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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

verschämt nur wagt sich einmal die irdische Bitte um ein Paar Hosen ans
Licht, "und wenn es sein könnte, auch eine Weste." Und Stiefel, Wams und
Hut! möchte man hinterdrein rufen, dem allzu zagen Bittsteller Mut und
Sprachwasser zu machen, wenn einen nur nicht gleich darauf die herzige Be¬
scheidenheit dieser demütigen Kindesseele doch rührte. "Ich glaube, es wird
vom Vater doch etwas abgetragnes übrig sein, fährt der Studiosus fort, und
baue auf Ihre Güte, daß Sie mir meine Bitte nicht abschlagen werden."

Seine Märchen und heroischen Abenteuer erlebte der Knabe draußen unter
den Hirtenknaben auf den Feldern, denen er, früh zum Pathetischen geneigt,
seine Predigten hielt, mit denen er aber auch die gebratenen Kartoffeln teilte.
Doch wenn die Wirklichkeit gar zu realistisch werden wollte, zog er sich schnell
mädchenhaft empfindsam in sein ideal gestimmtes Innere zurück: Kälber und
Schweine abschlachten zu sehen war seine Sache nicht, und eher lief er mit
dem leeren Kruge wieder heim, als daß er sich auch in den Bannkreis des
Metzgers gewagt hätte, wenn der sein blutiges Messer schwang. Gern schweifte
er einsam träumend durch Berg und Thal und hing in mystischer Verzückung
wie Jakob Böhme den knabenhaft verworrnen Ahnungen seiner Zukunft nach.

Schon in seinem zehnten Jahre wurde Hamerling der häuslichen Erziehung
entzogen und der Obhut der Geistlichkeit anvertraut. So blieb es bis in die
Jünglingsjahre. Aber von tief eingreifenden Einflüssen hat man auch hier nicht
zu berichten. Was den Knaben vorwärts bringt, das vollzieht sich in seinem
Innern; von außen kommt ihm nicht viel mehr als scholastischer Unterricht
und klerikale Vorstellungssormen. Fleiß und Begabung verschafften ihm von
vornherein die besten Zensuren; nur die Arithmetik war nicht seine Freundin.
Er war dabei nichts weniger als das, was man einen frischen, offnen Jungen
nennt. Im Gegenteil: seinen Lehrern kam er eher wie ein ""ausgeschnittenes
Buch vor, dessen Gehalt man wohl ahnen, in dem man aber nicht lesen kann.
Wurde er gefragt, so antwortete er schüchtern und beklommen, nur selten sah
man ihn lachen, und das Schneeballwerfen, sonst das Entzücken aller rot¬
wangiger Jugend, war ihm in der Seele verhaßt. Selbst seinem Großoheim
?. Ambros Haßlinger, einem herzensfrohen, heitern, gemütlichen Manne, den
die ganze Welt Freund nannte, stand er mit hängenden Armen steif und stumm
gegenüber; aber der ernste Asket ?. Hugo Traumihler, der dem Knaben religiös
schwärmerische Nahrung bot, wußte dem Schüchternen Sinn und Sprache zu
lösen. Am liebsten und offensten erschloß sich Hamerling auch hier in der
Stille sich selber. Dann rief er in frommen Selbstbetrachtungen als einzigen
Freund und Führer seiner Zukunft die heilige Tugend, "die herrlichste Zier
gottühnlicher Geschöpfe," an und tröstete sich über die Entbehrungen seines
ungeselligen Gemüts mit der Krone jenseitiger Vergeltung.

Mit vierzehn Jahren verließ Hamerling das Cisterzienserstift Zwettl. Sein
heißester Wunsch war, Priester zu werden, und da er aus dem Munde und


Der junge Hamerling

verschämt nur wagt sich einmal die irdische Bitte um ein Paar Hosen ans
Licht, „und wenn es sein könnte, auch eine Weste." Und Stiefel, Wams und
Hut! möchte man hinterdrein rufen, dem allzu zagen Bittsteller Mut und
Sprachwasser zu machen, wenn einen nur nicht gleich darauf die herzige Be¬
scheidenheit dieser demütigen Kindesseele doch rührte. „Ich glaube, es wird
vom Vater doch etwas abgetragnes übrig sein, fährt der Studiosus fort, und
baue auf Ihre Güte, daß Sie mir meine Bitte nicht abschlagen werden."

Seine Märchen und heroischen Abenteuer erlebte der Knabe draußen unter
den Hirtenknaben auf den Feldern, denen er, früh zum Pathetischen geneigt,
seine Predigten hielt, mit denen er aber auch die gebratenen Kartoffeln teilte.
Doch wenn die Wirklichkeit gar zu realistisch werden wollte, zog er sich schnell
mädchenhaft empfindsam in sein ideal gestimmtes Innere zurück: Kälber und
Schweine abschlachten zu sehen war seine Sache nicht, und eher lief er mit
dem leeren Kruge wieder heim, als daß er sich auch in den Bannkreis des
Metzgers gewagt hätte, wenn der sein blutiges Messer schwang. Gern schweifte
er einsam träumend durch Berg und Thal und hing in mystischer Verzückung
wie Jakob Böhme den knabenhaft verworrnen Ahnungen seiner Zukunft nach.

Schon in seinem zehnten Jahre wurde Hamerling der häuslichen Erziehung
entzogen und der Obhut der Geistlichkeit anvertraut. So blieb es bis in die
Jünglingsjahre. Aber von tief eingreifenden Einflüssen hat man auch hier nicht
zu berichten. Was den Knaben vorwärts bringt, das vollzieht sich in seinem
Innern; von außen kommt ihm nicht viel mehr als scholastischer Unterricht
und klerikale Vorstellungssormen. Fleiß und Begabung verschafften ihm von
vornherein die besten Zensuren; nur die Arithmetik war nicht seine Freundin.
Er war dabei nichts weniger als das, was man einen frischen, offnen Jungen
nennt. Im Gegenteil: seinen Lehrern kam er eher wie ein »«ausgeschnittenes
Buch vor, dessen Gehalt man wohl ahnen, in dem man aber nicht lesen kann.
Wurde er gefragt, so antwortete er schüchtern und beklommen, nur selten sah
man ihn lachen, und das Schneeballwerfen, sonst das Entzücken aller rot¬
wangiger Jugend, war ihm in der Seele verhaßt. Selbst seinem Großoheim
?. Ambros Haßlinger, einem herzensfrohen, heitern, gemütlichen Manne, den
die ganze Welt Freund nannte, stand er mit hängenden Armen steif und stumm
gegenüber; aber der ernste Asket ?. Hugo Traumihler, der dem Knaben religiös
schwärmerische Nahrung bot, wußte dem Schüchternen Sinn und Sprache zu
lösen. Am liebsten und offensten erschloß sich Hamerling auch hier in der
Stille sich selber. Dann rief er in frommen Selbstbetrachtungen als einzigen
Freund und Führer seiner Zukunft die heilige Tugend, „die herrlichste Zier
gottühnlicher Geschöpfe," an und tröstete sich über die Entbehrungen seines
ungeselligen Gemüts mit der Krone jenseitiger Vergeltung.

Mit vierzehn Jahren verließ Hamerling das Cisterzienserstift Zwettl. Sein
heißester Wunsch war, Priester zu werden, und da er aus dem Munde und


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[0416] Der junge Hamerling verschämt nur wagt sich einmal die irdische Bitte um ein Paar Hosen ans Licht, „und wenn es sein könnte, auch eine Weste." Und Stiefel, Wams und Hut! möchte man hinterdrein rufen, dem allzu zagen Bittsteller Mut und Sprachwasser zu machen, wenn einen nur nicht gleich darauf die herzige Be¬ scheidenheit dieser demütigen Kindesseele doch rührte. „Ich glaube, es wird vom Vater doch etwas abgetragnes übrig sein, fährt der Studiosus fort, und baue auf Ihre Güte, daß Sie mir meine Bitte nicht abschlagen werden." Seine Märchen und heroischen Abenteuer erlebte der Knabe draußen unter den Hirtenknaben auf den Feldern, denen er, früh zum Pathetischen geneigt, seine Predigten hielt, mit denen er aber auch die gebratenen Kartoffeln teilte. Doch wenn die Wirklichkeit gar zu realistisch werden wollte, zog er sich schnell mädchenhaft empfindsam in sein ideal gestimmtes Innere zurück: Kälber und Schweine abschlachten zu sehen war seine Sache nicht, und eher lief er mit dem leeren Kruge wieder heim, als daß er sich auch in den Bannkreis des Metzgers gewagt hätte, wenn der sein blutiges Messer schwang. Gern schweifte er einsam träumend durch Berg und Thal und hing in mystischer Verzückung wie Jakob Böhme den knabenhaft verworrnen Ahnungen seiner Zukunft nach. Schon in seinem zehnten Jahre wurde Hamerling der häuslichen Erziehung entzogen und der Obhut der Geistlichkeit anvertraut. So blieb es bis in die Jünglingsjahre. Aber von tief eingreifenden Einflüssen hat man auch hier nicht zu berichten. Was den Knaben vorwärts bringt, das vollzieht sich in seinem Innern; von außen kommt ihm nicht viel mehr als scholastischer Unterricht und klerikale Vorstellungssormen. Fleiß und Begabung verschafften ihm von vornherein die besten Zensuren; nur die Arithmetik war nicht seine Freundin. Er war dabei nichts weniger als das, was man einen frischen, offnen Jungen nennt. Im Gegenteil: seinen Lehrern kam er eher wie ein »«ausgeschnittenes Buch vor, dessen Gehalt man wohl ahnen, in dem man aber nicht lesen kann. Wurde er gefragt, so antwortete er schüchtern und beklommen, nur selten sah man ihn lachen, und das Schneeballwerfen, sonst das Entzücken aller rot¬ wangiger Jugend, war ihm in der Seele verhaßt. Selbst seinem Großoheim ?. Ambros Haßlinger, einem herzensfrohen, heitern, gemütlichen Manne, den die ganze Welt Freund nannte, stand er mit hängenden Armen steif und stumm gegenüber; aber der ernste Asket ?. Hugo Traumihler, der dem Knaben religiös schwärmerische Nahrung bot, wußte dem Schüchternen Sinn und Sprache zu lösen. Am liebsten und offensten erschloß sich Hamerling auch hier in der Stille sich selber. Dann rief er in frommen Selbstbetrachtungen als einzigen Freund und Führer seiner Zukunft die heilige Tugend, „die herrlichste Zier gottühnlicher Geschöpfe," an und tröstete sich über die Entbehrungen seines ungeselligen Gemüts mit der Krone jenseitiger Vergeltung. Mit vierzehn Jahren verließ Hamerling das Cisterzienserstift Zwettl. Sein heißester Wunsch war, Priester zu werden, und da er aus dem Munde und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/416>, abgerufen am 08.01.2025.