Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland in der Uspenskij-Sabor und der Umzug unter dem Baldachin müssen entsetz¬ Wieder ein Märchen war die Illumination an den drei Abenden nach Aber in den festlichen Glanz der Illumination fiel schon ein Schatten: zboten IV 1396 ^
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland in der Uspenskij-Sabor und der Umzug unter dem Baldachin müssen entsetz¬ Wieder ein Märchen war die Illumination an den drei Abenden nach Aber in den festlichen Glanz der Illumination fiel schon ein Schatten: zboten IV 1396 ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223625"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_103" prev="#ID_102"> in der Uspenskij-Sabor und der Umzug unter dem Baldachin müssen entsetz¬<lb/> lich anstrengend gewesen sein. Das viele Seiten füllende Zeremonial der<lb/> Krönung und Salbung auch nur zu lesen macht schon müde. Zu der An¬<lb/> strengung der verwickelten äußern Handlung kam beim Kaiser eine tiefe Ge¬<lb/> mütsbewegung: als er. allein knieend, während alle übrigen in der Kirche<lb/> anwesenden stehen blieben, das Gebet für die Wohlfahrt seines Volkes betete,<lb/> rollten ihm die Thränen von den Wangen herab. Ein ergreifender Augenblick,<lb/> wie er sich dann erhob und allein stehen blieb, alle andern aber niederknieten<lb/> zum Gebet für ihn. Bei dem Umzug durch den Kremlhof schritten der Kaiser<lb/> und die Kaiserin hinter einander unter einem Baldachin, der zu meiner stillen<lb/> Beängstigung von den allerältesten Generaladjutauteu getragen wurde. Der<lb/> Kaiser mußte genau darauf achten, daß er nicht zu schnell und nicht zu<lb/> langsam ging, damit seine hinter ihm gehende Gemahlin ihren Platz unter dem<lb/> Baldachin behielt: eine wirkliche Leistung bei den zahlreichen Biegungen des<lb/> Wegs, denn von freier Bewegung war keine Rede in dem schweren Mantel.<lb/> Dazu die riesige Krone, anderthalbmal größer als sein Kopf, und in den<lb/> Händen Reichsapfel und Szepter! Kein Wunder, daß der Kaiser, der eine<lb/> kleine, zierliche Figur hat. zuletzt fahlgelb aussah. Hatte doch das Kaiserpaar<lb/> „programmgemäß" vor der Krönung gefastet, da das Zeremonial verlangt,<lb/> daß es die Krönung nüchtern vornimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_104"> Wieder ein Märchen war die Illumination an den drei Abenden nach<lb/> der Krönung. Die Illumination der Stadt war viel reicher und glänzender,<lb/> als wir es kennen, aber doch etwa in der Art unsrer Festbeleuchtungen.<lb/> Einzig in ihrer Art aber war die Illumination des Kremls: man kann ge¬<lb/> trost sagen: dergleichen ist noch nie dagewesen, denn noch nie ist das elektrische<lb/> Licht in solchem Umfang und in so geschmackvoller Weise zur Verwendung ge¬<lb/> kommen. Genau den vielgestaltigen Konturen der Kremltürme folgend erstrahlte<lb/> in farbigem Licht ein Bild der Architektur des Kremls, das ihre Schönheiten<lb/> erst zum Bewußtsein brachte. Über den roten, grünen und gelben Thortürmen<lb/> aber leuchtete in silbernem Weiß der schlanke Turm des Iwan Weliki weit<lb/> hinaus in die Nacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_105" next="#ID_106"> Aber in den festlichen Glanz der Illumination fiel schon ein Schatten:<lb/> die Polizei war ihrer Aufgabe, die ungeheuern Menschenmassen zu lenken und<lb/> im Zaume zu halten, nicht gewachsen. Freilich, es handelte sich neben dem<lb/> etwas besser geschulten großstädtischen Publikum um viel herbeigeströmtes<lb/> Landvolk, das blind drauf loslief; aber es war, namentlich an dem ersten<lb/> Jlluminationsabend, auch nicht einmal der Versuch gemacht worden, das<lb/> Publikum von den Wagenreihen fernzuhalten, ja auch nur in steter und vor<lb/> allem geordneter Bewegung zu halten. Ein Strom kam von rechts, der<lb/> andre von links, die einen blieben stehen, die andern gingen weiter. An den<lb/> Ufern der Moskwa war kaum ein Schutzmann zu sehen, und wo einer stand,<lb/> Gren</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> zboten IV 1396 ^</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
in der Uspenskij-Sabor und der Umzug unter dem Baldachin müssen entsetz¬
lich anstrengend gewesen sein. Das viele Seiten füllende Zeremonial der
Krönung und Salbung auch nur zu lesen macht schon müde. Zu der An¬
strengung der verwickelten äußern Handlung kam beim Kaiser eine tiefe Ge¬
mütsbewegung: als er. allein knieend, während alle übrigen in der Kirche
anwesenden stehen blieben, das Gebet für die Wohlfahrt seines Volkes betete,
rollten ihm die Thränen von den Wangen herab. Ein ergreifender Augenblick,
wie er sich dann erhob und allein stehen blieb, alle andern aber niederknieten
zum Gebet für ihn. Bei dem Umzug durch den Kremlhof schritten der Kaiser
und die Kaiserin hinter einander unter einem Baldachin, der zu meiner stillen
Beängstigung von den allerältesten Generaladjutauteu getragen wurde. Der
Kaiser mußte genau darauf achten, daß er nicht zu schnell und nicht zu
langsam ging, damit seine hinter ihm gehende Gemahlin ihren Platz unter dem
Baldachin behielt: eine wirkliche Leistung bei den zahlreichen Biegungen des
Wegs, denn von freier Bewegung war keine Rede in dem schweren Mantel.
Dazu die riesige Krone, anderthalbmal größer als sein Kopf, und in den
Händen Reichsapfel und Szepter! Kein Wunder, daß der Kaiser, der eine
kleine, zierliche Figur hat. zuletzt fahlgelb aussah. Hatte doch das Kaiserpaar
„programmgemäß" vor der Krönung gefastet, da das Zeremonial verlangt,
daß es die Krönung nüchtern vornimmt.
Wieder ein Märchen war die Illumination an den drei Abenden nach
der Krönung. Die Illumination der Stadt war viel reicher und glänzender,
als wir es kennen, aber doch etwa in der Art unsrer Festbeleuchtungen.
Einzig in ihrer Art aber war die Illumination des Kremls: man kann ge¬
trost sagen: dergleichen ist noch nie dagewesen, denn noch nie ist das elektrische
Licht in solchem Umfang und in so geschmackvoller Weise zur Verwendung ge¬
kommen. Genau den vielgestaltigen Konturen der Kremltürme folgend erstrahlte
in farbigem Licht ein Bild der Architektur des Kremls, das ihre Schönheiten
erst zum Bewußtsein brachte. Über den roten, grünen und gelben Thortürmen
aber leuchtete in silbernem Weiß der schlanke Turm des Iwan Weliki weit
hinaus in die Nacht.
Aber in den festlichen Glanz der Illumination fiel schon ein Schatten:
die Polizei war ihrer Aufgabe, die ungeheuern Menschenmassen zu lenken und
im Zaume zu halten, nicht gewachsen. Freilich, es handelte sich neben dem
etwas besser geschulten großstädtischen Publikum um viel herbeigeströmtes
Landvolk, das blind drauf loslief; aber es war, namentlich an dem ersten
Jlluminationsabend, auch nicht einmal der Versuch gemacht worden, das
Publikum von den Wagenreihen fernzuhalten, ja auch nur in steter und vor
allem geordneter Bewegung zu halten. Ein Strom kam von rechts, der
andre von links, die einen blieben stehen, die andern gingen weiter. An den
Ufern der Moskwa war kaum ein Schutzmann zu sehen, und wo einer stand,
Gren
zboten IV 1396 ^
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