Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der junge Hamerling überkochenden Gefühle seiner Brust eine empfängliche, echobereite Seele begehre, Das Leben des Tages, das doch auch damals schon in dem lustigen Der junge Hamerling überkochenden Gefühle seiner Brust eine empfängliche, echobereite Seele begehre, Das Leben des Tages, das doch auch damals schon in dem lustigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224002"/> <fw type="header" place="top"> Der junge Hamerling</fw><lb/> <p xml:id="ID_1249" prev="#ID_1248"> überkochenden Gefühle seiner Brust eine empfängliche, echobereite Seele begehre,<lb/> die ihm sein eignes Empfinden mitjubelnd oder -klagend, mitweinend oder<lb/> -lachend zurückgäbe. Aber es kommt wenigstens eine etwas fröhlichere, herz¬<lb/> haftere Lebenslust in den Verkehr mit diesem Freunde empor. Sie nannten<lb/> sich die Herakliusbrüder und feierten das Fest ihrer Verbrüderung, wie einst<lb/> der Göttinger Hain, bei Speise und Trank. Nur schade, daß sie beide über<lb/> einen Maßkrug und zwei Kipfel nicht hinauskamen. Etwas mehr von realer<lb/> Sättigung hätte diesem Bunde nicht schaden können! Aber den enthaltsamen<lb/> Jünglingen war auch das genug. „Wir gaben uns die Hände, berichtet das<lb/> Tagebuch, stammelten, vom Vier entflammt (!), enthusiastische Freundschafts¬<lb/> versicherungen, setzten uns und unterschrieben. Dann kehrten wir ins Gasthaus<lb/> zurück, tranken die zweite Hälfte des Bieres, aßen noch drei Bretzen und ent¬<lb/> fernten uns. Bruckner begleitete mich nach Hause. Wir waren entflammt und<lb/> trennten uns in herrlicher Stimmung." Die Stiftungsurkunde aber verordnete,<lb/> wenn einer von ihnen mit Tod abginge, ohne zuvor seinen Ruhm sest ge¬<lb/> gründet zu haben, so sei der Hinterbliebne verpflichtet, den litterarischen Nachlaß<lb/> des verblichnen Freundes samt einer Biographie mit seinen eignen Schriften<lb/> ans Licht zu fördern und ihn würdig zu feiern. Zu diesen halb naiven, halb<lb/> eiteln Apotheosenahnungen stimmen trefflich die unklar auf- und abwogenden<lb/> Stoßseufzer der Selbstkritik und des knabenhaften Ehrgeizes, die sich zu der¬<lb/> selben Zeit an andern Stellen des Tagebuches aussprechen: „Jetzt kann ich<lb/> mich kaum enthalten, all mein Geschreibsel zum Fenster hinauszuwerfen. Ich<lb/> habe niemand, der mir in ästhetischer Hinsicht zum Führer dienen könnte, und<lb/> wäre doch so gern bereit, Belehrung anzunehmen und zu benutzen! All mein<lb/> Ringen nach Erkenntnissen scheint vergebens zu sein!" Und gleich darauf:<lb/> „Allerhand Gedanken gehabt über die Schwierigkeit, emporzukommen; über die<lb/> Wandelbarkeit des Schriftstellerruhms. Gedacht: wenn du auch wirklich das<lb/> Ideal, dem du nachstrebst, erreichest, wer weiß, ob nicht schon nach einigen<lb/> tausend (!) Jahren man von dir sagt: Er war das Haupt der nunmehr glücklich<lb/> verdrängten ersten Litteraturepoche, die man die griechisch-germanische nennt,<lb/> und die, ausgehend von den Griechen, lange Jahrhunderte allenthalben herrschte,<lb/> bis den Völkern durch unsern gefeierten X das wahre Licht durch Feststellung<lb/> der ästhetischen Regeln aufgegangen ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_1250" next="#ID_1251"> Das Leben des Tages, das doch auch damals schon in dem lustigen<lb/> Wien üppig genug flutete, sagte dem jungen Dichter so gut wie gar nichts.<lb/> Realistische Beobachtungsgabe hatte er nicht. Noch in den fünfziger Jahren<lb/> glaubte er nur, daß der Dichter wie der Maler auch Studien nach der Natur<lb/> zu seinem Frommen machen könnte, und während seiner Gymnasialzeit scheint er<lb/> vollends mit geschlossenen Augen durch Ring, Prater und Judengassen gegangen<lb/> zu sein. Das Elegische und Idyllische war zu mächtig in ihm. „Mir wäre,<lb/> schwärmt er einmal, ein geschmackvolles Landhaus in der Umgebung Wiens der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
Der junge Hamerling
überkochenden Gefühle seiner Brust eine empfängliche, echobereite Seele begehre,
die ihm sein eignes Empfinden mitjubelnd oder -klagend, mitweinend oder
-lachend zurückgäbe. Aber es kommt wenigstens eine etwas fröhlichere, herz¬
haftere Lebenslust in den Verkehr mit diesem Freunde empor. Sie nannten
sich die Herakliusbrüder und feierten das Fest ihrer Verbrüderung, wie einst
der Göttinger Hain, bei Speise und Trank. Nur schade, daß sie beide über
einen Maßkrug und zwei Kipfel nicht hinauskamen. Etwas mehr von realer
Sättigung hätte diesem Bunde nicht schaden können! Aber den enthaltsamen
Jünglingen war auch das genug. „Wir gaben uns die Hände, berichtet das
Tagebuch, stammelten, vom Vier entflammt (!), enthusiastische Freundschafts¬
versicherungen, setzten uns und unterschrieben. Dann kehrten wir ins Gasthaus
zurück, tranken die zweite Hälfte des Bieres, aßen noch drei Bretzen und ent¬
fernten uns. Bruckner begleitete mich nach Hause. Wir waren entflammt und
trennten uns in herrlicher Stimmung." Die Stiftungsurkunde aber verordnete,
wenn einer von ihnen mit Tod abginge, ohne zuvor seinen Ruhm sest ge¬
gründet zu haben, so sei der Hinterbliebne verpflichtet, den litterarischen Nachlaß
des verblichnen Freundes samt einer Biographie mit seinen eignen Schriften
ans Licht zu fördern und ihn würdig zu feiern. Zu diesen halb naiven, halb
eiteln Apotheosenahnungen stimmen trefflich die unklar auf- und abwogenden
Stoßseufzer der Selbstkritik und des knabenhaften Ehrgeizes, die sich zu der¬
selben Zeit an andern Stellen des Tagebuches aussprechen: „Jetzt kann ich
mich kaum enthalten, all mein Geschreibsel zum Fenster hinauszuwerfen. Ich
habe niemand, der mir in ästhetischer Hinsicht zum Führer dienen könnte, und
wäre doch so gern bereit, Belehrung anzunehmen und zu benutzen! All mein
Ringen nach Erkenntnissen scheint vergebens zu sein!" Und gleich darauf:
„Allerhand Gedanken gehabt über die Schwierigkeit, emporzukommen; über die
Wandelbarkeit des Schriftstellerruhms. Gedacht: wenn du auch wirklich das
Ideal, dem du nachstrebst, erreichest, wer weiß, ob nicht schon nach einigen
tausend (!) Jahren man von dir sagt: Er war das Haupt der nunmehr glücklich
verdrängten ersten Litteraturepoche, die man die griechisch-germanische nennt,
und die, ausgehend von den Griechen, lange Jahrhunderte allenthalben herrschte,
bis den Völkern durch unsern gefeierten X das wahre Licht durch Feststellung
der ästhetischen Regeln aufgegangen ist."
Das Leben des Tages, das doch auch damals schon in dem lustigen
Wien üppig genug flutete, sagte dem jungen Dichter so gut wie gar nichts.
Realistische Beobachtungsgabe hatte er nicht. Noch in den fünfziger Jahren
glaubte er nur, daß der Dichter wie der Maler auch Studien nach der Natur
zu seinem Frommen machen könnte, und während seiner Gymnasialzeit scheint er
vollends mit geschlossenen Augen durch Ring, Prater und Judengassen gegangen
zu sein. Das Elegische und Idyllische war zu mächtig in ihm. „Mir wäre,
schwärmt er einmal, ein geschmackvolles Landhaus in der Umgebung Wiens der
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