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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

er einmal ehrlich genug gewesen ist, dem Aufruf für ein Denkmal Hamerlings
seine Unterschrift vorzuenthalten, da sie doch nur aus der Feder, nicht aus
dem Herzen Hütte kommen können, und weil er dann weiter einmal höflich
genug gewesen ist, der künstlich erzürnten Öffentlichkeit auch seine ästhetischen
Gründe für jene Zurückhaltung vorzulegen. Wenn er diese Absage etwas
selbstbewußt und keck mit dem lutherhaft schroffen Ausruf: "Ich mag ihn
nicht, das ist mein Katechismus" zu schließen beliebte, so heißt es doch die
intoleranteste Pönitenz üben, ihn deshalb ein für allemal in die Klause
der Banausen und Ignoranten zu sperren. Vollends lächerlich aber, wenn
nicht gar gemein, will es uns scheinen, wenn Herr Nabenlechner selbst zuguder-
letzt Erich Schmidts Abneigung gegen Hamerliug auf eine leise persönliche
"Jnvettive" zurückführt, die sich der Grazer Dichter einmal gegen Erichs Vater
Oskar Schmidt wegen einer allerdings echt Schmidtischen Geradheit und Unver¬
frorenheit herausgenommen hat. Solche Animositätenriecherei ist keine Empfehlung
für einen Biographen, der für sich selbst das gute Zutrauen der Objektivität in An¬
spruch nimmt. Freilich: von Erich Schmidt möchten wir am allerwenigsten eine Bio¬
graphie Hamerlings, denn ihm fehlt nach eignem Geständnis "Herz und Glaube"
zu ihm, und die muß notwendig haben, wer eine Persönlichkeit innerlich lebendig
machen möchte -- aber, vergessen wir nicht! fast ebenso unerquicklich wie
hundenasenkalte Verschuupftheit ist jene tosende, hätschelnde Eiapopeia-
Biographelei, die, kaum daß ihr Gott zur Welt gekommen, ihn gleich gar
nicht anders als "unser lieber Robert" oder "unser junges Genie" benennt.
Nabenlechner hält zwischen beiden Extremen eine leidlich würdige Mitte. Er
ist begeistert, aber nicht gerade ekstatisch entzückt; er wirtschaftet gern mit tief¬
sinnigen Gedankenstrichen, läßt aber die pathetischen Ausrufezeichen zum Glück
im Setzerkasten. Wenn er nur auch etwas kritischer und wählerischer wäre
in dem, was er der Mitteilung und Überlieferung für wert hält! Und etwas
weniger "gründlich" vor allem! Ich glaube zwar auch wie Goethe, daß, wer
sein Leben lang von hohen, ernsten Eichen umgeben wäre, ein andrer Mensch
werden müßte, als wer sich täglich unter lustigen Birken erginge, aber wozu
eine ausführliche geologische Beschreibung der "krystallinischen Erdscholle"
nützen soll, auf der Hamerliug geboren wurde, will mir trotz all des Granits,
des stark verwitterten Greises, des Amphibols, Grcmulits, Serpentins, Syenit-
und Graphitschiefers nicht in den Kopf. Solch ein bodenwüchsiges Genie ist
Hamerliug gewiß nicht, daß man bis zu den "tertiären Schichten der
Mediterrcmstufe" hinabzusteigen brauchte, um ihn recht zu verstehen. Auch
in der Beschreibung der Schul- und Knabenjahre seines Helden beobachtet der
Biograph eine so umständliche, wichtigthuerische Ausführlichkeit, daß daneben
Dahns verliebte Selbstbespielung beinahe Bescheidenheit heißen könnte. Von
jedem Lehrer, der Hamerliug einmal am Ohr gezupft, von jedem Spiel¬
kameraden, mit dem er einmal in dieselbe Fibel geguckt hat, ist womöglich


Der junge Hamerling

er einmal ehrlich genug gewesen ist, dem Aufruf für ein Denkmal Hamerlings
seine Unterschrift vorzuenthalten, da sie doch nur aus der Feder, nicht aus
dem Herzen Hütte kommen können, und weil er dann weiter einmal höflich
genug gewesen ist, der künstlich erzürnten Öffentlichkeit auch seine ästhetischen
Gründe für jene Zurückhaltung vorzulegen. Wenn er diese Absage etwas
selbstbewußt und keck mit dem lutherhaft schroffen Ausruf: »Ich mag ihn
nicht, das ist mein Katechismus" zu schließen beliebte, so heißt es doch die
intoleranteste Pönitenz üben, ihn deshalb ein für allemal in die Klause
der Banausen und Ignoranten zu sperren. Vollends lächerlich aber, wenn
nicht gar gemein, will es uns scheinen, wenn Herr Nabenlechner selbst zuguder-
letzt Erich Schmidts Abneigung gegen Hamerliug auf eine leise persönliche
„Jnvettive" zurückführt, die sich der Grazer Dichter einmal gegen Erichs Vater
Oskar Schmidt wegen einer allerdings echt Schmidtischen Geradheit und Unver¬
frorenheit herausgenommen hat. Solche Animositätenriecherei ist keine Empfehlung
für einen Biographen, der für sich selbst das gute Zutrauen der Objektivität in An¬
spruch nimmt. Freilich: von Erich Schmidt möchten wir am allerwenigsten eine Bio¬
graphie Hamerlings, denn ihm fehlt nach eignem Geständnis „Herz und Glaube"
zu ihm, und die muß notwendig haben, wer eine Persönlichkeit innerlich lebendig
machen möchte — aber, vergessen wir nicht! fast ebenso unerquicklich wie
hundenasenkalte Verschuupftheit ist jene tosende, hätschelnde Eiapopeia-
Biographelei, die, kaum daß ihr Gott zur Welt gekommen, ihn gleich gar
nicht anders als „unser lieber Robert" oder „unser junges Genie" benennt.
Nabenlechner hält zwischen beiden Extremen eine leidlich würdige Mitte. Er
ist begeistert, aber nicht gerade ekstatisch entzückt; er wirtschaftet gern mit tief¬
sinnigen Gedankenstrichen, läßt aber die pathetischen Ausrufezeichen zum Glück
im Setzerkasten. Wenn er nur auch etwas kritischer und wählerischer wäre
in dem, was er der Mitteilung und Überlieferung für wert hält! Und etwas
weniger „gründlich" vor allem! Ich glaube zwar auch wie Goethe, daß, wer
sein Leben lang von hohen, ernsten Eichen umgeben wäre, ein andrer Mensch
werden müßte, als wer sich täglich unter lustigen Birken erginge, aber wozu
eine ausführliche geologische Beschreibung der „krystallinischen Erdscholle"
nützen soll, auf der Hamerliug geboren wurde, will mir trotz all des Granits,
des stark verwitterten Greises, des Amphibols, Grcmulits, Serpentins, Syenit-
und Graphitschiefers nicht in den Kopf. Solch ein bodenwüchsiges Genie ist
Hamerliug gewiß nicht, daß man bis zu den „tertiären Schichten der
Mediterrcmstufe" hinabzusteigen brauchte, um ihn recht zu verstehen. Auch
in der Beschreibung der Schul- und Knabenjahre seines Helden beobachtet der
Biograph eine so umständliche, wichtigthuerische Ausführlichkeit, daß daneben
Dahns verliebte Selbstbespielung beinahe Bescheidenheit heißen könnte. Von
jedem Lehrer, der Hamerliug einmal am Ohr gezupft, von jedem Spiel¬
kameraden, mit dem er einmal in dieselbe Fibel geguckt hat, ist womöglich


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[0414] Der junge Hamerling er einmal ehrlich genug gewesen ist, dem Aufruf für ein Denkmal Hamerlings seine Unterschrift vorzuenthalten, da sie doch nur aus der Feder, nicht aus dem Herzen Hütte kommen können, und weil er dann weiter einmal höflich genug gewesen ist, der künstlich erzürnten Öffentlichkeit auch seine ästhetischen Gründe für jene Zurückhaltung vorzulegen. Wenn er diese Absage etwas selbstbewußt und keck mit dem lutherhaft schroffen Ausruf: »Ich mag ihn nicht, das ist mein Katechismus" zu schließen beliebte, so heißt es doch die intoleranteste Pönitenz üben, ihn deshalb ein für allemal in die Klause der Banausen und Ignoranten zu sperren. Vollends lächerlich aber, wenn nicht gar gemein, will es uns scheinen, wenn Herr Nabenlechner selbst zuguder- letzt Erich Schmidts Abneigung gegen Hamerliug auf eine leise persönliche „Jnvettive" zurückführt, die sich der Grazer Dichter einmal gegen Erichs Vater Oskar Schmidt wegen einer allerdings echt Schmidtischen Geradheit und Unver¬ frorenheit herausgenommen hat. Solche Animositätenriecherei ist keine Empfehlung für einen Biographen, der für sich selbst das gute Zutrauen der Objektivität in An¬ spruch nimmt. Freilich: von Erich Schmidt möchten wir am allerwenigsten eine Bio¬ graphie Hamerlings, denn ihm fehlt nach eignem Geständnis „Herz und Glaube" zu ihm, und die muß notwendig haben, wer eine Persönlichkeit innerlich lebendig machen möchte — aber, vergessen wir nicht! fast ebenso unerquicklich wie hundenasenkalte Verschuupftheit ist jene tosende, hätschelnde Eiapopeia- Biographelei, die, kaum daß ihr Gott zur Welt gekommen, ihn gleich gar nicht anders als „unser lieber Robert" oder „unser junges Genie" benennt. Nabenlechner hält zwischen beiden Extremen eine leidlich würdige Mitte. Er ist begeistert, aber nicht gerade ekstatisch entzückt; er wirtschaftet gern mit tief¬ sinnigen Gedankenstrichen, läßt aber die pathetischen Ausrufezeichen zum Glück im Setzerkasten. Wenn er nur auch etwas kritischer und wählerischer wäre in dem, was er der Mitteilung und Überlieferung für wert hält! Und etwas weniger „gründlich" vor allem! Ich glaube zwar auch wie Goethe, daß, wer sein Leben lang von hohen, ernsten Eichen umgeben wäre, ein andrer Mensch werden müßte, als wer sich täglich unter lustigen Birken erginge, aber wozu eine ausführliche geologische Beschreibung der „krystallinischen Erdscholle" nützen soll, auf der Hamerliug geboren wurde, will mir trotz all des Granits, des stark verwitterten Greises, des Amphibols, Grcmulits, Serpentins, Syenit- und Graphitschiefers nicht in den Kopf. Solch ein bodenwüchsiges Genie ist Hamerliug gewiß nicht, daß man bis zu den „tertiären Schichten der Mediterrcmstufe" hinabzusteigen brauchte, um ihn recht zu verstehen. Auch in der Beschreibung der Schul- und Knabenjahre seines Helden beobachtet der Biograph eine so umständliche, wichtigthuerische Ausführlichkeit, daß daneben Dahns verliebte Selbstbespielung beinahe Bescheidenheit heißen könnte. Von jedem Lehrer, der Hamerliug einmal am Ohr gezupft, von jedem Spiel¬ kameraden, mit dem er einmal in dieselbe Fibel geguckt hat, ist womöglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/414>, abgerufen am 08.01.2025.