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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

Moskaner Publikum auch sonst noch manche Belästigungen, Dazu gehörte
das wiederholte genaue Absuchen der Hänser an den Straßen, durch die das
Kaiserpaar bei irgendwelcher Gelegenheit zu fahren hatte, die genaue Fest¬
stellung aller Persönlichkeiten, die sich z, B. am Einzugstage aus einem Fenster
der Twerskaja usw. das festliche Schauspiel ansehen wollten u. tgi. Ich gebe
ober zu. daß die Polizei bei der großen Verantwortung, die auf ihr lastete,
eher zu viel als zu wenig thun mußte. Ob es für die Sicherheit des Herrscher-
Paares notwendig war, einen großen Teil der Studentenschaft aus der Stadt
zu entfernen, wage ich nicht zu entscheiden. Selbst Leute, die vor Jahren
und Jahrzehnten, vielleicht ganz unschuldig, jedenfalls ohne davon zu erfahren,
als Studenten in die Liste der "Verdächtigen" geraten waren, wurden zu ihrer
Überraschung bedeutet, sich während der Krönungszeit an irgend einem idyl¬
lischen Orte "mehr im Innern" aufzuhalten.

So fehlte es nicht an kleinen und großen Verstimmungen. während sich
die Straßen mit bunten Obelisken und Triumphbogen füllten, die Häuser
durch allerlei geschmackvollen oder auch geschmacklosen Zierat aus bunt be¬
maltem Holz ihre Fanden verschönten, und bis zur Ermüdung der Reichsadler,
die Kaiserkrone und das II und ^ (Nikolaus und Alexandra) auf Schilden
aller Art zu "sinnigen" Embleme" der Festfreude wurden. Durch die Stadt
schwirrten Gerüchte, man müsse sehr vorsichtig sein in seiner Kritik: eine Dame
sei in der Pferdebahn verhaftet worden, weil sie beim Anblick der bunten
Dekorationen ausgerufen haben: "Zu was das alles! Man sollte doch lieber
das Geld den Armen geben." Zwei Herren, die sich in einer Droschke abfüllig
über die Vorbereitungen geäußert hatten, sollten von dem Jswoschtschik gerades¬
wegs auf die Polizeiwache gefahren worden sein: der Jswoschtschik sei ein
Geheimpolizist gewesen.

Aber im großen und ganzen beherrschte doch nur eine Empfindung die
Bevölkerung: freudig gespannte Erwartung der herrlichen Dinge, die da
kommen sollten. Sie hatte ihren Reiz, diese Zeit der Erwartung, besonders
auch für den Fremden, und es war ergötzlich zu beobachten, wie sich das bunte,
phantastische Moskau mit seinen gelben, grünen, hellroten und weißen Hänschen
und seinen grotesken Kirchen in ein noch bunteres, phantastischeres, groteskeres
Gewand hüllte. Die Bewohner lächelten wohl selbst über die schreiend grellen
Dekorationen, namentlich z. B. die Bogen, Süulchen, Sterne n. dergl. im
Alexandergarten am Kreml; mir schien gerade diese Art der Dekoration die
"nzig "stilgemäße." Sie mochte in der kindlichen Freude an den hellen Farben
etwas bäuerliches haben, dem "Mütterchen Moskau" stand sie doch gut zu
seinem alten Gesicht. Nur ein Schmuck wollte sich nicht einstellen: noch Anfang
Mai waren die Bäume kahl, der Frühling zog erst kurz vor dem Kaiser ein
und gab nun freilich mit seinem zarten jungen Grün dem festlichen Bilde der
Stadt einen neuen, heitern Reiz.


Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

Moskaner Publikum auch sonst noch manche Belästigungen, Dazu gehörte
das wiederholte genaue Absuchen der Hänser an den Straßen, durch die das
Kaiserpaar bei irgendwelcher Gelegenheit zu fahren hatte, die genaue Fest¬
stellung aller Persönlichkeiten, die sich z, B. am Einzugstage aus einem Fenster
der Twerskaja usw. das festliche Schauspiel ansehen wollten u. tgi. Ich gebe
ober zu. daß die Polizei bei der großen Verantwortung, die auf ihr lastete,
eher zu viel als zu wenig thun mußte. Ob es für die Sicherheit des Herrscher-
Paares notwendig war, einen großen Teil der Studentenschaft aus der Stadt
zu entfernen, wage ich nicht zu entscheiden. Selbst Leute, die vor Jahren
und Jahrzehnten, vielleicht ganz unschuldig, jedenfalls ohne davon zu erfahren,
als Studenten in die Liste der „Verdächtigen" geraten waren, wurden zu ihrer
Überraschung bedeutet, sich während der Krönungszeit an irgend einem idyl¬
lischen Orte „mehr im Innern" aufzuhalten.

So fehlte es nicht an kleinen und großen Verstimmungen. während sich
die Straßen mit bunten Obelisken und Triumphbogen füllten, die Häuser
durch allerlei geschmackvollen oder auch geschmacklosen Zierat aus bunt be¬
maltem Holz ihre Fanden verschönten, und bis zur Ermüdung der Reichsadler,
die Kaiserkrone und das II und ^ (Nikolaus und Alexandra) auf Schilden
aller Art zu „sinnigen" Embleme» der Festfreude wurden. Durch die Stadt
schwirrten Gerüchte, man müsse sehr vorsichtig sein in seiner Kritik: eine Dame
sei in der Pferdebahn verhaftet worden, weil sie beim Anblick der bunten
Dekorationen ausgerufen haben: „Zu was das alles! Man sollte doch lieber
das Geld den Armen geben." Zwei Herren, die sich in einer Droschke abfüllig
über die Vorbereitungen geäußert hatten, sollten von dem Jswoschtschik gerades¬
wegs auf die Polizeiwache gefahren worden sein: der Jswoschtschik sei ein
Geheimpolizist gewesen.

Aber im großen und ganzen beherrschte doch nur eine Empfindung die
Bevölkerung: freudig gespannte Erwartung der herrlichen Dinge, die da
kommen sollten. Sie hatte ihren Reiz, diese Zeit der Erwartung, besonders
auch für den Fremden, und es war ergötzlich zu beobachten, wie sich das bunte,
phantastische Moskau mit seinen gelben, grünen, hellroten und weißen Hänschen
und seinen grotesken Kirchen in ein noch bunteres, phantastischeres, groteskeres
Gewand hüllte. Die Bewohner lächelten wohl selbst über die schreiend grellen
Dekorationen, namentlich z. B. die Bogen, Süulchen, Sterne n. dergl. im
Alexandergarten am Kreml; mir schien gerade diese Art der Dekoration die
"nzig „stilgemäße." Sie mochte in der kindlichen Freude an den hellen Farben
etwas bäuerliches haben, dem „Mütterchen Moskau" stand sie doch gut zu
seinem alten Gesicht. Nur ein Schmuck wollte sich nicht einstellen: noch Anfang
Mai waren die Bäume kahl, der Frühling zog erst kurz vor dem Kaiser ein
und gab nun freilich mit seinem zarten jungen Grün dem festlichen Bilde der
Stadt einen neuen, heitern Reiz.


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[0039] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland Moskaner Publikum auch sonst noch manche Belästigungen, Dazu gehörte das wiederholte genaue Absuchen der Hänser an den Straßen, durch die das Kaiserpaar bei irgendwelcher Gelegenheit zu fahren hatte, die genaue Fest¬ stellung aller Persönlichkeiten, die sich z, B. am Einzugstage aus einem Fenster der Twerskaja usw. das festliche Schauspiel ansehen wollten u. tgi. Ich gebe ober zu. daß die Polizei bei der großen Verantwortung, die auf ihr lastete, eher zu viel als zu wenig thun mußte. Ob es für die Sicherheit des Herrscher- Paares notwendig war, einen großen Teil der Studentenschaft aus der Stadt zu entfernen, wage ich nicht zu entscheiden. Selbst Leute, die vor Jahren und Jahrzehnten, vielleicht ganz unschuldig, jedenfalls ohne davon zu erfahren, als Studenten in die Liste der „Verdächtigen" geraten waren, wurden zu ihrer Überraschung bedeutet, sich während der Krönungszeit an irgend einem idyl¬ lischen Orte „mehr im Innern" aufzuhalten. So fehlte es nicht an kleinen und großen Verstimmungen. während sich die Straßen mit bunten Obelisken und Triumphbogen füllten, die Häuser durch allerlei geschmackvollen oder auch geschmacklosen Zierat aus bunt be¬ maltem Holz ihre Fanden verschönten, und bis zur Ermüdung der Reichsadler, die Kaiserkrone und das II und ^ (Nikolaus und Alexandra) auf Schilden aller Art zu „sinnigen" Embleme» der Festfreude wurden. Durch die Stadt schwirrten Gerüchte, man müsse sehr vorsichtig sein in seiner Kritik: eine Dame sei in der Pferdebahn verhaftet worden, weil sie beim Anblick der bunten Dekorationen ausgerufen haben: „Zu was das alles! Man sollte doch lieber das Geld den Armen geben." Zwei Herren, die sich in einer Droschke abfüllig über die Vorbereitungen geäußert hatten, sollten von dem Jswoschtschik gerades¬ wegs auf die Polizeiwache gefahren worden sein: der Jswoschtschik sei ein Geheimpolizist gewesen. Aber im großen und ganzen beherrschte doch nur eine Empfindung die Bevölkerung: freudig gespannte Erwartung der herrlichen Dinge, die da kommen sollten. Sie hatte ihren Reiz, diese Zeit der Erwartung, besonders auch für den Fremden, und es war ergötzlich zu beobachten, wie sich das bunte, phantastische Moskau mit seinen gelben, grünen, hellroten und weißen Hänschen und seinen grotesken Kirchen in ein noch bunteres, phantastischeres, groteskeres Gewand hüllte. Die Bewohner lächelten wohl selbst über die schreiend grellen Dekorationen, namentlich z. B. die Bogen, Süulchen, Sterne n. dergl. im Alexandergarten am Kreml; mir schien gerade diese Art der Dekoration die "nzig „stilgemäße." Sie mochte in der kindlichen Freude an den hellen Farben etwas bäuerliches haben, dem „Mütterchen Moskau" stand sie doch gut zu seinem alten Gesicht. Nur ein Schmuck wollte sich nicht einstellen: noch Anfang Mai waren die Bäume kahl, der Frühling zog erst kurz vor dem Kaiser ein und gab nun freilich mit seinem zarten jungen Grün dem festlichen Bilde der Stadt einen neuen, heitern Reiz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/39>, abgerufen am 06.01.2025.