „So sollte, so müßte es sein!" zurief, als daß er sich ein einziges mal mit
einem herzhaften „So ist es!" zu begnügen gewußt hätte. Bezeichnend dafür ist,
daß ihm seine erste nennenswerte Liebe mitten zwischen den Entzückungen
religiöser Andacht kommt. War er so glücklich, das Mädchen zu sehen, so
betete er in flammendem Doppelgeftthle der Freude und des Dankes gegen Gott
immer einige Psalmen und Vaterunser, legte sich wohl auch einen Fasttag auf
oder übte sonst ein frommes Werk. Den Inhalt ihrer Geldtasche haben auch
andre glücklich Liebende im Überschwange ihres Herzens schon dem ersten besten
Bettler hingegeben, denn Mildthätigkeit und Liebe wachsen auf einem Holz,
und was ist dem Glück ein Zweiguldeustück! aber den Entschluß zu fassen,
»seine Liebe Gott aufzuopfern, zu beten, zu fasten, zu beichten und zu kom-
wuniziren, so lange, bis das Herz wieder stumm und leer und ruhig ist,"
dazu gehört ein so phantastischer Heiliger, wie es nur Hamerling war.


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[0419] Der junge Hamerling herrlichste, liebste Aufenthalt. In einem schönen Garten voll Grotten und Ge¬ büschen müßte es stehen." Daneben ziehts ihn zum Lehrhaften: die Bühne soll seines Trachtens als ein Spiegel für das praktische Leben nur wahrhaft nachahmenswürdige Handlungen durch die Darstellung empfehlen, und der Zug zum Pathetischen, der ihn für den Heldenjüngling Körner in Flammen setzt, leiht ihm schon damals etwas von der priesterlichen Würde und Weihe, die sich stets ihres Dichterberufs bewußt ist und sich über alle Philister hoch er¬ haben fühlt. Frühzeitig hatte Hamerlings geschäftige Phantasie mit der Liebe zu thun. Ich sage absichtlich Phantasie, nicht Herz; denn auch seinen frühesten Liebes¬ regungen ist etwas seltsam Unnaives eigen, das blutwenig mit dem Gemüte, desto mehr mit überhitzter Einbildungskraft zu thun hat. Schon als er kaum die ersten Höschen trug, fing seine idealisirende Verhimmelung an, das Haar seiner Abcfreundinnen Anastasia, Thekla und wie sie sonst noch heißen mögen, zu vergolden und unerfüllbare poetische Forderungen an sie zu stellen. Diesem Pedantischen Zuge in seinem Liebesleben blieb er bis an sein Ende treu. Von dem herrlichen Geheimnis aller echten, großen Liebe, das da heißt: laß den andern sein eignes Leben leben, hüte dich wohl, seine stille, heimliche, nach eignen Gesetzen schaffende Entwicklung zu stören, bescheide dich und gieb es auf. ihn Zug für Zug nach deinem Bilde umzuschaffen — davon ist ihm Zeitlebens gar nichts aufgegangen. Er mußte immer modeln, stutzen, bilden, erziehen, als wäre er der liebe Herrgott, der einst die Menschen nach seinem Ebenbilde schuf! Wußte er doch nicht, daß den Mann nur die völlig fremde, in sich ungestörte Individualität des Weibes beglückt, daß alles sofort schal und leer und tot wird, was nur noch ein Abilasch ist von den Gebilden der eignen Brust! Auch zersetzte und zergrübelte er seine Gefühle viel zu sehr. Solch völliger Mangel an selbstverständlicher Natur konnte unmöglich ein starkes Weib fesseln. Er war eben ein richtiger Theorienmensch, der sich eher zehn¬ mal „So sollte, so müßte es sein!" zurief, als daß er sich ein einziges mal mit einem herzhaften „So ist es!" zu begnügen gewußt hätte. Bezeichnend dafür ist, daß ihm seine erste nennenswerte Liebe mitten zwischen den Entzückungen religiöser Andacht kommt. War er so glücklich, das Mädchen zu sehen, so betete er in flammendem Doppelgeftthle der Freude und des Dankes gegen Gott immer einige Psalmen und Vaterunser, legte sich wohl auch einen Fasttag auf oder übte sonst ein frommes Werk. Den Inhalt ihrer Geldtasche haben auch andre glücklich Liebende im Überschwange ihres Herzens schon dem ersten besten Bettler hingegeben, denn Mildthätigkeit und Liebe wachsen auf einem Holz, und was ist dem Glück ein Zweiguldeustück! aber den Entschluß zu fassen, »seine Liebe Gott aufzuopfern, zu beten, zu fasten, zu beichten und zu kom- wuniziren, so lange, bis das Herz wieder stumm und leer und ruhig ist," dazu gehört ein so phantastischer Heiliger, wie es nur Hamerling war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/419>, abgerufen am 08.01.2025.