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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

Anhaltender und heftiger wurde Hcimerlings Liebe in Wien. Aber auch
hier blieb er nur ein bloßer "Sehnsuchtsschwärmer." Adelheid Köfferlein
hieß die Angebetete; sie war dem armen, schüchternen Dichter entfernt verwandt,
wenn auch viel vornehmer und weltgewandter als er. Ihr "sanftes, madonnen¬
haftes Antlitz" soll es ihm, nach seinem eignen spätern Bekenntnis, zuerst an¬
gethan haben. Auch das ist wieder bezeichnend: es sagt uns von vornherein,
daß auch hier alles Gefühl in der Vorstellung, nichts in frischer, greifbarer
Sinnlichkeit liegt. Als treffliches Motto hat Rabenlechner über diesen Lebens¬
abschnitt Hcimerlings einen Vers von Leopold Schefer gesetzt: "Die Phantasie
hat ihre eignen Leiden." Jawohl, die Phantasie; denn anstatt sich einmal herz¬
haft satt zu küssen, wie es ein braver Junge darf und soll, himmelt er sie
aus idealer Ferne an, so zaghaft und bescheiden noch dazu, daß Adelheids
Geschwister nicht einmal ahnten, daß die Geliebte des täglich ein- und aus¬
gehenden Dichters mit ihnen unter einem Dach wohnte. Natürlich nennt er
sie mit einem erdichteten, möglichst poetischen Namen: "Regiswinda," und ob¬
gleich er kaum je mit ihr gesprochen hat, baut er ihr doch -- natürlich alles
nur in Gedanken -- ein "geschmackvolles Landhaus in der Umgebung Wiens"
mit einem -- "Grabmal in Eichen- und Cypressenscharten, bestimmt, einst
zwei Leichen zu bergen." Dort wollte er dann abends im Moose sitzen und
mit Adelheid plaudern. "Himmel, wohin gerate ich! ruft er sich aber da zu,
zurück in den Stall, an die Krippe, du mein ungestümes Veduinenroß Phan¬
tasie!" Die Art, wie der Gruß erwidert wird, bedeutet ihm Schicksals¬
wendungen und Katastrophen für sein Leben, aber auch im Traume wagt er
sie kaum zu berühren. In sein Tagebuch schreibt er all seine phantastischen
Grübeleien getreulich hinein, aber in einem so gelehrten Kauderwelsch, halb
Deutsch und halb Latein, daß es einem schwer wird, auch nur an die Auf¬
richtigkeit seiner Phantasie zu glauben. Was er über sie dichtet, enthält von
der besondern Situation so gut wie nichts erkennbares, bewegt sich in ganz
allgemeinen Vorstellungen und Gedanken, sagt von der Liebe kein Wort und
könnte sich ebenso gut auf den Schmerz einer schlechten Zensur beziehen wie
auf Adelheid. "Wenn ich mich selbst ein wenig durchdenke, schreibt er um
diese Zeit, so stellt sich heraus, daß ich ein Mensch sei(!), der durchaus in
diese Welt nicht hineinpaßt." Und damit hatte er Recht; aber auch jeder
rechten Liebe ist damit ihr Todesurteil gesprochen. Denn die Entzückung für
Regiswinda war im Grunde doch nichts andres als eine platonische Liebe, die
da aufhört, sobald man ihren Gegenstand näher kennen lernt, statt gerade durch
die kleinen Schwächen und Fehler, die der irdischen Erscheinung der Ge¬
liebten ankleben, erst recht innig angezogen und gefesselt zu werden. Deshalb
ist es auch völlig konsequent, wenn sich Hamerliug in spätern Jahren in die
Königin Christine von Schweden oder in eine württembergische Hofschau¬
spielerin verliebte, die beide in idealer Ferne von ihm weilten, und die er beide
uur im Bilde gesehen hatte!


Der junge Hamerling

Anhaltender und heftiger wurde Hcimerlings Liebe in Wien. Aber auch
hier blieb er nur ein bloßer „Sehnsuchtsschwärmer." Adelheid Köfferlein
hieß die Angebetete; sie war dem armen, schüchternen Dichter entfernt verwandt,
wenn auch viel vornehmer und weltgewandter als er. Ihr „sanftes, madonnen¬
haftes Antlitz" soll es ihm, nach seinem eignen spätern Bekenntnis, zuerst an¬
gethan haben. Auch das ist wieder bezeichnend: es sagt uns von vornherein,
daß auch hier alles Gefühl in der Vorstellung, nichts in frischer, greifbarer
Sinnlichkeit liegt. Als treffliches Motto hat Rabenlechner über diesen Lebens¬
abschnitt Hcimerlings einen Vers von Leopold Schefer gesetzt: „Die Phantasie
hat ihre eignen Leiden." Jawohl, die Phantasie; denn anstatt sich einmal herz¬
haft satt zu küssen, wie es ein braver Junge darf und soll, himmelt er sie
aus idealer Ferne an, so zaghaft und bescheiden noch dazu, daß Adelheids
Geschwister nicht einmal ahnten, daß die Geliebte des täglich ein- und aus¬
gehenden Dichters mit ihnen unter einem Dach wohnte. Natürlich nennt er
sie mit einem erdichteten, möglichst poetischen Namen: „Regiswinda," und ob¬
gleich er kaum je mit ihr gesprochen hat, baut er ihr doch — natürlich alles
nur in Gedanken — ein „geschmackvolles Landhaus in der Umgebung Wiens"
mit einem — „Grabmal in Eichen- und Cypressenscharten, bestimmt, einst
zwei Leichen zu bergen." Dort wollte er dann abends im Moose sitzen und
mit Adelheid plaudern. „Himmel, wohin gerate ich! ruft er sich aber da zu,
zurück in den Stall, an die Krippe, du mein ungestümes Veduinenroß Phan¬
tasie!" Die Art, wie der Gruß erwidert wird, bedeutet ihm Schicksals¬
wendungen und Katastrophen für sein Leben, aber auch im Traume wagt er
sie kaum zu berühren. In sein Tagebuch schreibt er all seine phantastischen
Grübeleien getreulich hinein, aber in einem so gelehrten Kauderwelsch, halb
Deutsch und halb Latein, daß es einem schwer wird, auch nur an die Auf¬
richtigkeit seiner Phantasie zu glauben. Was er über sie dichtet, enthält von
der besondern Situation so gut wie nichts erkennbares, bewegt sich in ganz
allgemeinen Vorstellungen und Gedanken, sagt von der Liebe kein Wort und
könnte sich ebenso gut auf den Schmerz einer schlechten Zensur beziehen wie
auf Adelheid. „Wenn ich mich selbst ein wenig durchdenke, schreibt er um
diese Zeit, so stellt sich heraus, daß ich ein Mensch sei(!), der durchaus in
diese Welt nicht hineinpaßt." Und damit hatte er Recht; aber auch jeder
rechten Liebe ist damit ihr Todesurteil gesprochen. Denn die Entzückung für
Regiswinda war im Grunde doch nichts andres als eine platonische Liebe, die
da aufhört, sobald man ihren Gegenstand näher kennen lernt, statt gerade durch
die kleinen Schwächen und Fehler, die der irdischen Erscheinung der Ge¬
liebten ankleben, erst recht innig angezogen und gefesselt zu werden. Deshalb
ist es auch völlig konsequent, wenn sich Hamerliug in spätern Jahren in die
Königin Christine von Schweden oder in eine württembergische Hofschau¬
spielerin verliebte, die beide in idealer Ferne von ihm weilten, und die er beide
uur im Bilde gesehen hatte!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/420>, abgerufen am 08.01.2025.