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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

Will nichts sagen, denn es sind Epen; aber auch für sein "Sinnen und Minnen,"
das seine Liebesgedichte umschließt, vermögen uns seine prosaischen Selbst¬
bekenntnisse "Lehrjahre der Liebe" und "Stationen meiner Lebenspilgerschaft"
herzlich wenig zu sagen. Nie, solange Dichter ihre Liebespoesien gesammelt
und herausgegeben haben, hat eins dieser Bücher den an und für sich so be¬
rechtigten und deutsamen Untertitel "Ein Jugendleben in Liedern" mit größerm
Unrecht getragen als Hamerlings erotische Gedankenlyrik.

Deshalb kurzer Hand alle und jede biographische Forschung über Hamer¬
ling abzulehnen, wäre natürlich Thorheit. Wer wie er vielen laufenden reiche
Stunden poetischer Erhebung geschenkt hat. verdient es wohl, ihnen auch als
Mensch in seinem alltäglichen Thun und Treiben vertraut zu werden. Aber
wenn sich sein neuester Lebensbeschreiber nun gleich so schwer und umständlich
befrachtet hat. daß er für seine Ladung nicht weniger als drei starke Bände
beanspruchen zu müssen meint, so beschleicht uns doch jenes unbehagliche Ge¬
fühl des überschrittnen Maßes, das wir empfinden, wenn einem kindlichen
Apfelgesicht ein Kalabreser über die Ohren gestülpt oder für eine Meißner
Porzellanfigur als Sockel ein Münchner Obelisk gebaut würde. Doch warten
Wir es ab. Vorläufig liegt uns von der neuesten Biographie Hamerlings
nur der erste Band vor, der des Dichters Jugend behandelt.")

Was bisher an selbständigen biographischen Schriften über Hmnerling
erschienen ist, konnte nicht befriedigen. Die Arbeiten von Aurelius Polzer
und Karl Erasmus Kleiner:, die gleich nach Hamerlings Tode (13. Juli 1889)
herauskamen, sind nicht mehr als einseitig und fanatisch verhimmelnde Nekrologe
und eilige Zitatensammlungen aus seinen eignen Werken. Ein aus dem
sollen schöpfender, methodisch geschulter, wissenschaftlich gerüsteter und möglichst
Whig und sachlich urteilender Biograph mußte also willkommen sein. Ob das
aber Nabenlechner ist? Die nur allzu redselige Empfehlungskarte, die uns das
..Vorwort" seines Werkes einigermaßen aufdringlich entgegenhült, spricht nicht
dafür. Brauchte er uns wirklich, um Stimmung für sein Unternehmen zu machen,
°w ganzen unerquicklichen Denkmals streit von 1839 vorzuführen? Und dann:
konnte er wenigstens nicht ein selbständiges und dann hoffentlich unparteiischeres
Urteil über diese Kontroverse finden, anstatt sich einfach wieder auf Karl
v- Thalers journalistisch gestachelten und gepfefferter Gaul zu setzen? Dessen Huf¬
schläge gegen Erich Schmidt, der nun einmal nichts von Hamerling wissen
mag, sind doch gar zu plump und grob! Der Herausgeber des "Urfaust" soll
kein ..für Poesie empfängliches Herz" haben, der Biograph Lessings Ruf und
Erfolge der akademischen Vererbungsgewohnheit verdanken! Und warum? Weil



Hamerling. Sein Leben und seine Werke. Mit Benutzung ungedruckten Materials.
Von Dr. Michael Maria Nabenlechner. Erster Band: Hamerlings Jugend. Mit Titel¬
bild und Faksimile. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft (vormals I. F.
Richter). 1890. XIV und 432 Seiten.
Der junge Hamerling

Will nichts sagen, denn es sind Epen; aber auch für sein „Sinnen und Minnen,"
das seine Liebesgedichte umschließt, vermögen uns seine prosaischen Selbst¬
bekenntnisse „Lehrjahre der Liebe" und „Stationen meiner Lebenspilgerschaft"
herzlich wenig zu sagen. Nie, solange Dichter ihre Liebespoesien gesammelt
und herausgegeben haben, hat eins dieser Bücher den an und für sich so be¬
rechtigten und deutsamen Untertitel „Ein Jugendleben in Liedern" mit größerm
Unrecht getragen als Hamerlings erotische Gedankenlyrik.

Deshalb kurzer Hand alle und jede biographische Forschung über Hamer¬
ling abzulehnen, wäre natürlich Thorheit. Wer wie er vielen laufenden reiche
Stunden poetischer Erhebung geschenkt hat. verdient es wohl, ihnen auch als
Mensch in seinem alltäglichen Thun und Treiben vertraut zu werden. Aber
wenn sich sein neuester Lebensbeschreiber nun gleich so schwer und umständlich
befrachtet hat. daß er für seine Ladung nicht weniger als drei starke Bände
beanspruchen zu müssen meint, so beschleicht uns doch jenes unbehagliche Ge¬
fühl des überschrittnen Maßes, das wir empfinden, wenn einem kindlichen
Apfelgesicht ein Kalabreser über die Ohren gestülpt oder für eine Meißner
Porzellanfigur als Sockel ein Münchner Obelisk gebaut würde. Doch warten
Wir es ab. Vorläufig liegt uns von der neuesten Biographie Hamerlings
nur der erste Band vor, der des Dichters Jugend behandelt.")

Was bisher an selbständigen biographischen Schriften über Hmnerling
erschienen ist, konnte nicht befriedigen. Die Arbeiten von Aurelius Polzer
und Karl Erasmus Kleiner:, die gleich nach Hamerlings Tode (13. Juli 1889)
herauskamen, sind nicht mehr als einseitig und fanatisch verhimmelnde Nekrologe
und eilige Zitatensammlungen aus seinen eignen Werken. Ein aus dem
sollen schöpfender, methodisch geschulter, wissenschaftlich gerüsteter und möglichst
Whig und sachlich urteilender Biograph mußte also willkommen sein. Ob das
aber Nabenlechner ist? Die nur allzu redselige Empfehlungskarte, die uns das
..Vorwort" seines Werkes einigermaßen aufdringlich entgegenhült, spricht nicht
dafür. Brauchte er uns wirklich, um Stimmung für sein Unternehmen zu machen,
°w ganzen unerquicklichen Denkmals streit von 1839 vorzuführen? Und dann:
konnte er wenigstens nicht ein selbständiges und dann hoffentlich unparteiischeres
Urteil über diese Kontroverse finden, anstatt sich einfach wieder auf Karl
v- Thalers journalistisch gestachelten und gepfefferter Gaul zu setzen? Dessen Huf¬
schläge gegen Erich Schmidt, der nun einmal nichts von Hamerling wissen
mag, sind doch gar zu plump und grob! Der Herausgeber des „Urfaust" soll
kein ..für Poesie empfängliches Herz" haben, der Biograph Lessings Ruf und
Erfolge der akademischen Vererbungsgewohnheit verdanken! Und warum? Weil



Hamerling. Sein Leben und seine Werke. Mit Benutzung ungedruckten Materials.
Von Dr. Michael Maria Nabenlechner. Erster Band: Hamerlings Jugend. Mit Titel¬
bild und Faksimile. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft (vormals I. F.
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[0413] Der junge Hamerling Will nichts sagen, denn es sind Epen; aber auch für sein „Sinnen und Minnen," das seine Liebesgedichte umschließt, vermögen uns seine prosaischen Selbst¬ bekenntnisse „Lehrjahre der Liebe" und „Stationen meiner Lebenspilgerschaft" herzlich wenig zu sagen. Nie, solange Dichter ihre Liebespoesien gesammelt und herausgegeben haben, hat eins dieser Bücher den an und für sich so be¬ rechtigten und deutsamen Untertitel „Ein Jugendleben in Liedern" mit größerm Unrecht getragen als Hamerlings erotische Gedankenlyrik. Deshalb kurzer Hand alle und jede biographische Forschung über Hamer¬ ling abzulehnen, wäre natürlich Thorheit. Wer wie er vielen laufenden reiche Stunden poetischer Erhebung geschenkt hat. verdient es wohl, ihnen auch als Mensch in seinem alltäglichen Thun und Treiben vertraut zu werden. Aber wenn sich sein neuester Lebensbeschreiber nun gleich so schwer und umständlich befrachtet hat. daß er für seine Ladung nicht weniger als drei starke Bände beanspruchen zu müssen meint, so beschleicht uns doch jenes unbehagliche Ge¬ fühl des überschrittnen Maßes, das wir empfinden, wenn einem kindlichen Apfelgesicht ein Kalabreser über die Ohren gestülpt oder für eine Meißner Porzellanfigur als Sockel ein Münchner Obelisk gebaut würde. Doch warten Wir es ab. Vorläufig liegt uns von der neuesten Biographie Hamerlings nur der erste Band vor, der des Dichters Jugend behandelt.") Was bisher an selbständigen biographischen Schriften über Hmnerling erschienen ist, konnte nicht befriedigen. Die Arbeiten von Aurelius Polzer und Karl Erasmus Kleiner:, die gleich nach Hamerlings Tode (13. Juli 1889) herauskamen, sind nicht mehr als einseitig und fanatisch verhimmelnde Nekrologe und eilige Zitatensammlungen aus seinen eignen Werken. Ein aus dem sollen schöpfender, methodisch geschulter, wissenschaftlich gerüsteter und möglichst Whig und sachlich urteilender Biograph mußte also willkommen sein. Ob das aber Nabenlechner ist? Die nur allzu redselige Empfehlungskarte, die uns das ..Vorwort" seines Werkes einigermaßen aufdringlich entgegenhült, spricht nicht dafür. Brauchte er uns wirklich, um Stimmung für sein Unternehmen zu machen, °w ganzen unerquicklichen Denkmals streit von 1839 vorzuführen? Und dann: konnte er wenigstens nicht ein selbständiges und dann hoffentlich unparteiischeres Urteil über diese Kontroverse finden, anstatt sich einfach wieder auf Karl v- Thalers journalistisch gestachelten und gepfefferter Gaul zu setzen? Dessen Huf¬ schläge gegen Erich Schmidt, der nun einmal nichts von Hamerling wissen mag, sind doch gar zu plump und grob! Der Herausgeber des „Urfaust" soll kein ..für Poesie empfängliches Herz" haben, der Biograph Lessings Ruf und Erfolge der akademischen Vererbungsgewohnheit verdanken! Und warum? Weil Hamerling. Sein Leben und seine Werke. Mit Benutzung ungedruckten Materials. Von Dr. Michael Maria Nabenlechner. Erster Band: Hamerlings Jugend. Mit Titel¬ bild und Faksimile. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft (vormals I. F. Richter). 1890. XIV und 432 Seiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/413>, abgerufen am 06.01.2025.