Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Und MM kamen die festlichen Tage. Erst der Einzug des Kaiserpaars Dann folgte der Tag, wo sich der Zar Nikolaus II., ganz wie der un¬ Den Kaiser und die Kaiserin habe ich freilich bedauert: die Zeremonie Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Und MM kamen die festlichen Tage. Erst der Einzug des Kaiserpaars Dann folgte der Tag, wo sich der Zar Nikolaus II., ganz wie der un¬ Den Kaiser und die Kaiserin habe ich freilich bedauert: die Zeremonie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223624"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_100"> Und MM kamen die festlichen Tage. Erst der Einzug des Kaiserpaars<lb/> von dem Petrowskij-Schloß ans. Früher hatte das sein gutes Recht: das<lb/> Schloß liegt an der großen Straße, die von Moskau über Twer nach Peters¬<lb/> burg führt, und da war es ganz richtig, daß der Herrscher, der auf dieser<lb/> Straße ankam, vor dem Einzug in Moskau in Petrowskij Halt machte. Jetzt<lb/> kommt der Kaiser am entgegengesetzten Ende der Stadt, am Nikolaibcchnhvf,<lb/> mit — der Eisenbahn an und fährt mit der Eisenbahn um die ganze Stadt<lb/> herum, nur um die alte Überlieferung aufrecht zu erhalten, daß er durch die<lb/> Straße aus Twer (Twerskaja) zum Kreml zieht. Aber auch abgesehen davon<lb/> ist dieser Einzug ein Anachronismus in unsrer Zeit der Eisenbahnen: er ist<lb/> wie ein Bild aus einer längstvergangnen Zeit; man muß an die Zauber¬<lb/> märchen denken, die einst die Phantasie des Kindes erfüllten, jene Märchen<lb/> von einem Reich, wo alles in Gold und Edelsteinen blinkte, und ein unendlich<lb/> reicher König mit einer unendlich schönen Königin auf dem goldnen Thron<lb/> saßen. Diese goldnen Karossen, von sechs oder acht Schimmeln gezogen, dieser<lb/> Zug von Kammerherren, Kammerpagen und Kammerlakaien in ihren über und über<lb/> mit goldnen Tressen beladnen Röcken, mit den Läufern und den Leibmohren,<lb/> es war wirklich wie ein Märchenbild in unserer nüchternen Zelt. Und voran<lb/> die Tscherkessen und Kosaken in ihren flammendroten langwallenden Röcken auf<lb/> den zierlichen Pferden, dann wieder die Gardekürassire (L!Il<Zog.1lor-Z"u-as und<lb/> die (AlU'elk Ä ollövg.1) in Uniformen wie unsre Gardes du Corps, und die<lb/> Garde-Husaren — Lejb-Guardi-Gusareu spricht sie der Russe aus — in ihrem<lb/> roten Attila mit dem weißen Dvlmcm über der Schulter, und in diesem<lb/> Bild von Not und Gold und Gold und Rot die Söhne Asiens, die vornehmen<lb/> Vasallen des Kaisers, in Seide und Sammet und Edelsteinen auf prächtigen<lb/> Rossen, es war wie ein Märchen, ein Märchen aus tausend und einer Nacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Dann folgte der Tag, wo sich der Zar Nikolaus II., ganz wie der un¬<lb/> endlich reiche König im Märchen, die Krone ans dem Haupte, Szepter und<lb/> Reichsapfel in den Händen, um die Schultern den schweren, golddurchwirkten<lb/> Hermelinmantel, seinem Volke zeigte, ueben sich die schöne Gemahlin. Hier<lb/> wurde das Märchen zur Wahrheit: die herbe Schönheit der Zarin, ihre wahr¬<lb/> haft königliche Haltung, ihre herrlichen Augen werden jedem im Gedächtnis<lb/> bleiben, der sie in diesen für sie bedeutungsvollen Stunden gesehen hat. Sie<lb/> ist viel anmutiger als auf allen Bildern, namentlich fehlt der strenge Zug<lb/> um den Mund, den die meisten Bilder aufweisen. Unvergeßlich ist mir der<lb/> Augenblick, wo sich das Kaiserpaar, nachdem es den Umgang durch deu<lb/> Kremlhof vollendet hatte, oben von der roten Treppe herab dreimal gegen<lb/> das Volk verneigte: sämtliche Glocken des Kremls und .der Stadt läuteten,<lb/> die Kanonen brüllten, und alles überkommt erklang das Hurrageschrei der<lb/> Volksmassen im Kreml und auf den Kais zu beiden Ufern der Moskwa.</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Den Kaiser und die Kaiserin habe ich freilich bedauert: die Zeremonie</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
Und MM kamen die festlichen Tage. Erst der Einzug des Kaiserpaars
von dem Petrowskij-Schloß ans. Früher hatte das sein gutes Recht: das
Schloß liegt an der großen Straße, die von Moskau über Twer nach Peters¬
burg führt, und da war es ganz richtig, daß der Herrscher, der auf dieser
Straße ankam, vor dem Einzug in Moskau in Petrowskij Halt machte. Jetzt
kommt der Kaiser am entgegengesetzten Ende der Stadt, am Nikolaibcchnhvf,
mit — der Eisenbahn an und fährt mit der Eisenbahn um die ganze Stadt
herum, nur um die alte Überlieferung aufrecht zu erhalten, daß er durch die
Straße aus Twer (Twerskaja) zum Kreml zieht. Aber auch abgesehen davon
ist dieser Einzug ein Anachronismus in unsrer Zeit der Eisenbahnen: er ist
wie ein Bild aus einer längstvergangnen Zeit; man muß an die Zauber¬
märchen denken, die einst die Phantasie des Kindes erfüllten, jene Märchen
von einem Reich, wo alles in Gold und Edelsteinen blinkte, und ein unendlich
reicher König mit einer unendlich schönen Königin auf dem goldnen Thron
saßen. Diese goldnen Karossen, von sechs oder acht Schimmeln gezogen, dieser
Zug von Kammerherren, Kammerpagen und Kammerlakaien in ihren über und über
mit goldnen Tressen beladnen Röcken, mit den Läufern und den Leibmohren,
es war wirklich wie ein Märchenbild in unserer nüchternen Zelt. Und voran
die Tscherkessen und Kosaken in ihren flammendroten langwallenden Röcken auf
den zierlichen Pferden, dann wieder die Gardekürassire (L!Il<Zog.1lor-Z"u-as und
die (AlU'elk Ä ollövg.1) in Uniformen wie unsre Gardes du Corps, und die
Garde-Husaren — Lejb-Guardi-Gusareu spricht sie der Russe aus — in ihrem
roten Attila mit dem weißen Dvlmcm über der Schulter, und in diesem
Bild von Not und Gold und Gold und Rot die Söhne Asiens, die vornehmen
Vasallen des Kaisers, in Seide und Sammet und Edelsteinen auf prächtigen
Rossen, es war wie ein Märchen, ein Märchen aus tausend und einer Nacht.
Dann folgte der Tag, wo sich der Zar Nikolaus II., ganz wie der un¬
endlich reiche König im Märchen, die Krone ans dem Haupte, Szepter und
Reichsapfel in den Händen, um die Schultern den schweren, golddurchwirkten
Hermelinmantel, seinem Volke zeigte, ueben sich die schöne Gemahlin. Hier
wurde das Märchen zur Wahrheit: die herbe Schönheit der Zarin, ihre wahr¬
haft königliche Haltung, ihre herrlichen Augen werden jedem im Gedächtnis
bleiben, der sie in diesen für sie bedeutungsvollen Stunden gesehen hat. Sie
ist viel anmutiger als auf allen Bildern, namentlich fehlt der strenge Zug
um den Mund, den die meisten Bilder aufweisen. Unvergeßlich ist mir der
Augenblick, wo sich das Kaiserpaar, nachdem es den Umgang durch deu
Kremlhof vollendet hatte, oben von der roten Treppe herab dreimal gegen
das Volk verneigte: sämtliche Glocken des Kremls und .der Stadt läuteten,
die Kanonen brüllten, und alles überkommt erklang das Hurrageschrei der
Volksmassen im Kreml und auf den Kais zu beiden Ufern der Moskwa.
Den Kaiser und die Kaiserin habe ich freilich bedauert: die Zeremonie
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