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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

den Schweinslederbänden des frommen Hugo so viel des Großartigen und
Erhabnen von den Jesuiten erfahren hatte, so klang ihm der Titel "Ordens¬
general der Gesellschaft Jesu" als das verlockendste aller Zauberworte. So
kam er ins Schottengymnasium zu Wien, eine Stiftung der Benediktiner. Dort
gabs Religion, Latein. Geographie, Geschichte, Mathematik und Griechisch zu
lernen, nur kein Deutsch. Vielleicht weil man hierbei am wenigsten hätte aus¬
wendig lernen können; denn bei den Benediktinern war das Büffelsystem Trumpf.
Robert schickte sich auch da hinein. Hat er einmal nicht prciparirt, so beichtet
er im Tagebuche seine Schuld, und die Semestralehrenprüfungen beschreibt er
mit dem Andachtspathos des künftigen Epikers. Selbst den gestrengen Patres
ist der Herr Studiosus zu musterhaft: es sei kein rechtes Leben in ihm, klagt
sein Lehrer dem nachfragenden Vater. Aber mit innerster Seele steht er
zum Pfaffen- und Kirchentum. Wenn Kotzebue. den er sonst schwärmerisch
verehrt, in seiner "Zaide" alle menschlichen Schandgeburten den Pfaffen in
die Schuhe schiebt, schilt er ihn einen Narren und fordert zornentflammt den
Beweis. Die frivole Verdächtigung vollends, daß ein Priester auch einmal
gegen seine Überzeugung Predigen könne, und der gottlose Ausspruch, Gebet
und Hoffnung seien Früchte eines frommen "Wahns." empört ihn zu ent¬
rüsteten Ausrufezeichen. Auch der Katholik in ihm ist noch völlig unversehrt.
"Heutzutage, schreibt er Ende 1845 in sein geliebtes Tagebuch, getraut sich
doch kein Protestant mehr, laut von den unabsehbaren Segnungen der Re¬
formation zu deklamiren; überhaupt ist das Kirchenlicht, das Luther dem
Christentum aufgesetzt hat, schon ziemlich herabgebrannt. Der Docht ist schon
ellenlang; keine Lichtputze liegt dabei. Die hat der Wittenberger Heros ver¬
gessen. So gehts mit menschlichem Gemächte; die Sonne aber braucht keine
Lichtputze."

Die erste Jugendfreundschaft, die in den Wiener Tagen aufzukeimen beginnt,
vermag zu keiner rechten Entfaltung zu kommen. Der Erkorne -- Anton
Bruckner hieß er -- war wie Hamerling ein Sohn des niederösterreichischen
Waldviertels, ein Kind armer Bauersleute. "Zwei poetisch gestimmte, poetisch
veranlagte Knabenseelen, meinte Hamerling später, als er von höherer kritischer
Warte aus fein Jugendleben überblickte, mußten sich rasch zusammenfinden.
Entscheidend aber kam dabei ohne Zweifel jene scheinbar grundlose Sympathie
Ms Spiel, welche oft auch Menschen, die nichts gemeinsames haben, sich viel¬
mehr so unähnlich als möglich sind, besonders in der Jugend für eine Reihe
von Jahren aneiuanderkettet." Ziemlich unklar ausgedrückt. Bezeichnend bei
dieser Freundschaft erscheint für Hamerling nur, daß nirgends von jenem heißen,
verzehrenden Liebes- und Kameradschaftsverlangen die Rede ist, das sonst vier¬
zehnjährige Seelen gerade zu ihresgleichen zu überfallen pflegt. Der junge
Dichter -- denn das war er damals schon -- sagt uns in seinem sonst so
redseligen Tagebuche nicht, daß er für die drängenden, pochenden, lodernden,


Grenzboten IV 1896 52
Der junge Hamerling

den Schweinslederbänden des frommen Hugo so viel des Großartigen und
Erhabnen von den Jesuiten erfahren hatte, so klang ihm der Titel „Ordens¬
general der Gesellschaft Jesu" als das verlockendste aller Zauberworte. So
kam er ins Schottengymnasium zu Wien, eine Stiftung der Benediktiner. Dort
gabs Religion, Latein. Geographie, Geschichte, Mathematik und Griechisch zu
lernen, nur kein Deutsch. Vielleicht weil man hierbei am wenigsten hätte aus¬
wendig lernen können; denn bei den Benediktinern war das Büffelsystem Trumpf.
Robert schickte sich auch da hinein. Hat er einmal nicht prciparirt, so beichtet
er im Tagebuche seine Schuld, und die Semestralehrenprüfungen beschreibt er
mit dem Andachtspathos des künftigen Epikers. Selbst den gestrengen Patres
ist der Herr Studiosus zu musterhaft: es sei kein rechtes Leben in ihm, klagt
sein Lehrer dem nachfragenden Vater. Aber mit innerster Seele steht er
zum Pfaffen- und Kirchentum. Wenn Kotzebue. den er sonst schwärmerisch
verehrt, in seiner „Zaide" alle menschlichen Schandgeburten den Pfaffen in
die Schuhe schiebt, schilt er ihn einen Narren und fordert zornentflammt den
Beweis. Die frivole Verdächtigung vollends, daß ein Priester auch einmal
gegen seine Überzeugung Predigen könne, und der gottlose Ausspruch, Gebet
und Hoffnung seien Früchte eines frommen „Wahns." empört ihn zu ent¬
rüsteten Ausrufezeichen. Auch der Katholik in ihm ist noch völlig unversehrt.
„Heutzutage, schreibt er Ende 1845 in sein geliebtes Tagebuch, getraut sich
doch kein Protestant mehr, laut von den unabsehbaren Segnungen der Re¬
formation zu deklamiren; überhaupt ist das Kirchenlicht, das Luther dem
Christentum aufgesetzt hat, schon ziemlich herabgebrannt. Der Docht ist schon
ellenlang; keine Lichtputze liegt dabei. Die hat der Wittenberger Heros ver¬
gessen. So gehts mit menschlichem Gemächte; die Sonne aber braucht keine
Lichtputze."

Die erste Jugendfreundschaft, die in den Wiener Tagen aufzukeimen beginnt,
vermag zu keiner rechten Entfaltung zu kommen. Der Erkorne — Anton
Bruckner hieß er — war wie Hamerling ein Sohn des niederösterreichischen
Waldviertels, ein Kind armer Bauersleute. „Zwei poetisch gestimmte, poetisch
veranlagte Knabenseelen, meinte Hamerling später, als er von höherer kritischer
Warte aus fein Jugendleben überblickte, mußten sich rasch zusammenfinden.
Entscheidend aber kam dabei ohne Zweifel jene scheinbar grundlose Sympathie
Ms Spiel, welche oft auch Menschen, die nichts gemeinsames haben, sich viel¬
mehr so unähnlich als möglich sind, besonders in der Jugend für eine Reihe
von Jahren aneiuanderkettet." Ziemlich unklar ausgedrückt. Bezeichnend bei
dieser Freundschaft erscheint für Hamerling nur, daß nirgends von jenem heißen,
verzehrenden Liebes- und Kameradschaftsverlangen die Rede ist, das sonst vier¬
zehnjährige Seelen gerade zu ihresgleichen zu überfallen pflegt. Der junge
Dichter — denn das war er damals schon — sagt uns in seinem sonst so
redseligen Tagebuche nicht, daß er für die drängenden, pochenden, lodernden,


Grenzboten IV 1896 52
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[0417] Der junge Hamerling den Schweinslederbänden des frommen Hugo so viel des Großartigen und Erhabnen von den Jesuiten erfahren hatte, so klang ihm der Titel „Ordens¬ general der Gesellschaft Jesu" als das verlockendste aller Zauberworte. So kam er ins Schottengymnasium zu Wien, eine Stiftung der Benediktiner. Dort gabs Religion, Latein. Geographie, Geschichte, Mathematik und Griechisch zu lernen, nur kein Deutsch. Vielleicht weil man hierbei am wenigsten hätte aus¬ wendig lernen können; denn bei den Benediktinern war das Büffelsystem Trumpf. Robert schickte sich auch da hinein. Hat er einmal nicht prciparirt, so beichtet er im Tagebuche seine Schuld, und die Semestralehrenprüfungen beschreibt er mit dem Andachtspathos des künftigen Epikers. Selbst den gestrengen Patres ist der Herr Studiosus zu musterhaft: es sei kein rechtes Leben in ihm, klagt sein Lehrer dem nachfragenden Vater. Aber mit innerster Seele steht er zum Pfaffen- und Kirchentum. Wenn Kotzebue. den er sonst schwärmerisch verehrt, in seiner „Zaide" alle menschlichen Schandgeburten den Pfaffen in die Schuhe schiebt, schilt er ihn einen Narren und fordert zornentflammt den Beweis. Die frivole Verdächtigung vollends, daß ein Priester auch einmal gegen seine Überzeugung Predigen könne, und der gottlose Ausspruch, Gebet und Hoffnung seien Früchte eines frommen „Wahns." empört ihn zu ent¬ rüsteten Ausrufezeichen. Auch der Katholik in ihm ist noch völlig unversehrt. „Heutzutage, schreibt er Ende 1845 in sein geliebtes Tagebuch, getraut sich doch kein Protestant mehr, laut von den unabsehbaren Segnungen der Re¬ formation zu deklamiren; überhaupt ist das Kirchenlicht, das Luther dem Christentum aufgesetzt hat, schon ziemlich herabgebrannt. Der Docht ist schon ellenlang; keine Lichtputze liegt dabei. Die hat der Wittenberger Heros ver¬ gessen. So gehts mit menschlichem Gemächte; die Sonne aber braucht keine Lichtputze." Die erste Jugendfreundschaft, die in den Wiener Tagen aufzukeimen beginnt, vermag zu keiner rechten Entfaltung zu kommen. Der Erkorne — Anton Bruckner hieß er — war wie Hamerling ein Sohn des niederösterreichischen Waldviertels, ein Kind armer Bauersleute. „Zwei poetisch gestimmte, poetisch veranlagte Knabenseelen, meinte Hamerling später, als er von höherer kritischer Warte aus fein Jugendleben überblickte, mußten sich rasch zusammenfinden. Entscheidend aber kam dabei ohne Zweifel jene scheinbar grundlose Sympathie Ms Spiel, welche oft auch Menschen, die nichts gemeinsames haben, sich viel¬ mehr so unähnlich als möglich sind, besonders in der Jugend für eine Reihe von Jahren aneiuanderkettet." Ziemlich unklar ausgedrückt. Bezeichnend bei dieser Freundschaft erscheint für Hamerling nur, daß nirgends von jenem heißen, verzehrenden Liebes- und Kameradschaftsverlangen die Rede ist, das sonst vier¬ zehnjährige Seelen gerade zu ihresgleichen zu überfallen pflegt. Der junge Dichter — denn das war er damals schon — sagt uns in seinem sonst so redseligen Tagebuche nicht, daß er für die drängenden, pochenden, lodernden, Grenzboten IV 1896 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/417>, abgerufen am 08.01.2025.